Von der monoklonalen Gammopathie unklarer Signifikanz zum Multiplen Myelom

Die monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz (MGUS) beruht auf einer Proliferation klonaler Plasmazellen oder lymphoplasmozytischer Lymphozyten. Der Begriff MGUS wurde 1978 von Robert Kyle geprägt und bezeichnet den laborchemischen Nachweis kompletter oder inkompletter Immunglobuline im Serum bei fehlender klinischer Symptomatik.1 Dabei präsentieren sich die monoklonalen Immunglobuline als sogenanntes Paraprotein bzw. als M-Gradient in der Eiweißelektrophorese. Meist handelt es sich bei der Entdeckung um einen Zufallsbefund. Im weiteren Verlauf kann sich daraus eine Plasmazellneoplasie, ein B-Zell-Lymphom oder eine Amyloidose entwickeln.2 Gesichert ist die Bedeutung als Präkanzerose für das Auftreten des multiplen Myeloms.3 Daher sowie aufgrund der heutigen verbesserten Therapieoptionen ist bei bekanntem MGUS die Indikation zur sorgfältigen Diagnostik und Observanz gegeben. Je nach Paraprotein werden 3 Subtypen unterschieden: IgM-MGUS, Non-IgM-MGUS und Leichtketten-MGUS (LC-MGUS) (Tab.).4

Screening auf MGUS

Die Inzidenz steigt mit dem Lebensalter und liegt laut Literatur bei etwa 3 % bei Personen über 50 Jahre und bei etwa 5 % bei Personen über 70 Jahre.5 Trotz Studienergebnissen, die durch Observanz eines MGUS vor definitiver Diagnose eines multiplen Myeloms ein um 13–15% verbessertes Gesamtüberleben (OS) belegen, gibt es derzeit keine offiziellen Screeningempfehlungen.6–8

iStopMM-Studie

Die große prospektive isländische iStopMM-Studie untersucht aktuell die Fragestellung, inwiefern sich ein Screening im Hinblick auf OS, das krankheitsspezifische Überleben, die psychische Gesundheit und die Kosteneffektivität auswirken kann. Dazu wurden insgesamt 148.708 Personen mit Geburtsjahrgang 1975 oder früher und Wohnsitz in Island kontaktiert. Mehr als die Hälfte davon (54,3 %) stimmten einem Screening zu. Innerhalb von 4 Jahren konnten 75.422 serologische Proben gewonnen werden. Bei 3.358 Teilnehmer:innen wurde ein MGUS diagnostiziert: IgG in 1.923 (57 %), IgM in 721 (21 %), IgA in 400 (12 %), mehr als ein klonaler Spike in 314 (9 %) der Fälle. Basierend auf der Risikostratifizierung der Mayo-Klinik in Hinblick auf Progression waren 1.445 Personen (43 %) Low Risk, 1.356 (40,4 %) Low-intermediate Risk, 547 (16,3%) High-intermediate Risk und 10 (0,30 %) High Risk. Je nach Risikoprofil und Vorliegen eines MGUS oder LC-MGUS erfolgt die Randomisierung in 3 Arme: Arm 1 (n = 1.164) wird nicht mehr kontaktiert und auch nicht über den MGUS-Befund informiert, Arm 2 (n = 1.159) wird nach derzeitigen Guidelines beobachtet, Arm 3 (n = 1.164) erhält intensivierte Diagnostik und Monitoring mittels wiederholter Bildgebung und Knochenmarkpunktion. Teilnehmer:innen mit bereits vorbekanntem MGUS wurden in Arm 2 oder 3 randomisiert.9

Erste Ergebnisse belegen eine bezüglich Alter und Geschlecht standardisierte Prävalenz von 5 % ab einem Alter von über 50 Jahre, was etwas höher liegt, als in bisherigen Studien publiziert. Auch hier zeigt sich ein Zusammenhang zwischen Prävalenz, steigendem Lebensalter und männlichem Geschlecht. Außerdem konnte erstmals gezeigt werden, dass IgA-MGUS in der Prävalenz deutlich langsamer mit steigendem Lebensalter zunimmt.10

Risikofaktoren für Progression

Die relevantesten und am häufigsten verwendeten Risikofaktoren, um die Wahrscheinlichkeit der Progression einzuschätzen, sind ein monoklonales Protein von ≥ 15 g/l, ein abnormaler Quotient der freien Kappa- und Lambda-Leichtketten im Serum und/oder das Vorliegen eines Nicht-IgG-MGUS. Bei Nachweis aller 3 Risikofaktoren spricht man von einem Hochrisiko-MGUS.11 Um eine bereits behandlungsbedürftige zugrunde liegende Erkrankung abzugrenzen, bedarf es einer sorgfältigen Diagnostik mit ausführlicher Anamnese, körperlicher Untersuchung und adäquater Labordiagnostik inklusive Blutbild, Differenzialblutbild, Elektrolyten, Nierenretentionsparameter, Gesamteiweiß und Albumin im Serum, Beta-2-Mikroglobulin, Serumeiweißelektrophorese, Immunglobuline IgG, IgA, IgM quantitativ, Immunfixation im Serum, freier Kappa- und Lambda-Leichtketten im Serum quantitativ einschließlich Berechnung des Quotienten, qualitativen Tests auf Eiweiß im Urin, Albumin im Urin und proBNP im Serum.

Eine Knochenmarkpunktion ist im Rahmen der weiteren Abklärung von diagnostischer Bedeutung, da eine Knochenmarkinfiltration durch monoklonale Plasmazellen von ≥ 10% das Vorliegen eines multiplen Myeloms definiert. Diese Konstellation ist aber bei einem IgG-Paraprotein von < 15 % eher unwahrscheinlich, sodass hier z.B. das European Myeloma Network (EMN) eine Watch-and-Wait-Strategie vorschlägt.12

SliM-CRAB-Kriterien

Für eine Myelomerkrankung typische Symptome, die häufig zum Zeitpunkt der Erstdiagnose vorliegen, sind Knochenschmerzen (ca. 60 %), Hyperkalzämie (ca. 10–20 %), Infektneigung (ca. 10–20 %), Gewichtsverlust (ca. 25 %) und Nierenfunktionseinschränkungen.13 Diese Symptome spiegeln sich in den sogenannten CRAB-Kriterien (Hypercalcemia, Renal Insufficiency, Anemia and Bone Lesions) wider, die gemäß Leitlinien der International Myeloma Working Group (IMWG) auch eine Therapieindikation darstellen.

Als Suchtest für Knochenläsionen eignet sich das Osteo-CT ohne Kontrastmittel. Alternativen sind das MRT oder auch das Low-Dose-PET-CT. Bezüglich Therapienotwendigkeit müssen zudem die sogenannten SLiM-Kriterien („sixty percent bone marrow plasma cells“, „light chain ratio“, „magnetic resonance imaging“) berücksichtigt werden, sodass die Knochenmarkpunktion hier auch therapeutische Konsequenzen nach sich zieht. Die genauen Kriterien zur Differenzierung zwischen MGUS, Smouldering Myelom, symptomatischem Myelom, solitärem Plasmozytom und Plasmazellenleukämie laut IMWG sind der Abbildung zu entnehmen.14

Verlaufskontrolle

Die geltenden Empfehlungen zur Verlaufskontrolle bei MGUS sind abhängig von vorhandenen Risikofaktoren. Prinzipiell sollte jedes MGUS 6 Monate nach Erstdiagnose laborchemisch kontrolliert werden, um die Dynamik eines eventuellen Paraproteinanstiegs zu evaluieren. Sind keine zusätzlichen Risikofaktoren vorhanden, also IgG- und M-Protein < 15 g/l und normale Kappa/Lambda-Ratio der freien Leichtketten, so kann gemäß IMWG und EMN von weiteren Kontrollen Abstand genommen werden.

Wichtig ist jedoch die Aufklärung der Patient:innen über typische klinische Symptome, die eine Krankheitsprogression charakterisieren können und eine sofortige neuerliche Abklärung erforderlich machen. Bei LC-MGUS oder Vorliegen von mindestens einem Risikofaktor werden Kontrollen zumindest 1-mal/Jahr empfohlen.12, 15 Neueste wissenschaftliche Forschungen versuchen, mittels Next Generation Sequencing und Analyse von Genexpressionsmustern noch aussagekräftigere Risikofaktoren für die Progression eines MGUS zu verifizieren. So wurde am ASH 2022 eine sehr interessante Arbeit gezeigt, wo Genexpressionsprofile von 268 MGUS-Patient:innen ausgewertet wurden. Von diesen entwickelten 26 innerhalb von 10 Jahren ein multiples Myelom und wurden daher als Hochrisikogruppe in der Probenauswertung definiert. Die übrigen Patient:innen galten als Standardrisikogruppe. Das Genexpressionsprofil wurde mittels 54.613 Gensonden analysiert. Letztlich wurden 12 Gensignaturen (GS12) identifiziert, die bei allen 268 Patient:innen eine Progression genau vorhersagen konnten. Bislang konnte bei mittels GEP70 definierten High-Risk-MGUS-Patient:innen das Risiko für Progression für 18 % der Patient:innen vorhergesagt werden, durch GS12 wurde diese Zahl auf 73,9 % erhöht. Bei entsprechend niederschwelliger Verfügbarkeit wären solche Methoden eine sehr gute Möglichkeit, um jene Patient:innen zu identifizieren, die von einer intensivierten Observanz wirklich profitieren können.

Resümee

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zwar jeder Myelomerkrankung ein MGUS vorangeht, dass aber ein MGUS nicht zwingend und eigentlich nur selten in ein multiples Myelom transformiert. Die Progressionswahrscheinlichkeit lässt sich anhand der genannten Risikofaktoren einschätzen. Damit verbunden variieren auch Empfehlungen bezüglich Kontrollintervallen und Diagnostik. Wichtig ist eine umfassende Aufklärung betroffener Patient:innen über Risikoprofil und mögliche Anzeichen einer Krankheitsprogression, um einerseits unnötige psychische Belastung durch die Diagnose MGUS vermeiden und andererseits eine rechtzeitige intensivierte Abklärung im Anlassfall einleiten zu können.