Zwillingsgeburten sind im Allgemeinen gegenüber Einlingsgeburten mit einem erhöhten Risiko für Mutter und Kinder vergesellschaftet. Als intrapartale Komplikationen gelten abnorme Herzfrequenzmuster, frühzeitige Plazentalösung, Asphyxie bzw. Blutshifting bei monochorialen Zwillingen, Nabelschnurvorfall und regelwidrige Kindslagen. Zusätzlich haben Mütter von Zwillingsschwangerschaften aufgrund der vermehrten Uterusdehnung ein erhöhtes Risiko für eine postpartale Nachblutung.
Erhöhtes Risiko für den zweiten Zwilling: Relativ übereinstimmend findet sich in der Literatur, dass der 2. Zwilling ein erhöhtes Risiko für ein schlechtes Outcome hat. Das Mortalitäts- und Morbiditätsrisiko scheint mit dem Entbindungsintervall zwischen der Geburt des 1. und des 2. Zwillings zu korrelieren. Es wird eine Risikoerhöhung um das 22-Fache für eine schwere kindliche Asphyxie, definiert als arterieller Nabelschnur-pH von < 7,0, bei einem Entbindungsintervall von mehr als 60 Minuten gegenüber einem Entbindungsintervall von weniger als 15 Minuten angegeben (Edris et al., 2001).
Einfluss der Lage des ersten Fetus: Der jedoch sicherste Entbindungsmodus wird seit langem kontroversiell diskutiert. Ein Konsens besteht jedoch darin, dass bei Beckenendlage des ersten Fetus die Sectio der Entbindungsmodus erster Wahl darstellt, obwohl hierfür keine Studien vorliegen, die eine Überlegenheit der Sectio bei dieser Konstellation beweisen. Für die Risikoeinschätzung mit dem ersten Fetus in Schädellage, für oder gegen eine vaginale Geburt, wird von vielen Geburtshelfern die Gewichtsdiskrepanz zum zweiten Feten herangezogen. Ist der zweite Fetus um mehr als 20 % schwerer als der erste Fetus, wird oft die primäre Sectio empfohlen. Allerdings konnte in Studien erst ab 40 % Gewichtsunterschied ein signifikant erhöhtes Mortalitätsrisiko für den zweiten Feten dokumentiert werden (Kontopoulos et al., 2004).
Monochoriale Zwillingschwangerschaften haben ein erhöhtes Risiko für einen schlechten Schwangerschaftsausgang wegen des Risikos für die Entwicklung eines feto-fetalen Transfusionssyndroms, einer erhöhten Frühgeburtsrate, einer erhöhten Rate an intrauteriner Wachtsumsretardierung und erhöhter Fehlbildungsrate. Einige Experten gehen bei einer vaginalen Geburt von monochorialen Zwillingen von einem etwas erhöhten Risiko für ein intrapartales Blutshifting aus, wobei dies in Untersuchungen nicht belegt werden konnte (Sau et al., 2006).
Vaginale Geburt vs. primäre Sectio: Es existiert nur eine einzige randomisierte Studie, die die vaginale Geburt mit der primären Sectio bei Zwillingsschwangerschaften verglichen hat (Rabinovici et al., 1987). Diese Studie war mit 60 eingeschlossenen Zwillingsschwangerschaften zu klein, um einen Unterschied zwischen den beiden Entbindungsmodi zeigen zu können. Eine größere, aber nur retrospektive Studie aus dem Jahr 2004 zeigte bei über 12.8000 Zwillingsschwangerschaften, dass das Risiko für neonatale Mortalität, APGAR < 7 und Beatmungspflichtigkeit der Kinder bei vaginaler Geburt im Vergleich zur primären Sectio erhöht war. Bei vaginaler Geburt des ersten Zwillings und Sectio des zweiten Zwilling war das Risiko für ein schlechtes Outcome des zweiten Zwillings erhöht. Auf Basis dieser Daten wurde berechnet, dass 272 primäre Sectiones durchgeführt werden müssten, um einen kindlichen Todesfall vor der SSW 36 zu verhindern. Nach der Schwangerschaftswoche 36 wären 1.451 Sectiones erforderlich, um einen Todesfall zu verhindern (Wen et al., 2004).
Verschiedene andere populationsbasierte Studien ergaben ebenfalls ein erhöhtes Risiko für eine kindliche Mortalität und Morbidität bei vaginaler Geburt vs.primäre Sectio (Smith et al., 2005; Herbst et al., 2008).
Da die Risikoerhöhung bei vaginaler Geburt von Zwillingen nur gering erhöht erscheint, kam eine rezente Studie zu dem Schluss, dass eine vaginale Geburt bei Zwillingsschwangerschaft als sicherer und erfolgreicher Geburtsmodus angesehen werden kann (Breathnach et al., 2011).
In Zusammenschau der derzeitigen Literatur kann man sagen, dass die Rate an sekundären Sectiones mit bis zu 35 % bei vaginalem Entbindungsversuch angegeben wird und dass das Risiko für ein schlechtes kindliches Outcome bei vaginalem Entbindungsversuch gering höher zu sein scheint als bei elektiver Sectio. Nach vaginaler Geburt des ersten Zwilling bringt ein aktives Management der Geburtsleitung beim zweiten Zwilling möglicherweise Vorteile für das perinatale Outcome. Sind beide Feten in Schädellage bzw. der zweite Fetus in Beckenendlage, so ist eine vaginale Geburt unter vorheriger ausführlicher Aufklärung und engmaschiger Überwachung möglich.