Priv.-Doz. Dr. Klaus Distelmaier, PhD, FESC
Herz Zentrum Währing, Wien
Atherosklerotische Gefäßerkrankungen gehören zu den führenden Todesursachen weltweit. Trotz der multifaktoriellen Genese stellt die Hyperlipidämie einen maßgeblichen Risikofaktor dar. Die Europäische Gesellschaft für Kardiologie hat einen Leitfaden zum Management von Dyslipidämien herausgegeben. Hier wird eine Anleitung zur Berechnung des individuellen kardiovaskulären (CV) Risikos und der sich daraus ergebenden Cholesterin-Therapieziele skizziert. Die Senkung des Low-Density-Lipoprotein Cholesterin (LDL) wird dabei ins Zentrum des Lipidmanagements gestellt, wobei grundsätzlich das Prinzip „lower is better for longer – even at low risk“ gilt. Alle Patient:innen mit manifester atherosklerotischer Erkrankung weisen ein sehr hohes CV-Risiko auf (LDL-Therapieziel < 55 mg/dl). Patient:innen mit einem hochsignifikanten Risikofaktor wie LDL > 190 mg/dl, Lipoprotein(a) > 180 mg/dl oder einem Blutdruck > 180/110 mmHg haben ein hohes CV-Risiko (LDL-Therapieziel < 70 mg/dl). Patient:innen mit Diabetes mellitus oder Niereninsuffizienz sind je nach Ausprägung einer der beiden Kategorien zuzuordnen. Für alle anderen Patient:innen sollte eine Risikostratifizierung mithilfe der SCORE2-Tabellen erfolgen. Zur Umsetzung dieser definierten Ziele werden Behandlungsalgorithmen empfohlen. An medikamentösen Therapien stehen neben den Statinen und Ezetimib nun auch neuere Substanzen wie die Bempedoinsäure, PCSK9-Hemmer und Inclisiran zur Verfügung. Nachdem das Ausgangs-LDL je nach Therapiekombination um bis zu 85 % abgesenkt werden kann, ist eine Umsetzung der auf den ersten Blick ambitionierten Zielwerte in der Regel möglich. Real-World-Daten zeigen jedoch, dass circa zwei Drittel der Patient:innen ihr LDL-Ziel nicht erreichen.
Die Identifikation und Betreuung von Patient:innen mit Hyperlipidämie findet auf drei Versorgungsebenen statt. Nur wenn die Kompetenzen der einzelnen Instanzen klar definiert sind und es vordefinierte Abläufe für das Schnittstellenmanagement gibt, kann die Umsetzung der Leitlinien und damit die Qualität der CV-Primär- und -Sekundärprävention optimiert werden. Nachdem die Versorgungsstrukturen in Österreich regional sehr variieren, müssen Schnittstellen und insbesondere Kompetenzen den lokal verfügbaren Ressourcen angepasst werden.
Die allgemeinmedizinische Primärversorgung repräsentiert in der Regel den ersten, aber auch den kontinuierlichsten Ansprechpartner für unsere Patient:innen. Das Aufgabenspektrum beginnt bei der frühzeitigen Identifikation von Risikopatient:innen und reicht bis zur Überwachung, Fortführung und gegebenenfalls Eskalation der etablierten Therapien. Ein systematisches Screening sollte im Rahmen der Vorsorgeuntersuchung erfolgen. Patient:innen mit einem LDL von > 190 mg/dl sollten mit Verdacht auf familiäre Hyperlipidämie (FH) frühzeitig an einen niedergelassenen Internisten zur weiteren CV-Risikostratifizierung überwiesen werden. Patient:innen mit einem Lipoprotein(a) > 180 mg/dl besitzen ein vergleichbares Risiko und gehören ebenfalls weiter abgeklärt. Aber auch bei weniger ausgeprägten Hyperlipidämien sollten zu weiterführenden CV-Untersuchungen die Patient:innen zum Internisten überwiesen werden. Ein relevant erhöhtes CV-Risiko beginnt bereits bei einem Lipoprotein(a) > 50 mg/dl. Alle Patient:innen, die ihren definierten LDL-Zielwert nicht erreichen, sollten ebenfalls weitergeschickt werden.
Niedergelassene Internist:innen führen eine strukturierte CV-Risikostratifizierung durch, die neben einer Erhebung von Komorbiditäten und Risikofaktoren auch ein Carotis-Duplex, Echokardiografie, Ergometrie und eventuell eine Zuweisung zu einem Koronar-CT beinhalten. Über das kalkulierte Risiko werden die individuellen LDL-Zielwerte definiert und spezifische, an die Patient:innen angepasste Therapien etabliert. Sollten diese Ziele unter einer maximal tolerierten Kombinationstherapie aus Statin und Ezetimib nicht erreicht werden, gilt es, die Medikation zu eskalieren und gegebenenfalls an Spezialzentren weiter zu überweisen. Andere CV-Risikofaktoren sollten strikt behandelt werden. Bei Verdacht auf Statinintoleranz sollte diese verifiziert werden und die Evaluierung von Alternativtherapien wie die Bempedoinsäure erfolgen. Der FH-Score sollte in allen Patient:innen mit auffälliger familiärer Anamnese für CV-Erkrankungen und einem LDL > 190 mg/dl kalkuliert werden.
Dieser erlaubt eine valide Abschätzung über die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer heterozygoten FH. Es wird bei Verdacht auf eine FH die Überweisung an ein Spezialzentrum empfohlen.
Häufig sind der Myokardinfarkt oder Insult die klinische Erstmanifestation einer atherosklerotischen Gefäßerkrankung. Hier erfolgt im Rahmen der stationären Behandlung oftmals die Erstverordnung einer Lipidtherapie. Nachdem in dieser Risikokonstellation zusätzlich zu dem LDL-Ziel von < 55 mg/dl das LDL auch um zumindest 50 % gesenkt werden sollte, muss in jedem Fall ein Hochdosisstatin (LDL-Senkung ca. 50 %) begonnen werden. Bei Patient:innen mit einem LDL-Ausgangswert > 110 mg/dl sollte direkt eine Kombinationstherapie (LDL-Senkung ca. 65 %) aus Hochdosisstatin und Ezetimib etabliert werden. Die weitere Betreuung sollte vorerst durch Versorgungsebene 2 erfolgen, eine Visite circa 6 Wochen nach CV-Ereignis wird empfohlen. Bei einem LDL > 160 mg/dl gilt es, mit Entlassung die Anbindung an ein Spezialzentrum/Spezialambulanz circa sechs Wochen nach Entlassung zu sichern, da die Notwendigkeit weiterer Therapieeskalationen mit PCSK9-Hemmer, Inclisiran oder Bempedoinsäure sehr wahrscheinlich ist.
Eine weitere Aufgabe umfasst die genetische Diagnostik bei Verdacht auf FH und gegebenenfalls die Eintragung in das österreichische FH-Register sowie die Einleitung eines Kaskadenscreenings, in dem ausgehend von den betroffenen Patient:innen erstgradige und zweitgradige Verwandte untersucht werden.