Univ.-Prof.in Dr.in Erika Jensen-Jarolim
Institut für Pathophysiologie und Allergieforschung, Zentrum für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie, Medizinische Universität Wien
Die atopische Dermatitis (AD; Neurodermitis) ist die häufigste chronische Hautkrankheit des frühen Kindes- und Jugendalters mit einer Prävalenz von 10–20 %, je nach geografischer Lage und Genauigkeit epidemiologischer Studien. Österreich liegt mit einer Prävalenz von 10–15 % im Mittelfeld. In Russland ist die Häufigkeit wesentlich geringer (< 5 %), in Finnland oder Schweden dagegen sehr hoch (> 20 %) – und das, obwohl die Länder geografisch benachbart liegen. Diese teils großen Unterschiede könnten u. a. durch „systemische“ Faktoren erklärt werden, wie Art und Qualität der Wasserversorgung, Einsatz von Antibiotika im Bereich der Medizin und Landwirtschaft etc.
Die AD ist durch eine Rötung der Haut mit Schwellungen, Schuppung und teilweise Bläschenbildung (vor allem der Hand- und Fußflächen) sowie Nässen gekennzeichnet. Unterschiedliche Hautareale können unterschiedlich stark betroffen sein, allerdings gibt es sogenannte Prädilektionsstellen: Bei Säuglingen und Kindern sind oft die Wangen und Streckseiten der Extremitäten betroffen, bei Erwachsenen sind typischerweise die Beugeseiten der Arme und Beine befallen.
Ein beständiger Juckreiz ist für viele Patienten das quälendste Symptom, auch nachts kommen sie nicht zur Ruhe. Der Juckreiz verführt zum Kratzen, was den Zustand der Haut weiter verschlechtert: An den blutig gekratzten Stellen können pathogene Keime eindringen, es kommt zu sekundären Infektionen an der Haut. Diese werden häufig antibiotisch behandelt. Die wiederkehrenden Antibiotikagaben wirken sich wiederum ungünstig auf die Keimbesiedelung der Haut aus: Die natürliche Flora wird in ihrer Vielfalt reduziert, pathogene Keime nützen die entstandene Nische – ein Teufelskreis.
Neben exogenen Auslösern (Rauchen, Umweltfaktoren) und endogenen Faktoren (Stress, hormonelle Veränderungen) spielt die genetische Disposition eine wichtige Rolle in der Pathogenese der AD. So haben Kinder von Atopikern ein erhöhtes Risiko, bereits in jungen Jahren eine Neurodermitis zu entwickeln. In unseren Breiten sind Menschen mit hellem Hauttyp und (rot-)blonden Haaren häufiger betroffen.
Verantwortlich für die genetische Veranlagung sind u. a. Mutationen im Filaggrin-(FLG-)Gen. Das Protein Filaggrin ist an der Bildung der Keratinschicht und somit der Barriere und Hydratation der Haut beteiligt. Dementsprechend stehen FLG-Mutationen in Zusammenhang mit dem Barrieredefekt bei Neurodermitis: Die geschwächte Barriere erleichtert das Eindringen von Allergenen, Umweltschadstoffen und pathogenen Keimen (z. B. Staphylococcus aureus) und bedingt die erhöhte Entzündungsbereitschaft atopischer Haut.
Immunologische Vorgänge: Zur Pathogenese gehören – neben dem Zusammenbruch der Hautbarriere – eine Dysfunktionalität sowohl der angeborenen als auch der adaptiven Immunantwort, einschließlich einer unausgewogenen Zunahme von T-Helferzellen vom Typ 2 (Th2) und einer Hyperimmunglobulinämie E. Die Th2-vermittelte Immunität zielt prinzipiell darauf ab, Parasiten zu beseitigen und die barrierespezifische und mukosale Immunität zu stärken. Eine exzessive und chronische Aktivierung dieser Signalwege kann jedoch schädlich statt protektiv sein. Typ-2-Immunantworten nehmen ihren Ausgang an der epithelialen Barriere, wo Alarmine wie TSLP („thymic stromal lymphopoietin“), IL-25 und IL-33 lymphoide Zellen des angeborenen Immunsystems, Th2-Zellen und B-Zellen aktivieren. Effektoren der Typ-2-vermittelten Immunantwort inkludieren sowohl Immunglobulin E (IgE) als auch Effektorzellen wie Eosinophile, Basophile und Mastzellen; IL-4, IL-5, IL-9, IL-13 und IL-31 werden von aktivierten Th2- und Th22-Zellen sezerniert und führen zu atopischer Erkrankung.
Bereits in der frühen Kindheit prägt die Wechselwirkung des Immunsystems mit dem Mikrobiom den späteren Verlauf von Immunreaktionen und beeinflusst die Neigung zu Allergie und Autoimmunerkrankungen. Ein funktionierendes, balanciertes Mikrobiom ist die Voraussetzung für eine normale Entwicklung und die Erhaltung der Gesundheit. Ein Ungleichgewicht der mikrobiellen Flora zu Gunsten von Pathogenen kann Erkrankungen auslösen oder verstärken.
Auf der einen Seite nehmen Wirtsfaktoren wie Alter, Geschlecht, Umweltfaktoren und Hygiene Einfluss auf das Mikrobiom, auf der anderen Seite beeinflusst das Mikrobiom die Wirtsimmunität und die Kolonisation mit pathogenen Keimen. So sind hautbesiedelnde kommensale Bakterien in der Lage, dendritische Zellen und T-Lymphozyten zu aktivieren, um eindringende Bakterien zu bekämpfen oder auch Immuntoleranz zu induzieren.
Je vielfältiger das Mikrobiom, desto besser ist der Mensch vermutlich vor atopischen Erkrankungen geschützt. Die Art der Kolonisierung wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst, darunter Schwangerschaft und Geburtsweg, Antibiotika-Einnahme, Nahrung, Umwelt, Alterung etc.
Schwangerschaft und Geburt: Die Schwangerschaft stellt generell eine immunologische Ausnahmesituation dar, da in der Plazenta fetale und maternale Zellen direkt aufeinandertreffen. Aufgrund der genetischen Unterschiede – die Hälfte der genetischen Informationen des Fetus stammen vom Vater – sind die Zellen des Fetus und der Mutter mit unterschiedlichen Oberflächenmolekülen ausgestattet. Das mütterliche Immunsystem müsste den Fetus eigentlich als „fremd“ erkennen und ähnlich wie ein Transplantat abstoßen. Diverse maternale Toleranzmechanismen in der Plazenta, basierend auf einer starken Th2-Immunantwort, verhindern dies.
Zusammen mit der für AD typischen überbordenden Zunahme der Th2-Zellen ist die atopische Schwangere mit einer Welle von Th2-Zytokinen konfrontiert – eine mögliche Erklärung dafür, dass es in der Schwangerschaft häufig zu einer Verschlechterung des atopischen Ekzems kommt. Man spricht von einer sogenannten „atopic eruption of pregnancy“. Das ist insofern problematisch, als dass die Therapieauswahl in der Schwangerschaft begrenzt ist. Nach Möglichkeit sollten Frauen bereits vor einer geplanten Schwangerschaft beraten werden, und es sollte versucht werden, die Hauterkrankung in den Griff zu bekommen. In schweren Fällen ist ein Konsil zwischen Dermatologie und Gynäkologie empfehlenswert, denn es geht auch um die Geburtsvorbereitung.
Mit der Geburt beginnt die Keimbesiedelung des menschlichen Körpers – wobei sich die Art der Besiedelung möglicherweise auf die spätere Gesundheit auswirken kann. Es konnte gezeigt werden, dass bei einer normalen Geburt hauptsächlich Milchsäurebakterien und andere Keime der mütterlichen Vagina auf Haut und Schleimhäute des Babys gelangen. Nach einem Kaiserschnitt überwiegen dagegen Staphylokokken und andere Hautbakterien.1 Das Kind einer atopischen Mutter, deren Haut durch eine Fehlbesiedelung gekennzeichnet ist (z. B. durch S. aureus), wird bereits bei der Geburt (speziell bei einem Kaiserschnitt) mit diesen „pathogenen“ Keimen konfrontiert. Es besteht beispielsweise ein erhöhtes Risiko für eine Staphylokokken-Sepsis. Eine Möglichkeit, das Kind zu schützen, besteht in der Vermeidung dieses Hautkontakts bzw. in der Einleitung einer aseptischen Geburt. Von Vorteil könnte es sein, das Neugeborene in Kontakt mit den Vaginalkeimen der Mutter zu bringen.
Übertriebene Hygiene: Zu häufiges und langes Duschen, vor allem mit Seifen und Duschgelen, die einen stark alkalischen pH-Wert haben, zerstört den Säuremantel der Haut. Die Barriere der Haut wird durchlässig, und Infektionen mit jenen Mikroorganismen werden begünstigt, die ein alkalisches Milieu bevorzugen, wie z. B. S. aureus. Infektionen mit diesem Keim stellen eine bekannte Komplikation der AD dar. Der Keim besiedelt vorzugsweise aufgekratzte Haut mit Läsionen. Begünstigt wird die Besiedelung durch eine verminderte mechanische Hautbarriere sowie immunologische Defekte in der Atopikerhaut. Für Kinder mit atopischer Dermatitis empfiehlt sich daher das Baden in wohltemperiertem Wasser ohne Badezusätze.
Antibiotikatherapie: Verschiedene kontrollierte Studien haben gezeigt, dass die Einnahme von Antibiotika, wie sie bei AD häufig eingesetzt werden, die Diversität des Mikrobioms reduzieren. Die verringerte Vielfalt geht mit einem erhöhten Risiko für eine Fehlbesiedelung mit pathogenen Keimen einher (z. B. S. aureus im Fall von AD, siehe oben). Darüber hinaus kann eine reduzierte Biodiversität vermehrt Lungenerkrankungen, allergische Rhinitis und Nahrungsmittelallergien nach sich ziehen. Antibiotika in der Schwangerschaft (pränatale Antibiotikaexposition) sind mit einem erhöhten Risiko des Kindes, Asthma zu entwickeln, assoziiert.
Umwelt: Immer mehr Menschen leben in der Stadt und haben reduzierten Kontakt mit der Natur. Das wirkt sich negativ auf die Diversität der Mikrobiota aus, mit den oben beschriebenen Folgen. Umgekehrt haben Studien gezeigt, dass sich ein Aufenthalt am Bauernhof günstig auf die Atopie/Allergie auswirkt.
Das scheint allerdings nicht für jede Art von Bauernhof zu gelten. Eine US-amerikanische Studie zeigte, dass Kinder von Mitgliedern der amischen Glaubensgemeinschaft seltener als andere Kinder unter Asthma leiden. Als Vergleichspopulation wurden Hutterer herangezogen, die wie Amische in ländlichen Regionen wohnen, sich von Produkten aus der Landwirtschaft ernähren und einen ähnlichen ethnischen Hintergrund aufweisen. Während die Amischen jedoch die traditionelle Landwirtschaft unverändert weiterführen, arbeiten Hutterer auf großen Farmanlagen, verwenden moderne landwirtschaftliche Maschinen und halten Kühe in standardisierten Großställen. Die Kinder der Hutterer wachsen daher auch weniger unmittelbar als amische Kinder in der Umgebung der landwirtschaftlichen Tierhaltung auf. In der Studie litten nur 5 % der amischen und ca. 21 % der hutterischen Kinder im Alter von 6–14 Jahren an Asthma.2
Die protektiven Faktoren vom Bauernhof schützen nicht nur dessen Bewohner, sondern auch die Anrainer in einem gewissen Abstand von Bauernhöfen, so das Ergebnis einer niederländischen Studie.3 Menschen, die im Umkreis von 327 m zu einer Rinder- oder Schweinefarm leben, wiesen ein niedrigeres Atopie-Risiko auf, ab einer Entfernung von > 500 m war der Schutzfaktor nicht mehr gegeben. In anderen Worten: Der protektive Faktor muss sich in der Umgebungsluft befinden.
Das Wissen um den „Bauernhof-Schutzfaktor“ lässt sich therapeutisch bzw. präventiv einsetzen. So wurden aus Stallstäuben einerseits bestimmte protektiv wirkende Keime isoliert, andererseits wurde ein sowohl in der Milch als auch im Urin der Kuh vorkommendes lösliches Protein entdeckt, welches damit behandelte Mäuse vor Allergien und Asthma zu schützen vermochte.4 Eine derzeit in Österreich laufende klinische Studie untersucht, ob sich die Immunstärkung vom Bauernhof in Pillenform („Kuhstallpille“) positiv auf den Gesundheitszustand von Menschen mit Birkenpollenallergie auswirkt. Lassen sich die positiven Ergebnisse aus dem Tiermodell auf den Menschen übertragen, könnte die „Kuhstallpille“ in Zukunft zur Prophylaxe oder therapiebegleitend zur Immunstärkung eingesetzt werden. Erste Daten werden im Herbst 2019 erwartet.
Die Anwendung von Probiotika zur Behandlung atopischer Erkrankungen wurde in zahlreichen Studien untersucht, und es scheint so, dass prä- und perinatale Probiotika einen vorübergehenden, wenngleich nichtanhaltenden protektiven Effekt haben. Die dem beobachteten Benefit zugrunde liegenden Mechanismen sind Gegenstand aktueller Forschung. Eine rezent in Nature veröffentlichte Studie zeigte eine negative Korrelation zwischen der intestinalen Kolonisation mit probiotischem Bacillus und jener mit dem humanen Pathogen S. aureus. Verantwortlich für die Verdrängung von S. aureus scheint eine von Bazillen sezernierte Klasse von Lipopeptiden zu sein. Diese inhibieren die für die Kolonisation von S. aureus essenzielle Signalübertragung via Quorum Sensing. Die Studienresultate könnten wegweisend sein für eine probiotikabasierte Methode zur S.-aureus-Dekolonisation und für neue Wege zur Bekämpfung von S.-aureus-Infektionen.5 Die 2015 veröffentlichten Guidelines der World Allergy Organization (WAO) zur Allergieprävention räumte einen Netto-Nutzen von Probiotika in der Prävention von Ekzemen ein und schlug dementsprechend den Einsatz von Probiotika bei atopischen Frauen während der Schwangerschaft und Stillzeit sowie bei Kindern mit hohem Risiko vor.6
Die Therapie bei AD zielt auf die Abheilung entzündeter Läsionen, Reduktion des Juckreizes sowie langfristige Krankheitskontrolle ab. Dafür steht eine Reihe verschiedener Therapieoptionen zur Verfügung, die je nach Schwere der Erkrankung eingesetzt werden.7 Die aktuellen europäischen Konsensus-Leitlinien8, 9 schlagen ein 4-stufiges Behandlungskonzept vor, das für Erwachsene wie folgt aussieht (siehe auch Abb.):
Das 4-stufige Konzept gilt auch für Kinder, allerdings mit weniger Therapieoptionen, da UV-Therapie nicht indiziert und systemische Medikamente für Kinder für die Indikation AD bislang nicht zugelassen sind.
Die Therapie mit Biologika hat auch in der Behandlung der AD Einzug gehalten. Bei Erwachsenen mit moderater bis schwerer AD kann der humane monoklonale Antikörper Dupilumab subkutan eingesetzt werden. Dieser richtete sich gegen die Alpha-Untereinheit des IL-4-Rezeptors, wodurch die IL-4/IL-13-Signalwege – beide zentral in der Th2-Immunantwort – gehemmt werden. In einer randomisierten Phase-III-Studie führte die Therapie mit Dupilumab (zusätzlich zu topischen Kortikosteroiden), verglichen mit Placebo, zu einer signifikanten Ekzem- und Juckreizreduktion bei Patienten mit mittelschwerer bis schwerer AD. Im Hinblick auf Nebenwirkungen kam es in der Dupilumab-Gruppe häufiger zu Reaktionen an der Einstichstelle und Konjunktivitis.10 Einer Metaanalyse zufolge senkt Dupilumab auch das Risiko für Hautinfektionen und Ekzema herpeticum signifikant.11 Eine interessante Beobachtung am Rande: Vereinzelte Fallstudien berichten von einer positiven Wirkung von Dupilumab auf das Haarwachstum bei Patienten mit Alopezie; allerdings wurden auch umgekehrte Fälle beobachtet, d. h. die Entwicklung von Alopezie in Folge einer Dupilumab-Therapie.
Zahlreiche weitere systemische immunmodulatorische Therapien werden aktuell in klinischen Studien zur Behandlung der AD evaluiert, darunter Antikörper gegen IL-13 (Lebrikizumab, Tralokinumab), IL-31 (Nemolizumab) und IL-22 (Fezakinumab), ein Histamin-4-Rezeptor-Blocker (ZPL-3893787) sowie der JAK-Inhibitor Baricitinib.12