Bereits im Mai 2018 rief Dr. Tedros Adhanom Ghebreyesus, Generaldirektor der WHO, mit den Worten „Through cost-effective, evidence-based interventions, including human papillomavirus vaccination of girls, screening and treatment of precancerous lesions, and improving access to diagnosis and treatment of invasive cancers, we can eliminate cervical cancer as a public health problem and make it a disease of the past. One woman dies of cervical cancer every two minutes … Each one is a tragedy, and we can prevent it.“1, zum Handeln gegen Gebärmutterhalskrebs auf. Seither haben sich alle Mitgliedsländer der WHO zu dem Ziel bekannt, welches mit November 2020 in Kraft trat.
Bis heute ist das Zervixkarzinom das vierthäufigste Malignom in Bezug auf die weltweite Inzidenz und Mortalität mit über 550.00 globalen Neudiagnosen im Jahr 2018. Auf Europa entfallen davon 33.000, womit das Zervixkarzinom eine der führenden Todesursachen unter jungen Frauen darstellt.1, 2 Bereits 2006 wurde die HPV-Impfung eingeführt und die Sicherheit und Effektivität seither mehrfach belegt.2–4
Seit dem Jahr 2014 ist es in Österreich möglich, dass Mädchen und Buben zwischen ihrem 9. und 12. Lebensjahr kostenlos beide HPV-Impfdosen erhalten. Zwischen dem 12. und 15. Lebensjahr besteht zusätzlich die Möglichkeit, die Impfung um einen deutlich vergünstigten Tarif, welcher ca. 50 Euro pro Dosis ausmacht, nachzuholen.5–7
Obwohl Österreich der Vorreiter bei der Einführung und Finanzierung der HPV-Impfung für Buben war, liegt die Durchimpfungsrate geschätzt deutlich unter 50 %.8, 9 Diese Zahlen können nur grob geschätzt werden, da eine offizielle Statistik der Durchimpfungsrate in Österreich fehlt.10 Dies ist nur mehr für wenige Länder in Europa der Fall und betrifft neben Österreich die Slowakei, Rumänien, Litauen, Estland, Zypern und Kroatien.11 Zehn europäische Länder hatten bereits 2020 eine Durchimpfungsrate von über 70 % und sind somit am besten Weg, das festgelegte Ziel der WHO einer 90%igen Durchimpfungsrate bis 2030 bei den unter 15-jährigen Mädchen zu erreichen.11
Die drei Säulen der globalen Strategie der WHO zur Bekämpfung von Gebärmutterhalskrebs bestehen aus der Erhöhung der Durchimpfungsrate, Ausbau von Screening-Programmen sowie weltweiten Zugang zu Krebsbehandlungen.1, 12
Die Ziele, dass 70 % der Frauen zwischen 35 und 45 Jahren zumindest einmal auf HPV getestet werden und 90 % der Frauen, bei denen die Diagnose einer zervikalen Erkrankung gestellt wird, eine Therapie erhalten, sind in vielen europäischen Ländern, einschließlich Österreich, bereits nahezu erreicht oder am besten Weg dorthin.
In Bezug auf die Durchimpfungsrate gibt es jedoch noch viel zu tun, wenn wir die derzeitige Inzidenz von 8 pro 100.000 auf 4 pro 100.000 Frauen senken und so das von der WHO empfohlene Ziel erreichen wollen.
Großer Aufholbedarf bei der Durchimpfungsrate: Österreich hat, wie von der WHO gefordert, ein gut etabliertes und funktionierendes Früherkennungsprogramm sowie einen für die gesamte Bevölkerung freien und niederschwelligen Zugang zur Therapie. Jedoch muss man sich bei einem seit 6 Jahren bestehenden Gratisimpfprogramm für Mädchen und Buben die Frage stellen, wie es dazu kommen kann, dass eine Impfung gegen Krebs so schlecht angenommen wird und bis heute keine suffiziente Durchimpfungsrate erreicht werden konnte.
Um die möglichen Gründe hierfür zu diskutieren, muss man sich zuerst vor Augen halte, dass sich Europa zunehmend in den letzten Jahren als die Region mit dem niedrigsten Vertrauen in Impfungen und vor allem deren Sicherheit herauskristallisiert hat. Die Gründe werden in der Literatur als multifaktoriell beschrieben und reichen von fehlendem Vertrauen in die Sicherheit von Impfstoffen über Misstrauen bezüglich der vorhandenen Informationen bis hin zu Zweifeln an der Wirkung des Impfstoffes.13
Dies steht im Einklang mit einer seit Jahren zu beobachtenden zunehmenden Impfskepsis in der entwickelten Welt und auch in Österreich, welche oftmals gepaart ist mit einer unzureichenden Aufklärung der Bevölkerung und fehlenden nationalen Kampagnen.
Welche Strategien braucht es? Arbyn et al. veröffentlichten 2020 bereits ein europäisches Antwortschreiben auf die WHO-Strategie und legten unter anderem auch Strategien fest, um die Durchimpfungsraten zu erhöhen.10
Australien und Schweden haben beide hohe Durchimpfungsraten erreicht und konnten mit den veröffentlichten Daten bereits belegen, dass dadurch die Rate an HPV-assoziierten Erkrankungen und vor allem Zervixkarzinomen stark gesunken ist und noch weiter sinken wird.14, 15
Um auch in Österreich eine Annäherung an das von der WHO festgelegte Ziel zu schaffen, bedarf es einer deutlich besseren Aufklärung der Eltern und Kinder, eines niederschwelligen Zugangs zur Impfung und groß angelegter Informationskampagnen. Viele Eltern und Kinder hierzulande wissen zu wenig über die Sicherheit, Effektivität und den Nutzen der Impfung, und dies führt bei unserem bestehenden Drop-in-System dazu, dass aus Nicht-Wissen oft Nicht-Impfen folgt. Die erfolgreiche Einführung der kostenlosen Impfung für Kinder bis zum 12. Lebensjahr sowie ein „Catch-up-Programm“ bis zum 15. Lebensjahr sind bereits erfolgt und auch etabliert. Doch zur Anhebung der Durchimpfungsrate und Verbesserung der Akzeptanz durch die Bevölkerung bedarf es nun strukturierter Aufklärungsarbeit. Die COVID-19-Pandemie hat dies im letzten Jahr etwas in den Hintergrund treten lassen, doch wurde bereits 2020 von den federführenden Gesellschaften darauf hingewiesen, Screenings nicht aus den Augen zu verlieren.16
Das Ziel für Österreich muss sein, sich den Bestrebungen der WHO so gut es geht anzunähern und damit die Morbidität und Mortalität von zumeist jungen Frauen bestmöglich zu reduzieren. In einer Zeit, in der es mit einer bereits seit über 10 Jahren vorhandenen, einfachen Präventionsmethode zu einer deutlichen Reduktion der Inzidenz einer Krebsart kommen kann, sollte dieses Vorgehen längst implementiert und teilweise erreicht sein.
Es ist unsere Aufgabe und Pflicht, bestmöglich zu beraten und die Politik auf fehlende Informations- und Aufklärungskampagnen aufmerksam zu machen.
Zu guter Letzt ist es nicht nur im Interesse der Gynäkologie, sondern auch der Pädiatrie, Allgemeinchirurgie sowie HNO-Heilkunde, die Inzidenz von HPV-assoziierten Krebsarten in den kommenden Jahren soweit wie möglich zu senken.
Falls die Mitgliedsstaaten der WHO die festgelegten Ziele wie geplant umsetzen, wird mit einer Senkung der Inzidenz des Zervixkarzinoms sowie der damit verbundenen Reduktion von ca. 5 Millionen Todesfällen bis 2050 gerechnet.1