Vulvodynie – Verzweiflungsdiagnose oder Chance auf Heilung?

Vulvaschmerzen sind häufige Beschwerden, in verschiedenen Publikationen werden Lebenszeitprävalenzen von 4–19 % in der weiblichen Gesamtbevölkerung genannt.1 Besonders Patientinnen mit einer chronischen, therapieresistenten Schmerzsymptomatik im Bereich des äußeren Genitales stehen oft unter einem massiven Leidensdruck, der die Partnerschaft, ja den gesamten Lebensalltag überschattet. Für die behandelnden Ärzte bedeutet diese Situation ebenfalls eine große He­rausforderung, zum Teil auch eine Überforderung, da Vulvaerkrankungen in den fachärztlichen Ausbildungscurricula meist nur als Randthema abgehandelt werden.

Definition und Ätiologie

Die ISSVD (International Society for the Study of Vulvovaginal Disease) unterteilt Vulvaschmerzen in zwei Gruppen2, wovon die erste Schmerzsyndrome im Rahmen spezifischer Erkrankungen und die zweite die eigentliche Vulvodynie und deren Subtypen nach Ausschluss anderer Ätiologien beinhaltet (siehe Tab.).
Der Terminus „Vestibulitis-vulvae-Syndrom“ wurde dabei seit 2003 durch den Begriff lokalisierte provozierte Vulvodynie ersetzt.
Die Ätiologie des Krankheitsbildes ist unzureichend verstanden, es spielen wohl multiple somatische und psychische Faktoren eine Rolle. Komorbiditäten mit psychischen und psychosexuellen Erkrankungen (Depressionen, Angststörungen, Vaginismus) werden zwar häufig beschrieben, aber es gibt keine Evidenz für eine primär rein psychische Schmerzursache. Auf histopathologischer Ebene scheint eine lokale Vermehrung von (degranulierten) Mastzellen sowie ein Wachstum von teilweise abnormen Nervenfasern in den betroffenen Arealen eine wesentliche Rolle zu spielen.

 

 

Klinik

Ohne sichtbare Veränderungen (siehe Abb. 1) mit Ausnahme eventueller diskreter fokaler Rötungen empfinden betroffene Frauen entweder bereits ohne Provokation (z. B. Druck, Sexualverkehr) oder bei Provokation ausgeprägte Vulvaschmerzen, die lokalisiert einzelne Areale oder die gesamte Vulva betreffen können. Bei den Mischformen verstärkt sich ein basal vorhandener Schmerz deutlich bei entsprechender Provokation. Die schmerzsensiblen Areale lassen sich bei den lokalisierten Formen durch gezielten Druck mit einem Wattestäbchen („Q-Tip-Test“) genau abgrenzen.
Das Fehlen spezifischer Vulvaveränderungen bei einer so massiven Schmerzsymptomatik führt nicht selten zu einer Stigmatisierung betroffener Frauen, denen die primäre Konsultation eines Psychiaters durch mit dem Krankheitsbild nicht vertraute Ärzte nahegelegt wird.

 

 

Abklärung

Da Vulvaschmerzpatientinnen oft jahrelange Odysseen mit einer Vielzahl von Arztkonsultationen, zahlreiche Untersuchungen und eine kaum mehr überblickbare Anzahl an (frustranen) Therapieversuchen hinter sich haben, empfiehlt sich in der Praxis unbedingt ein strukturiertes Vorgehen.
Dieses beginnt mit einer ausführlichen Anamnese, welche die Schmerzproblematik selbst, eine sexualmedizinische Evaluierung, die bisher durchgeführten Abklärungen und Therapieversuche sowie eine kurze allgemeinmedizinische und allgemeingynäkologische Anamnese umfassen sollte. Das ist zwar mit einem erheblichen Zeitaufwand verbunden, doch diese investierte Zeit bedeutet nicht nur ein wesentlich besseres Verständnis oft komplexer Situationen (Unverträglichkeit von Vortherapien, Begleiterkrankungen, psychische/psychosexuelle Komponenten u. a.), sondern auch eine Wertschätzung der oft verzweifelten Patientinnen!
Die anschließende behutsame klinische Untersuchung sollte eine genaue Inspektion des Anogenitalbereichs, der Vagina und der Zervix, sowie ein „Schmerzmapping“ des äußeren und inneren Genitales und der (Peri-)Analregion beinhalten. Dabei empfiehlt es sich, die palpatorisch evaluierten Schmerzpunkte zu skizzieren und z. B. mittels visueller Analog-Skala zu quantifizieren.
Weiters sollte bei der Palpation der Ruhetonus und die Kontraktions- und Relaxationsfähigkeit der Beckenbodenmuskulatur evaluiert werden. Die Mikroskopie des Nativsekrets und eine Vaginosonografie komplettieren die Untersuchung. Werden dabei Befunde, die Hinweise auf spezifische vulvaschmerzassoziierte Erkrankungen geben, erhoben, hat natürlich eine weitere diesbezügliche Abklärung zu erfolgen.
Aus eigener Erfahrung ist die Entnahme einer Vulvabiopsie aus den schmerzhaften Arealen auch bei fehlenden makroskopischen Veränderungen empfehlenswert3, da manche Krankheitsbilder wie sehr frühe Formen von Dermatosen auch für den Geübten schwer erkennbar sind, außerdem erhärtet der Nachweis von aktivierten Mastzellen und pathologisch vermehrten Nervenfasern das Vollbild der Vulvodynie auch histologisch. Das setzt allerdings die Befundung der Biopsie durch einen Pathologen mit exzellenter dermatopathologischer Expertise voraus.

Therapie

Ausgehend von der Annahme einer multifaktoriellen Entstehung und Perpetuierung des Krankheitsbildes Vulvodynie wird heute ein multimodales, multidisziplinäres Therapiekonzept favorisiert, das an mehreren Ebenen des Krankheitsgeschehen ansetzt. Was bedeutet das nun konkret in der Praxis?
Hier zeigt sich die Bedeutung der exakten Anamnese und der sorgfältigen klinischen Untersuchung, denn dadurch können die erfolgversprechendsten therapeutischen Ansatzpunkte erarbeitet werden (z. B. ausgeprägte muskuläre Verspannungen: physikalische Maßnahmen; deutlich erkennbare sexuelle und Partnerschaftsprobleme: Sexualtherapie etc.) Die Fokussierung auf die lokale Schmerzproblematik allein ist wenig zielführend, es sollte ein Konzept kombinierter Therapien angeboten werden.
Allerdings wird grundsätzlich ein Versuch mit Lokalanästhetika empfohlen. Die regelmäßige, längerfristige, großzügige Anwendung von lidocainhaltigen Salben kann bei manchen Patientinnen die vulväre Überempfindlichkeit dauerhaft bessern. Bei nachgewiesener Vermehrung aktivierter Mastzellen wird oft eine zusätzliche Verbesserung mit cromoglycinhaltigen, schleimhautverträglichen Sprays erreicht, die im Genitalbereich allerdings einen Off-Label-Use darstellen.
Insgesamt ist aber bei Lokaltherapien wegen der Gefahr der Irritationsauslösung Vorsicht angebracht, bei der Intimhygiene-/pflege sind milde Produkte unerlässlich.
Für die lokale Unterspritzung mit Lokalanästhetika gibt es wenig valide Daten, für kleine Fallzahlen werden akzeptable Resultate beschrieben. Völlig unklar ist die Datenlage für die Lokalinjektion von Botox, die daher nicht empfohlen wird.
Bei sehr vielen Frauen sind, wie schon erwähnt, die Vulvaschmerzen mit einer erheblichen Dysfunktion der Beckenbodenmuskulatur verbunden. Deren Behandlung ist die Domäne diverser physikalischer Therapiemaßnahmen, wie biofeedbackgestütztes Beckenbodentraining, externe und interne Triggerpunktmassage, transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), Anwendung von Vaginaltrainern etc. Eine weniger bekannte physikalische Therapieform ist der Einsatz von Softlasern im Vulvovaginalbereich. Besonders provozierte Vulvodynieformen zeigen gute Ansprechraten auf physikalische Maßnahmen. Allerdings sollten auch hier optimalerweise auf (Vulva-)Schmerz spezialisierte Ärzte/Therapeuten beigezogen werden.
Vulvaschmerzen haben nahezu immer negative Auswirkungen auf die Sexualität der betroffenen Frauen. Um diesen Aspekt möglichst frühzeitig zu berücksichtigen und ein (Wieder-)Erarbeiten unbelasteter, angstfreier Sexualität anzustreben, empfiehlt es sich, eine Sexualtherapie, optimalerweise als Paartherapie, durch einen erfahrenen Therapeuten schon von Beginn an in das Therapiekonzept einzubeziehen.
Die Therapie psychischer Komorbiditäten wie einer Depression durch einen entsprechenden Facharzt ist für den Therapieerfolg auch der Schmerzerkrankung selbst unabdingbar!
Da es sich bei der Vulvodynie um einen neuropathischen Schmerz handelt, zeigt eine Pharmakotherapie mit trizyklischen Antidepressiva wie Amitryptilin bzw. mit Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Pregabalin zum Teil gute Therapieerfolge.
Allerdings ist bei diesen Substanzen das nicht unerhebliche Nebenwirkungsprofil, das sich auch aus den zum Teil benötigten hohen Dosen ergibt, zu beachten, mit diesen Pharmaka wenig vertraute Ärzte sollten die medikamentöse Therapie besser einem Schmerztherapeuten überantworten.
Ein erfahrener Schmerztherapeut/Anästhesist sollte auch im Falle von therapieresistenten Schmerzen erweiterte schmerztherapeutische Verfahren, wie rückenmarksnahe Nervenblockaden durchführen.
Chirurgische Therapieverfahren, die von einigen Arbeitsgruppen favorisiert werden, bedeuten im Regelfall eine relativ großzügige, hufeisenförmige modifizierte Vestibulektomie mit Defektdeckung durch die mobilisierte hintere Scheidenwand. Evidenz für Effektivität gibt es in erster Linie für provozierte Formen mit Ansprechen auf Lidocain lokal. Sicherlich ist hier die Möglichkeit postoperativer Komplikationen zu beachten, weiters fehlen längerfristige Follow-up-Daten. Einen guten Überblick über mögliche Therapie­optionen geben die „Guidelines for the management of Vulvodynia“, ein 2010 von einer interdisziplinären Arbeitsgruppe erstelltes Konsensuspapier.4

CONCLUSIO: Die Betreuung von Vulvodynie-Patientinnen mit Erarbeitung multimodaler Therapiekonzepte verlangt vom Arzt ein hohes Maß an fachlichem Wissen, Empathie und Zeitaufwand, aufgrund der individuellen Situation jeder einzelnen Patientin ist die Angabe exakter Besserungs-bzw. Heilungsraten schwierig. Eine gute Vernetzung mit Kollegen diverser Fachrichtungen/Subspezialisierungen (physikalische Medizin, Sexualmedizin, Pathologie, Schmerztherapie/Anästhesie) ist unabdingbar. Auch den betroffenen Frauen muss klar vermittelt werden, dass ein Therapieerfolg ohne hohe Kooperationsbereitschaft, Geduld sowie zeitliche und auch finanzielle Investitionen wenig wahrscheinlich ist, realistische Therapieziele müssen definiert werden. Die Zaubercreme, durch die jahrelange Schmerzen in 3 Tagen verschwinden, gibt es nicht, wohl aber Verbesserung, sogar Heilung durch konsequente, kreative, gemeinsame Arbeit am Weg dorthin!

 

1 Petersen C.D., Lundvall L. et al.: Vulvodynia. Definition, diagnosis and treatment. Acta obstet Gynecol Scand 2008
2 Lynch P.J., Moyal-Barraco M.: The Terminology and Classification of Vulvar Pain. ISSVD Terminology Committee on Vulvar Pain 2003
3 Regauer S., Eberz B.: Diagnosis and management of vulvodynia should include biopsy and histological examination. Br Journal Dermatol 2010
4 Mandall D., Nunns D. et al.: Guidelines for the management of Vulvodynia. British Journal of Dermatology 2010