Sehr geehrte Kolleginnen, sehr geehrte Kollegen!
Die Eröffnungssitzung der diesjährigen Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe in Graz wird sich auf Wunsch des gesamten Vorstandes mit der Geschichte der Frauenheilkunde auseinandersetzen. Eigentlich mit einem besonderen Abschnitt der Geschichte: mit der Rolle der Gynäkologie im Nationalsozialismus. Dieser Teil unserer Vergangenheit war bisher über weite Strecken ein Tabuthema. Es war daher der OEGGG ein großes Anliegen, mehr Licht in dieses dunkle Kapitel der österreichischen Gynäkologie-Geschichte zu bringen.
Der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich hat die Vorstellungen der nationalsozialistischen Rassenpolitik direkt in die Frauenkliniken gebracht. Im Dritten Reich war es durch eine totalitäre politische Struktur möglich geworden, Zwangssterilisationen umfassender als jemals zuvor und ohne gesetzliche Hindernisse durchzuführen. Das gesamte NS-Regime war auf einer biomedizinischen Vision, die eine „Reinigung“ der Rasse beinhaltete, aufgebaut worden. Eine Entwicklung von der Sterilisation bis hin zum Massenmord wurde vollzogen. Bereits wenige Monate nach Hitlers Machtergreifung wurde das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses verabschiedet. Um dem „drohenden Volkstod“ entgegenzuwirken, war vorgesehen, rund 400.000 Erbkranke mit Schizophrenie, Epilepsie und anderen Erkrankungen unfruchtbar zu machen. Eine Gesetzesänderung erweiterte das Sterilisationsgesetz zu einem Abtreibungsgesetz. Bei erbkranken Schwangeren wurde die Zwangssterilisation mit einer Abtreibung gekoppelt.
Aber das Verhältnis des Regimes mit den Gynäkologen war nicht immer friktionsfrei. Im Zusammenhang mit der Geburtenpolitik des Dritten Reiches spielte die Hausgeburt eine wichtige Rolle. Sie wurde von offizieller staatlicher Seite gefördert und eine Einschränkung klinischer Entbindungen angestrebt. Ende 1939 erreichte der Konflikt zwischen Gynäkologen und Nationalsozialisten seinen Höhepunkt. Grund war der Erlass des Reichsinnenministers, durch den eine weitere Einschränkung der Klinikgeburtshilfe drohte. Führende Gynäkologen intervenierten im Januar 1940 bei der Reichsgesundheitsführung gegen die Behauptung, dass die klinische Geburtshilfe der häuslichen unterlegen sei und deshalb zugunsten der Hausgeburtshilfe eingeschränkt werden müsse. Der Protest zeigte Wirkung und ein Kompromiss mit den Forderungen der wissenschaftlichen Geburtshilfe wurde erzielt.
Aber Frauenärzte waren nicht nur Täter, Frauenärzte waren auch vielmals Opfer des Systems. Sie wurden verfolgt, mit Berufsverbot belegt, deportiert und in Konzentrationslagern umgebracht. Diesen vielfältigen Aspekten der Geschichte möchten wir uns im Rahmen der Jahrestagung stellen.
Es war das erste Mal, dass die OEGGG einen Forschungsauftrag zur Aufarbeitung der Geschichte der Frauenheilkunde ausgeschüttet hat, um damit ein klares Signal zu setzen, wie wichtig uns diese Thematik ist. Ich bin überzeugt, dass uns eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Teil der Geschichte der Gynäkologie während des Nationalsozialismus bereichern wird. Der Umgang mit kritischen Situationen und den ethischen Spannungsfeldern prägt auch unser heutiges Tun. Wir können aus dieser Geschichte auch lernen, die ethischen Herausforderungen der Jetztzeit zu meistern.