UIM 01|2019
Neben dem multiplen Myelom stellt die wachsende Vielfalt an „Leichtkettenerkrankungen“ bzw. paraproteinassoziierten lebensbedrohlichen Erkrankungen nicht nur die Hämato-/Onkologie vor Herausforderungen. Bis zu 50 % dieser Erkrankungen manifestieren sich mit renaler Symptomatik und werden durch Nephrologen erstdiagnostiziert.
Gleich vorweg: Die Bezeichnung „Leichtkettenerkrankung“ ist irreführend. Die Produkte einer monoklonalen B- oder Plasmazellpopulation, die den Erkrankungen den Namen gegeben haben, beschränken sich nicht nur auf leichte Ketten und im Besonderen auf die freien Leichtketten. Auch schwere Ketten und nicht zuletzt vollständige, pathophysiologisch funktionale Immunglobuline können als Pathogene wirken oder Ausdruck einer malignen Zellpopulation sein. Daher beschreibt die Bezeichnung der paraproteinassoziierten Erkrankung die vielgesichtigen Erkrankungsbilder sicherlich treffender.1
Immerhin 20–50 % der paraproteinassoziierten Systemerkrankungen werden im Rahmen einer nephrologischen Abklärung erstdiagnostiziert.2 Es sollte daher bei jeder Abklärung proteinurischer Patienten eine entsprechende Paraprotein-Diagnostik im Serum und im Harn durchgeführt werden.
Die Diagnostik sollte laborchemisch folgende Parameter enthalten:
Das Vorliegen eines klassischen M-Spikes in der Serumelektrophorese kombiniert mit einer positiven Immunfixation im Serum ist immer beweisend für das Vorliegen eines Paraproteins. Bei Fehlen eines M-Spikes und negativer Immunfixation muss den freien Leichtketten ein hohes Ausmaß an Interesse geschenkt werden. Wenn sich eine pathologische Ratio der freien Kappa/Lambda-Leichtketten zeigt, müssen die verschobenen Grenzwerte im Rahmen einer Niereninsuffizienz einbezogen werden.
Die Immunfixation und die Quantifizierung des Paraproteins aus dem Harn ist ein wertvolles Instrument zur Erstdiagnose und auch zur weiteren Verlaufskontrolle, sollte jedoch immer aus dem 24-Stunden-Harn erfolgen. Oft ist die Immunfixation im Harn positiv, wenn im Serum kein Nachweis gelingt.3
Sollte sich der initiale Verdacht auf das Vorliegen eines Paraproteins erhärten, ist eine klare und eindeutige Differenzierung der Nieren-Pathologie notwendig. Letztlich kann nur eine Biopsie eine eindeutige Diagnose liefern.
Weiterführend ist ein bildgebendes Verfahren zur Feststellung von Osteolysen und/oder extramedullärer Tumormanifestation erforderlich (Low-Dose-Ganzkörper-CT, PET-MRT/PET-CT). Die Durchführung von konventionellen Röntgenaufnahmen nach dem „Pariser Schema“ ist in den Hintergrund getreten.2, 4
Als nephrologischer Notfall gilt das akute oligoanurische Nierenversagen aufgrund einer Paraprotein-Erkrankung. Kommt es z. B. aufgrund von multiplen hochaktiven Osteolysen zu einer Hyperkalziämie, kann diese durch Ausbildung von Kalziumpräzipitaten zum akuten Nierenversagen führen. Die Therapie der Wahl ist die umgehende Senkung des Serumkalziumspiegels durch konservative Maßnahmen wie Hydrierung, forcierte Diurese und Verabreichung von Kalzitonin. Falls erforderlich, darf mit der Einleitung einer Hämodialyse nicht gezögert werden. Weiters ist die zeitnahe Blockade der osteolytischen Prozesse erforderlich. Hier hat sich in den letzten Jahren zunehmend der Antikörper gegen RANK-L (Denosumab) in der First Line durchgesetzt.5 Nach Behebung des akuten Zustandsbildes ist der rasche onkologische Therapiestart von essenzieller Bedeutung.
In seltenen Fällen kommt es im Beisein von Tamm-Horsfall-Protein (THP) in den Tubuli zur Bildung von Eiweißzylindern aus Paraproteinen, sogenannten Casts. Wenn diese in den Tubuli durch ihre mechanische und toxische Wirkung zum Nierenversagen führen, spricht man von der sogenannten Cast-Nephropathie. Die definitive Diagnose kann auch hier nur durch eine Biopsie gestellt werden, und nur durch eine eindeutige Diagnose kann eine adäquate Therapie eingeleitet werden.
Vor einigen Jahren entstand der Gedanke, durch die direkte mechanische Entfernung der Paraprotein-Anteile, insbesondere der freien Leichtketten, die weitere Bildung von Casts zu verhindern und so die Nierenfunktion nachhaltiger wiederherzustellen. Hierzu wurde eine sogenannte High-Cut-off-(HCO-)Dialysemembran entwickelt, die aufgrund ihrer Porengröße geeignet ist, auch freie Leichtketten zu filtrieren. Zwei multizentrische Studien untersuchten die Wirksamkeit dieser HCO-Dialyse. Die Ergebnisse der seit 2008 am längsten laufenden Studie, des EuLITE Trials6, 7, sind bislang noch immer nicht publiziert. Erste Resultate wurden jedoch als Poster 2016 im Rahmen der ASN vorgestellt. Die Daten dieses Trials ergaben keinen Vorteil für die Behandlung mit einer HCO-Membran verglichen mit einer konventionellen Dialyse im Hinblick auf das 2-Jahres-Überleben (55,8 % vs. 76 %). Allerdings wurden, aufgrund der jahrelangen Laufzeit der Studie, viele Patienten eingeschlossen, die mit Therapieschemata behandelt wurde, die weder Proteasom-Inhibitoren noch IMiDs beinhaltet hatten.
Die zweite große Studie, der MYRE Trial8, 9 der französischen Gruppe um Bridoux, wurde 2017 veröffentlicht. Auch hier zeigt sich im Gesamtüberleben und im primär gewählten Endpunkt der Dialysefreiheit nach 3 Monaten kein Benefit der HCO-Dialyse gegenüber der konventionellen Dialysebehandlung. Im sekundären Endpunkt der Dialysefreiheit nach 6 Monaten jedoch demaskiert sich ein doch deutlicher Vorteil der HCO-Gruppe gegenüber der konventionellen Therapie (56,6 % vs. 35,4%). Dieser bestätigte sich nach 12 Monaten mit 60,9 % vs. 37,5 % Dialysefreiheit. Möglicherweise wurde in diesem Protokoll der primäre Endpunkt (Dialysefreiheit nach 3 Monaten) für einen zu frühen Zeitpunkt gewählt.
Beiden Studien sind, der Seltenheit der Erkrankung wegen immanent, gering „underpowered“.
Beide Studien halten auch eines fest: Der frühestmögliche Beginn der onkologischen Therapie ist der wichtigste Faktor für das Überleben der Betroffenen. Aber vielleicht kann neben dem Überleben die langfristige Dialysefreiheit durch intensivierte Therapie erreicht werden.
Neben diesen mechanistischen Ansätzen gibt es auch pharmakologische Ansätze, die Bildung von Casts zu verhindern. In-vitro-Modelle mit kompetitiver Inhibierung der Kobindung von THP liefern Hinweise, dass dieser Therapieansatz möglicherweise eine neue Strategie in der Behandlung der Cast-Nephropathie darstellen könnte. Bis diese Substanzen jedoch zur klinischen Prüfung gelangen, werden noch einige Jahre vergehen.10, 11
Neben dem multiplen Myelom als bekanntester paraproteinassoziierter maligner Systemerkrankung sind in den letzten Jahren zunehmend weitere nichtmaligne Paraprotein-Erkrankungen ins Rampenlicht gerückt. Auch hier gilt: Ohne Biopsie (Niere und Knochenmark) keine definitive Diagnose. Die sogenannte „Silent Site“-Biopsie an den kleinen Speicheldrüsen oder des tiefen Rektums sollte immer nur dann erfolgen, wenn die Biopsie des primär affizierten Organs mit einem zu hohen Risiko für den Betroffenen verbunden ist.
Als Vorreiter dieser Gruppe gilt die Monoclonal Gammopathy of Renal Significance (MGRS).12 Unter dieser Entität werden alle nichtmalignen renalen Affektionen, die direkt oder indirekt durch die pathogene Wirkung eines Paraproteins verursacht werden, zusammengefasst. Da bei diesem Formenkreis das monoklonale Paraprotein ursächlich zu der Schädigung des Organes beiträgt, stellt das MGRS eine klare hämatologische Behandlungsindikation dar, obwohl nicht die Kriterien eines multiplen Myeloms erfüllt werden.
Die Bezeichnung MGRS beinhaltet eine Vielzahl von unterschiedlichen Pathologien und Erkrankungen mit sehr unterschiedlichen pathophysiologischen Mechanismen. Neben den klassischen Nierenerkrankungen wie der membranoproliferativen Glomerulonephritis (MPGN), der membranösen Glomerulonephritis oder einer Immunkomplex-GN wurden auch Fälle von Paraproteinen beschrieben, die wie Anti-GBM-Antikörper oder PLA-2-R-Antikörper wirken können. In den Fokus rückt immer mehr auch der Zusammenhang zwischen Komplementsystem und Paraproteinen, exemplarisch in der C3-Nephropathie13 (Abb. 1).
Das klassische Modell der MGRS ist strenggenommen die paraproteinassoziierte Amyloidose (Abb. 2). Sie kann durch leichte Ketten (AL-), schwere Ketten (AH-) oder Kombinationen in Erscheinung treten.
Die Krankheitsbilder aus dem Formenkreis der MGRS unterscheiden sich vor allem durch ihre Dynamik und damit ihre Prognose von einem klassischen multiplen Myelom. Die Therapien, die zum Einsatz kommen, sind grundsätzlich dieselben, wie sie beim Myelom angewendet werden. Allerdings können bei Patienten mit einem MGRS oft deutlich längere krankheitsfreie Zeitspannen erreicht werden. Jene Patienten, die sich einer autologen Stammzelltransplantation unterziehen, weisen nicht nur ein besseres renales Ansprechen, sondern auch ein besseres Gesamtüberleben als Patienten mit einem multiplen Myelom auf.14
Durch Verbesserung des progressionsfreien Überlebens durch die modernen und wirksameren Therapiemodalitäten beim multiplen Myelom wie auch das verbesserte progressionsfreie Überleben bei der Behandlung der MGRS stellt sich auch für Nephrologinnen und Nephrologen eine entscheidende Frage: Wie gehe ich mit Patienten mit multiplem Myelom und dialysepflichtiger Niereninsuffizienz in Hinblick auf eine Nierentransplantation um? In einem rezenten Review15 haben sich die Autoren mit diesem Thema auseinandergesetzt.
Für die Transplantationslistung von Patienten mit multiplem Myelom wurde keine allgemeine Empfehlung ausgesprochen; jedoch sollte diese nicht kategorisch ausgeschlossen werden, insbesondere wenn die Aussicht des progressionsfreien Überlebens länger/besser ist als die zu erwartende Lebenserwartung an der Dialyse selbst.
Als Grundvoraussetzungen gelten hier neben den bislang angelegten Kriterien für eine Transplantation aus hämatologischer Sicht jedenfalls eine gute komplette oder partielle Remission über zumindest 1 Jahr.16
Bei IMiDs Vorsicht geboten: Wenn Patienten gelistet werden, so muss die Therapie mit Immunmodulatoren (IMiDs, z. B. Thalidomid) rechtzeitig beendet werden. Es kann zu akuten Abstoßungsreaktionen unter IMiD-Therapie kommen, die in allen bislang beschriebenen Fällen zu einem fulminanten Verlust des Transplantates geführt haben.17, 18
Für Patienten mit MGRS stellt sich die Situation anders dar. Hier gilt es, zunächst die Grunderkrankung ausreichend zu behandeln. Kann eine Eradikation des Paraproteins erreicht werden, sollten diese Patienten jedenfalls für eine Nierentransplantation gelistet werden.
Das klassische MGUS ohne Krankheitsrelevanz tritt in den Hintergrund. Die vollständige diagnostische Aufarbeitung nicht nur des klassischen multiplen Myeloms, sondern aller paraproteinassoziierten Erkrankungen ist von essenzieller Bedeutung. Durch die interdisziplinäre Zusammenarbeit bei Diagnose und Therapie durch Hämato-/Onkologen und Nephrologen kann bei vielen Patienten der Verlust der Organfunktion verhindert werden. Bei verspäteter Diagnose und bereits manifestem terminalen Nierenversagen besteht zukünftig für diese Patienten die Chance, eine langanhaltende Remission ihrer paraproteinassoziierten Erkrankung zu erlangen, wenn sie mit adäquater Therapie behandelt werden. Jene Patienten, die eine protrahierten Remission erreichen, qualifizieren sich auch für eine Nierentransplantation, und es kann ihnen damit ein dialysefreies Überleben ermöglicht werden.