SO 08|2023
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Wir haben in der Therapie des Multiplen Myeloms in den letzten Jahren sehr viele Neuerungen erfahren auf Basis einer Vielzahl innovativer Medikamente, die sich als hochwirksam erwiesen haben. Im Moment besonders schwer zu behandeln sind Patient:innen im Rezidiv nach mehreren Vortherapien, die auf vorangegangene Therapien vielleicht schon refraktär sind und unser spezielles Augenmerk erfordern. Wir haben in der letzten Zeit mit Immuntherapien gänzlich neue Therapieansätze und Strategien entwickeln können, sodass wir diesen Patient:innen anhand vielfach durchschlagender Studienergebnisse äußerst wirksame Optionen anbieten können. Im Wesentlichen sind es drei Säulen, auf denen der aktuelle Fortschritt der Immuntherapie beruht: Antikörper-Zytostatika-Konjugate (ADC, Antibody-Drug-Konjugate) wie z. B. Belantamab Mafodotin, bispezifische Antikörper mit je einer Bindungsstelle an der Myelomzelle und der T-Zelle des Immunsystems – was eine direkte myelomspezifische und indirekt über das Immunsystem vermittelte Wirkung erwarten lässt – sowie nicht zuletzt CAR-T-Zellen, derzeit in Form von genetisch modifizierten patienteneigenen T-Zellen, die gegen Zielstrukturen an der Oberfläche von Myelomzellen ex vivo scharf gemacht und den Patient:innen wieder rückinfundiert werden. Die beiden letztgenannten Therapiemodalitäten, bispezifische Antikörper und CAR-T-Zellen, haben zu den aktuell besten Studienergebnissen beigetragen. Prinzipiell sind verschiedene Antigene an der Myelomzelle als Angriffspunkt für zielgerichtete Immuntherapien denkbar, derzeit im Fokus steht BCMA als Target solcher Therapien.
Teclistamab ist beim relapsierten/refraktären Multiplen Myelom zugelassen. Wir sehen aus der Zulassungsstudie MAJESTIC-1 mittlerweile Daten aus einem relativ langen Follow-up von knapp zwei Jahren – es ist das längste Follow-up für einen bispezifischen Antikörper beim Multiplen Myelom. Dabei zeigen sich als Monotherapie Ansprechraten von 63%, davon Komplettremissionen bei 45,5%, also bei knapp der Hälfte der Patient:innen. Die Daten sind hochinteressant, nachdem Patient:innen dieser Studie zuvor schon viele Therapielinien hatten und großteils triple- und pentarefraktär waren, und nachdem wir bislang in diesem Setting nur Therapieoptionen verfügbar hatten, mit denen ein progressionsfreies Überleben von vielleicht wenigen Monaten erreichbar ist. Wenn wir in so einem Setting solche Ansprechraten sehen, dann ist das sehr überzeugend. Das Ansprechen spiegelt sich in einer sehr hohen MRD-Negativitätsrate wider, die mit einem besseren klinischen Outcome vergesellschaftet ist. Von diesem tiefen Ansprechen konnten über 80% der Patient:innen profitieren, was sich wieder in einem längeren progressionsfreien Überleben spiegelt, nämlich von knapp 27 Monaten (PFS im Gesamtkollektiv: 11,3 Monate). Das sind Daten, die in so einem Setting neu sind. Erste Hinweise zeigen ein klar verbessertes Gesamtüberleben (ca. 22 Monate im Gesamtkollektiv, nicht erreicht bei Patient:innen mit einer Komplettremission oder besser). Interessanterweise geht der Erfolg nicht zu Lasten der Verträglichkeit, im Gegenteil, über die Zeit nehmen die krankheitsassoziierten Symptome ab, insbesondere Fatigue und Schmerzen. Parallel dazu kommt es zu einer Verbesserung der emotionalen und physischen Integrität. Die Bewältigung des Alltags wird einfacher. Die Lebensqualität nimmt zu. Eine Nebenwirkung erfahren jedoch nicht ganz drei Viertel aller Patient:innen, nämlich das Zytokinfreisetzungssyndrom (CRS), das hauptsächlich als Grad-1/2-Nebenwirkung auftritt und damit sehr gut managebar ist. Eine zweite Nebenwirkung sind Neurotoxizitäten, ICANS, neurologische Veränderungen, die nicht nur am Anfang, sondern auch später im Therapieverlauf auftreten können. Das Auftreten von ICANS war aber insgesamt mit einer Inzidenz von nur 3% gering. Zu beachten sind allerdings Infektionen auf Basis von Neutropenien sowie Hypogammaglobulinämien, die bei doch 80% der Patient:innen dokumentiert wurden. Eine Unterbrechung der Therapie war dennoch bei weniger als 5% der Patient:innen erforderlich. Immunglobulin-Substitution verringert jedenfalls die Rate schwerer Infektionen signifikant, weshalb wir aktuell in der Klinik Immunglobuline präemptiv substituieren.
Elranatamab ist ein zweiter bispezifischer Antikörper mit Bindung an das B-Zell-Reifungsantigen sowie T-Zellen, der bald eine Zulassung erhalten wird. Relevant dafür sind die MagnetisMM-Studien, aktuell MagnetisMM-3. Ergebnisse aus dieser Studie mit mehr als einjährigem Follow-up sind mit jenen von Teclistamab vergleichbar, bei einem vergleichbarem Patientenkollektiv, mehrfach vorbehandelt, mehrfach (auch penta-)refraktär. Man kann dazu sagen, je weniger Vortherapien und je weniger Risikofaktoren (z. B. keine extramedulläre Erkrankung, niedriger Risiko-Score), desto besser ist das Ansprechen. Auch bei dieser Substanz ist die Ansprechdauer lange. Das Nebenwirkungsprofil ist ebenfalls mit Teclistamab vergleichbar. Aus den MagnetisMM-Studien geht zudem hervor, dass, wenn man die Dosierungsintervalle der Substanz verlängert, z.B. von einmal wöchentlich auf alle zwei Wochen, die Nebenwirkungsrate deutlich verringert wird. Subgruppenauswertungen bei älteren oder gebrechlichen Patient:innen im Alter über 75 Jahre, die wir in der Klinik zunehmend sehen – gerade auch weil die Therapien so gut wirken –, zeigen ähnlich gute Ansprechraten wie bei jüngeren Patient:innen ohne erhöhtem Nebenwirkungsprofil. Zudem scheint Elranatamab auch bei Patient:innen effektiv, die bereits mit bispezifischen Antikörpern oder CAR-T-Zellen gegen BCMA vorbehandelt waren. Nach aktuellem Wissensstand führt also eine Anti-BCMA-gerichtete Vorbehandlung mit CAR-T-Zellen nicht zu einem Wirkverlust nachfolgend applizierter bispezifischer Anti-BCMA-Antikörper, umgekehrt aber doch.
Talquetamab ist ein innovativer (first in class), bereits zugelassener bispezifischer Antikörper gegen ein neues Target auf Myelomzellen, nämlich GPRC5D, zusätzlich zum CD3-Rezeptor auf T-Zellen. Die Zulassung beruht auf der Phase-II-Studie MonumenTAL-1, wobei sich die Wirksamkeit dieses Antikörpers sehr gut in die Aktivität der bereits beschriebenen Antikörper einreiht. Es gibt Ansprechraten von über 70%, der Applikationsmodus alle zwei Wochen wird bevorzugt. Wenn zuvor CAR-T-Zellen verabreicht wurden, ist dieser Antikörper noch sehr wirksam. Nicht ganz unbeeinflusst allerdings ist das Ansprechen von Talquetamab nach einer Vortherapie mit einem anderen bispezifischen Antikörper – mit Responseraten von 44% nach vorangegangener bispezifischer Antikörpertherapie vs. Responseraten von 75% nach vorangegangener CAR-T-Zelltherapie. Letztlich sieht man aus diesen Daten, dass man die Therapien sequenziell verabreichen kann, auch wenn es zu gewissen Wirkverlusten von Therapielinie zu Therapielinie kommt. Die Nebenwirkungen sind vornehmlich CRS wie bei Teclistamab, ebenfalls bei den meisten Patient:innen Grad 1 und 2; detto Neurotoxizitäten mit einer sehr niedrigen Rate an ICANS. Interessanterweise ist die Infektionsrate deutlich geringer als mit BCMA-gerichteten Therapien, was sich damit begründen lässt, dass das Target BCMA nicht ausschließlich auf Myelomzellen exprimiert wird, sondern zu einem gewissen Prozentsatz auch auf normalen B-Zellen, wodurch die Infektabwehr geschwächt wird. GPRC5D, das Target von Talquetamab, ist auf Immunzellen nicht vorhanden. D. h. nicht, dass Infektionen generell kein Thema mehr wären, aber schwere Infektionen sind doch deutlich verringert. Dennoch ist auch dieses Target nicht solitär nur Myelomzellen vorbehalten, sondern findet sich zudem auf Zellen der Haut, Schleimhaut bzw. auch auf Nägeln, was bei etwa der Hälfte der Patient:innen zu bestimmten Nebenwirkungen führt: darunter RASH, allerdings in geringer Ausprägung, mehrheitlich Grad 1 und 2, sowie zu Mundschleimhautveränderungen, die generell eine gewisse Aufmerksamkeit erfordern, nachdem Geschmacksbeeinträchtigungen oder Geschmacksverlust für Patient:innen unangenehm sind und weil allfällig reduzierte Speichelsekretion die Nahrungsaufnahme erschwert. Der Mechanismus für diese Phänomene ist unklar. Die Optimierung des Nebenwirkungsmanagements ist aktuell noch Ziel mehrerer laufender Studien.
Neue Kombinationstherapien werden noch außerhalb der Zulassung geprüft, nichtsdestoweniger sind erste Daten eindrucksvoll und die Konzepte interessant. Rationale der Kombinationstherapien ist die gute Wirksamkeit der Substanzen als Monotherapie bzw. die Überwindung potentieller Resistenzmechanismen der Monotherapien.
Teclistamab + Talquetamab, RedirecTT-1: Es handelt sich hierbei um die Kombination des BCMA-CD3-bispezifischen Antikörpers Teclistamab mit dem GPRC5D-CD3-gerichteten bispezifischen Antikörper in einer Phase-Ib-Studie im weit fortgeschrittenen Setting. Interessant ist festzuhalten, dass die Nebenwirkungen der jeweiligen Einzelsubstanzen – Teclistamab mit Infektionen und Talquetamab mit Geschmacks-, Nagel- und Hautveränderungen – in der Kombination nicht aggraviert wurden, insbesondere wurden CRS oder Neurotoxizität mit diesem Ansatz nicht erhöht, d. h., es gab keinen kumulativen Effekt durch die Kombination. Demgegenüber gab es eine Steigerung der Ansprechraten auf 96% (gegenüber 60–70% mit den jeweiligen Monotherapien), was bereits in der Nähe des Machbaren mit CAR-T-Zelltherapien angesiedelt ist. Wenn die Kombinationstherapie Ergebnisse erzielen sollte, die mit einer CAR-T-Zelltherapie kompetitiv wären, wird man Verfügbarkeit/Machbarkeit und Patientenpräferenzen mitberücksichtigen müssen. Bispezifische Antikörper werden mit relativ geringem Aufwand als Spritze subkutan verabreicht gegenüber einer doch herausfordernden Logistik von CAR-T-Zellen, diese allerdings als Single-Shot-Therapie. Reifere klinische Daten solcher Kombinationstherapien müssen allerdings noch abgewartet werden. Interessant sind jedenfalls erste Ansprechraten bei extramedullärer Erkrankung in der Höhe von 86%. Das sind bislang unerreichte Ergebnisse in einer Hochrisikogruppe, die in den erwähnten Monotherapiestudien zwar auch, aber deutlich weniger profitiert hat. Ähnliches zeichnet sich auch mit CAR-T-Zellen ab, die in diesem Kollektiv Ansprechraten von nur etwa 40% erreichen, d. h., es gibt in dieser Indikation einen besonderen „medical need“.
Talquetamab + Daratumumab; TRIMM-2-Studie: In einem anderen Ansatz wird der bispezifische GPRC5D-CD3-gerichtete Antikörper Talquetamab mit dem CD38-Antikörper Daratumumab kombiniert. Rationale ist ein Wirksynergismus der Talquetamab-mediierten Abtötung von Myelomzellen mit der Daratumumab-induzierten Depletion CD38-exprimierender regulatorischer T-Zellen (Tregs). Die TRIMM-2-Studie hat bereits ein Follow-up von einem Jahr. Cortison wird nicht mehr benötigt. Talquetamab wird nur alle zwei Wochen verabreicht, für Daratumumab wird eine monatliche Formulierung erwartet. Die Kombination erzielt ebenfalls erste sehr gute Ansprechraten von 84% mit einem präliminär verbesserten progressionsfreien Überleben. Was Nebenwirkungen betrifft, wäre u. U. eine gesteigerte Infektionsrate durch die Zugabe des CD38-Antikörpers zu erwarten sowie schwere Hypogammaglobulinämien. Das war in dieser Studie aber nicht der Fall. Es kam zu keiner höheren Infektionsrate, insbesondere nicht zu vermehrt schweren Infektionen. Allerdings wurden Patient:innen regelmäßig mit Immunglobulinen substituiert.
Teclistamab + Nirogacestat, MajesTEC-2-Studie: Die Studie beruht auf der Hypothese, die BCMA-Expression auf Myelomzellen mit dem Gamma-Sekretase-Inhibitor Nirogacestat zu steigern und damit eine größer Angriffsfläche für BCMA-gerichtete Therapien zu bieten und eine Wirksteigerung zu erzielen. MajesTEC-2 ist eine Phase-Ib-Studie, deren erste Ergebnisse mit einer Steigerung der Ansprechraten die Hypothese unterstützen können. Ob die Hypothese hält, was sie verspricht, werden weitere Daten zeigen.
Was CAR-T-Zellen betrifft, sind zwei Präparate bereits seit mehreren Jahren erprobt und zugelassen, nämlich Cilta-cel (Ciltacabtagen autoleucel) und Ide-cel (Idecabtagen vicleucel). Die Versorgungsmöglichkeit war in Österreich, ähnlich wie in Deutschland, gegenüber den USA erst mit Verzögerung gegeben. Die bereits initial hervorragenden Ergebnisse haben zu einem Produktionsengpass geführt, nachdem die Nachfrage sofort rapide angestiegen ist und Produktionsstätten zunächst nur in den USA etabliert waren. Die Zielsetzung besteht allerdings darin, dass wir im nächsten Jahr beide Produkte in Österreich verfügbar haben werden. Für beide Produkte gibt es ausgezeichnete Daten. Tatsächlich ist es ja so, dass CAR-T-Zellen speziell in der Hämatologie zu den Game-Changern zählen und bei aggressiven Lymphomen als solche bereits etabliert sind.
Die CARTITUDE-1-Studie ist eine Phase-Ib/II-Studie mit Ciltacabtagen autoleucel (Cilta-cel), wiederum bei mehrfach vorbehandelten/refraktären Myelompatient:innen. Wir sehen in dieser Studie nach einem 3-Jahres-Follow-up Ansprechraten von 98%. Das ist bislang unerreicht und noch einmal deutlich besser als die Ergebnisse mit den bispezifischen Antikörpern, die schon sehr gut sind. Zur Vorstellung: Es wurden mit konventionellen Onkologika vielleicht Ansprechraten von 30-40% erreicht. Das gilt auch für moderne Medikamente wie etwa CD38-Antikörper, die ja ihrerseits selbst eine neue Ära der Immuntherapie eingeleitet haben. Auch Belantamab mafodotin, das erste der neuen hochwirksamen Chemoimmunkonjugate, erzielte nach mehr als vier Vortherapien Ansprechraten von etwa 40%, bispezifische Antikörper 70% und neu die CAR-T-Zelltherapie mit Ansprechraten von praktisch 100%. Mit Ciltacabtagen autoleucel ist ein tiefes Ansprechen möglich, die MRD-Negativitätsrate liegt zwischen 70 % und 80%, und auch das korreliert mit einem besseren klinischen Outcome, einem deutlich besseren progressionsfreien Überleben und dem Trend zu einem längeren Gesamtüberleben. So zeigt sich in CARTITUDE-1 eine PFS-Rate von rund 50% nach über 30 Monaten, und es sind immer noch beinahe 70% der Patient:innen in Komplettremission.
CARTITUDE-4-Studie: Nach diesen initialen Daten einer einarmigen Studie wurde Cilta-cel in der Phase-III-Studie CARTITUDE-4 mit einem aktuellen Therapiestandard bei Lenalidomid-refraktären Myelom-Patient:innen verglichen, nämlich Pomalidomid/Bortezomib/dex (PVd) oder Daratumumab/Pomalidomid/dex (DPd), und hat gegenüber diesem modernen Therapieregime bislang eine Reduktion des Progressionsrisikos um 74% erzielt, weitgehend, aber nicht ganz unabhängig von der Anzahl der vorangegangenen Therapielinien – das beste Ergebnis zeigt sich bei nur einer vorangegangenen Therapielinie. All das spricht dafür, dass das Produkt im refraktären Setting hochwirksam ist, aber das volle Potential erst noch in frühen Therapielinien zur Geltung bringen wird.
Daten zu Idecabtagen vicleucel stammen aus den KarMMa-Studien, aktuell aus der im New England Journal of Medicine publizierten Phase-III-Studie KarMMa-3 bei Patient:innen mit zwei bis vier vorangegangenen Therapieregimen (inkl. immunmodulatorische Substanzen, Proteasomeninhibitoren und Daratumumab) („triple-class-exposed“). Gemessen am progressionsfreien Überleben profitieren alle Pati-ent:innen unabhängig von Hochrisikocharakteristika (wie insbesondere Hochrisikozytogenetik oder hohe Tumorlast) vergleichbar gut mit einer Reduktion des Progressionsrisikos zwischen 40% und 60%. Eine Ausnahmen sind u. U. Patient:innen mit R-ISS-Stadium-III-Erkrankung.