DDr.in Katharina Gangl
Fachärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde und Leiterin der Allergieambulanz an der HNO-Klinik der Medizinischen Universität Wien
Die spezifische Immuntherapie (SIT) stellt die einzige kausale Therapie bei Allergien dar. IM FOKUS sprach mit DDr. Katharina Gangl, Fachärztin für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde und Leiterin der Allergieambulanz an der HNO-Klinik der Medizinischen Universität Wien, über aktuelle Allergie-Trends sowie Details zur Wirkweise und Durchführung der SIT.
IM FOKUS: Frau Dozentin Gangl, wie häufig sind Allergien?
Gangl: Seit Anfang des 20. Jahrhunderts lässt sich eine Zunahme allergischer Erkrankungen beobachten, wie Daten aus der Schweiz zeigen: Hier stieg die Prävalenz von 0–1 % um 1900 auf 16 % im Jahr 1995, und der Trend hält weiter an. Schaut man sich die Verbreitung der allergischen Rhinitis an, so betraf diese Erkrankung Anfang der 2000er-Jahre 22 % der europäischen Bevölkerung. Wenngleich die Zahlen in verschiedenen Publikationen stark schwanken, kann man sagen, dass zumindest jeder Vierte in irgendeiner Form von einer Allergie betroffen ist.
Bei der allergischen Rhinitis unterscheiden wir zwischen der pollenbedingten allergischen Rhinitis (Heuschnupfen), die nur saisonal während der Frühlings- und Sommermonate vorkommt, und der ganzjährigen (perennialen) allergischen Rhinitis. Die häufigsten Outdoor-Allergene sind Gräserpollen (> 50 % der Allergiker in Ostösterreich), gefolgt von Birkenpollen und anderen Frühblühern; bei den Indoor-Allergenen führt der Hausstaub. Weiters zu erwähnen sind Nahrungsmittel-, Medikamenten- oder auch Insektengiftallergien, mit denen ich als HNO-Fachärztin aber nicht befasst bin.
Was sind die Gründe für den Anstieg bei allergischen Erkrankungen?
Hier ist die bereits 1989 aufgestellte Hygiene-Hypothese zu nennen. Sie beruht auf der Beobachtung, dass das Aufwachsen mit älteren Geschwistern, die Betreuung in Kinderkrippen oder das Durchmachen von unspezifischen Infektionen in der frühen Kindheit einen gewissen Schutz vor späteren Allergien und Ekzemen vermitteln. Intensive Forschung auf diesem Gebiet identifizierte als weitere Faktoren den Wechsel von traditioneller zu industrialisierter Landwirtschaft sowie insgesamt den Lebensstilwandel in der westlichen Welt. So konnte gezeigt werden, dass Menschen, die schon früh im Leben Kontakt mit Kühen, nichtpasteurisierter Kuhmilch, Heu oder Stroh haben, seltener von allergischer Rhinitis, Asthma oder Neurodermitis betroffen sind. Mittlerweile weiß man, dass diese Effekte vor allem auf der mikrobiellen Vielfalt bzw. auf dem Mangel derselben beruhen. Denn natürlich unterscheidet sich der Mikrobenmix eines traditionellen Bauernhofs stark von dem einer modernen urbanen Umgebung. Viele Menschen leben heute also in einer veränderten Umwelt, und das könnte erklären, warum es immer mehr Allergien gibt.
Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für Allergiker?
Wenn eine Allergie diagnostiziert wurde – immer basierend auf einem Haut- und/oder Bluttest in Kombination mit der Anamnese – gibt es grundsätzlich zwei Behandlungsansätze: eine symptomatische oder eine kausale Therapie.
Symptomatische Therapien sind recht einfach zugänglich, werden bei Bedarf eingesetzt, beseitigen die Ursache aber nicht. Meist kommen Antihistaminika in Form von Tabletten, Nasenspray oder Augentropfen sowie lokales Kortison (oder eine Kombination dieser beiden Medikamentenklassen) zum Einsatz. Dabei wirkt Kortison besonders gegen nasale Obstruktion. Gegen Juckreiz und Hypersekretion wirken beide Medikamentenklassen gut. Vor der langandauernden Anwendung abschwellender Nasentropfen ist zu warnen, da hier die Gefahr der Sucht nach Nasenspray (Privinismus) besteht.
Die einzige kausale Therapie bei Allergien ist die spezifische Immuntherapie (SIT), auch Hyposensibilisierung oder „Allergie-Impfung“ genannt. Sie ist nicht für alle Allergene zuhanden, aber dort, wo sie verfügbar ist, sehr wirkungsvoll. Es ist bekannt, dass eine allergische Rhinitis einen Etagenwechsel durchführen, sprich zu einem allergischen Asthma werden kann. Dies kommt besonders bei kleinen Allergenen, wie z. B. Tierhaar-Allergenen, vor. Ein solcher Etagenwechsel kann durch eine SIT verhindert werden, wie Studien mit von Allergien betroffenen Kindern gezeigt haben. Die Vorteile der SIT liegen also zum einen in der kausalen Therapie der Allergie und zum anderen in der Verhinderung des Fortschreitens der Erkrankung.
Was weiß man über die Wirkweise der SIT?
Es gibt mehrere überlappende wissenschaftlich fundierte Modelle zur Wirkweise der SIT: 1) Die für atopische Erkrankungen typische überschießende Th2-Immunreaktion wird durch die schrittweise Exposition mit immer höher dosierten Allergenen in Richtung einer Th1-Immunantwort verschoben; 2) durch die SIT kommt es zu einer Induktion von B- und T-Zell-Toleranz; 3) ähnlich einer Impfung bewirkt die SIT die Bildung blockierender IgG4-Antikörper, welche ein bestimmtes Allergen abfangen können. Diese drei Modelle haben alle ihre Berechtigung und erklären gemeinsam die Effekte der SIT.
Bei welchen Allergien ist die SIT eine Option?
Mit der SIT kann die sehr gefährliche Insektengift-Allergie effektiv therapiert werden, hierfür sind in Österreich die Dermatologen zuständig. Im Zuständigkeitsbereich der HNO-Fachärzte lassen sich Pollenallergien ausgezeichnet und Hausstauballergien gut mit SIT behandeln. Seltener durchgeführt (aber prinzipiell möglich) wird die SIT bei Allergien auf Tierepithelien oder bestimmte Schimmelpilze.
Für welche Patienten eignet sich eine SIT?
Prinzipiell kann eine SIT bereits ab einem Alter von 5 Jahren durchgeführt werden – vorausgesetzt, das Präparat ist für diese Altersgruppe zugelassen. Bei der Gräserpollen-Tablette ist dies beispielsweise der Fall; Studien zur Birkenpollen-Tablette bei Kindern laufen noch.
Kontraindikationen sind schweres allergisches Asthma oder ein schlecht eingestelltes Asthma. In der Schwangerschaft sollte man keine SIT initiieren, eine bereits begonnene Therapie kann man aber durchaus weiterführen. Auch bei aktiven Krebserkrankungen oder schweren Autoimmunerkrankungen würde man von der Initiierung einer SIT absehen. Was Medikamenteninteraktionen betrifft, so ist die gleichzeitige Einnahme von Betablockern suboptimal.
Können Sie die Durchführung einer SIT schildern?
Im Beratungsgespräch kläre ich den Patienten zunächst über die Vor- und Nachteile der zwei zur Verfügung stehenden Verfahren auf: die subkutane spezifische Immuntherapie (SCIT) und die sublinguale spezifische Immuntherapie (SLIT).
Die SCIT wird in Spritzenform in der Ambulanz bzw. in der Praxis des Arztes durchgeführt. In der Aufdosierungsphase wird das Allergen (in steigender Dosierung) häufiger gespritzt – etwa alle 1 bis 2 Wochen. In der darauffolgenden Erhaltungsphase wird das Allergen etwa alle 1 bis 2 Monate gespritzt.
Bei der SLIT wird das Allergen in Form von Tabletten oder Tropfen unter die Zunge eingebracht. Die Therapie wird unter ärztlicher Überwachung eingeleitet und danach vom Patienten selbst weitergeführt.
Für beide Arten der Therapie gilt, dass sie für mindestens 3 Jahre durchgeführt werden sollten. Zwar klingt die orale Verabreichung erst einmal einfacher, die Compliance ist hier aber nicht immer optimal. Manche Patienten tun sich sicher leichter, alle paar Monate einen fix vereinbarten Termin einzuhalten, als täglich an ihre Tablette/Tropfen zu denken. Das Risiko für Nebenwirkungen, wie z. B. eine anaphylaktische Reaktion, ist bei der SCIT etwas höher als bei der SLIT, aber insgesamt gering. Die SIT sollte aber jedenfalls in einem Setting initiiert bzw. durchgeführt werden, indem es die Möglichkeit gibt, eine anaphylaktische Reaktion zu behandeln.
Der rechtzeitige Therapiebeginn ist speziell bei saisonalen Allergenen wichtig. Ideal ist der Herbst, dann zeigt sich die Wirkung bereits bei Einsetzen der Pollensaison. Ad Wirkung: Diese kann durchaus für 5 bis 10 Jahre anhalten.
Wie sieht die Versorgungssituation in Österreich aus?
Daten aus Deutschland zufolge erhalten nur ca. 10 % der Patienten, die sich für eine SIT eignen, eine solche Therapie. Für Österreich fehlen konkrete Zahlen, aber man kann mit Sicherheit sagen, dass bei der Anwendung der SIT noch viel Luft nach oben ist.
Die Gründe dafür liegen zum einen im fehlenden Wissen der Patienten um diese Therapieoption, manche haben sich auch mit ihrer Erkrankung abgefunden und meinen, sie schaffen es auch mit symptomatischer Therapie. Daneben war die COVID-19-Pandemie, in der viele Patienten unnötige Ambulanz- und Arztbesuche vermeiden wollten, sicher auch nicht förderlich.
Die Kosten einer indizierten SIT werden von der Krankenkasse getragen. Zur Verordnung berechtigt sind z. B. HNO-Fachärzte, Pneumologen, Kinderärzte und Dermatologen. Die Weiterführung ist aber beispielsweise auch beim Hausarzt möglich – vorausgesetzt, er sieht sich in der Lage, eine mögliche anaphylaktische Reaktion zu behandeln.
Danke für das Gespräch!