Ihre GynäkologInnen halten 47 % der Frauen für die richtigen AnsprechpartnerInnen bei sexuellen Problemen und 39 % ihre HausärztInnen. Mit zunehmendem Alter wechseln allerdings immer mehr Frauen von ihren GynäkologInnen zur ihren HausärztInnen.1
GynäkologInnen begleiten junge Mädchen über die Schwelle vom Kind zur Frau, beraten sie über die optimalen Verhütungsmethoden, sind die Bewahrer der weiblichen Gesundheit, führen die jährlichen Kontrollen durch, sind Geburtshelfer und Hoffnung für Paare, die Kinder nicht auf natürlichem Wege bekommen können. Sie helfen ihnen in Notsituationen, bei ungewollten Schwangerschaften und bei schweren Erkrankungen.
Wie kommt es dann aber zu diesen Daten, die besagen, dass nur 9 % der ÄrztInnen ihre PatientInnen auf ihre sexuelle Gesundheit ansprechen?2 Es kann nicht daran liegen, dass Frauen keine Sexualprobleme haben. Selbst wenn man nach den neuen Kriterien sagt, dass eine Frau erst dann eine Sexualstörung hat, wenn sie darunter leidet, so zeigen die Daten doch eine erschreckend hohe Anzahl von Frauen, die an einer Sexualstörung leiden. Jede 10. Frau klagt über ein vermindertes sexuelles Verlangen und jede 20. entweder über Erregungs- oder Orgasmusstörungen. Allerdings sucht nur ein geringer Teil der Frauen aktiv Hilfe bei ihren GynäkologInnen. Wenn doch, dann tragen sie ihr Problem meist ihm Rahmen der Kontrolluntersuchung vor, oder beim Arztbesuch wegen eines anderen Problems.3
Dass Patientinnen das Gespräch mit Ihren ÄrztInnen meiden, erscheint nachvollziehbar, wenn man liest, dass 74 % der Pa tientInnen überzeugt sind, dass ihre ÄrztInnen ihr sexuelles Problem nicht ernst nehmen, 68 % finden, dass sich ihre ÄrztInnen beim Thema Sexualität unwohl fühlen, und 76 % glauben, dass ihnen ihre ÄrztInnen höchstwahrscheinlich nicht helfen können.4
Das Misstrauen der PatientInnen scheint nicht unbegründet zu sein, wenn 54 % der befragten KollegInnen angeben, dass ihr sexualmedizinisches Wissen ungenügend ist, und 45 % finden, dass sie einfach nicht genügend Zeit haben, um dieses Thema in ihrem Praxisalltag unterzubringen.5 Es scheinen also nicht nur die Patientinnen sehr verunsichert zu sein, sondern auch die ÄrztInnen.
Sexualmedizinisches Wissen ist also eine Grundvoraussetzung, um sich professionell und mit geringem Zeitaufwand im Praxisalltag mit der sexuellen Gesundheit der PatientInnen befassen zu können. Mit Unwissenheit weibliche Sexualstörungen zu behandeln führt zwangsläufig zu Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen und dazu, dass sich die Befürchtungen der Patientinnen bewahrheiten.
Typische Beispiele für solche Fehldiagnosen und -therapien sind: das Pathologisieren von Frauen mit vermindertem sexuellem Verlangen, wenn die weibliche Sexualreaktion noch immer nach dem Modell von Masters & Johnson beurteilt wird. Ein Großteil der Frauen in längeren Beziehungen befindet sich aber in einem Zustand der so genannten „sexuellen Neutralität“, die eine Normalvariante darstellt. Es ist die Aufgabe der ÄrztInnen, den PatientInnen zu helfen, im Gespräch herauszufinden, was sie sexuell ansprechbar macht.6
Ein klassischer Fehler bei der Behandlung der weiblichen Erregungsstörung ist das Außer-Acht-Lassen, dass die weibliche Erregung aus zwei Komponenten besteht, der subjektiven und der genitalen Erregung7. Beide Komponenten sind gleich wichtig und erfordern andere Therapieansätze. Die genitale Erregungsstörung kann – wie die Erektionsstörung des Mannes – durch eine Vielzahl von Erkrankungen, ärztlichen, therapeutischen Maßnahmen, wie Operationen und Medikamente, verursacht werden. Hier gilt es, die zugrunde liegenden Ursachen zu behandeln und eventuell Medikamente für eine verbesserte genitale Durchblutung einzusetzen. Sehr häufig aber beschreiben die Frauen einen Erregungsabbruch nach dem Eindringen des Penis in die Vagina. Dieser Abbruch wird durch eine inadäquate Stimulation ausgelöst, denn die Mehrzahl der Frauen braucht neben der vaginalen auch die klitorale Stimulation, um eine Erregung aufbauen und einen Orgasmus erreichen zu können.
Die Wichtigkeit der adäquaten Erregung für die Entstehung der weiblichen Lust wird von der holländische Sexualforscherin Ellen Laan betont. Ihr Denkmodell erklärt sehr gut, warum postmenopausale Frauen häufig über ein vermindertes sexuelles Verlangen klagen. Durch den Abfall der Östrogene kommt es zu einer verminderten NO-Produktion8, wodurch die Blutfülle in den kavernösen, genitalen Strukturen reduziert wird, gleichzeitig kann es auch zu Umbauvorgängen in den weiblichen Schwellkörpern kommen. Das wiederum führt zu einem verminderten genitalen Erregungsaufbau und Empfinden, zu einer Abnahme der Lubrikation und in der Folge zu Lustlosigkeit führen.
Man sieht anhand dieser wenigen Beispiele, dass ein sexualmedizinisches Basiswissen die Voraussetzung für die Erstellung einer seriösen Diagnose ist. Zu diesem Basiswissen gehört auch, immer mit zu bedenken, dass eine ungestörte Sexualität ein Gleichgewicht zwischen somatischen, psychischen und sozialen Faktoren benötigt, die bei der Diagnoseerstellung gleichwertig berücksichtigt und erfragt werden müssen. Um unter Zeitdruck nicht die wichtigsten Eckdaten dafür zu übergehen, hat sich für den Praxisalltag das Schema von Prof. Johannes Bitzer am besten bewährt (siehe Tab.). Anschließend kann mit der Patientin die passende und zielführende Therapieoption besprochen werden.
GynäkologInnen sind also die SpezialistInnen für weibliche Sexualstörungen, wenn sie über ein sexualmedizinisches Basiswissen verfügen und im Umgang mit dieser Thematik geübt sind. Das können sie mit wenig Aufwand erreichen. Seit 2011 gibt es von der Österreichischen Ärztekammer das ÖÄK-Zertifikat für die sexualmedizinische Grundausbildung. Diese kann in 4 Wochenenden an der Akademie für Sexuelle Gesundheit (AfSG) absolviert werden. Vertiefend ist die Weiterbildung zum ÖÄK-Diplom für Sexualmedizin (Näheres unter www.afsg.at).
1 Shifren J.L. et al., Sexual problems and distress in United States women, Obstet Gynecol, 2008
2 Hartmann U. et al., Global Study 2001 – 2002.
3 Shifren J.L. et al., Help-seeking behavior of women with self-reported distressing sexual problems. J Women’s Health 2009; 18: 461-468.
4 Marwick C., Survey Says Patients Expect Little Physician Help on Sex, JAMA, 1999
5 Rosen R., Sexual Communication Skills in Residency Training, J Sex Med, 2006
6 Basson R., Die Neubewertung der weiblichen sexuellen Reaktion, Sexuologie 2002
7 Nappi et al., Women Sexual Function and Dysfunktion, 2006 8 Porst H., Manual der Impotenz, UNIMED Verlag, 2000