Interview

Wenn die Natur rebelliert: Klimawandel und der Anstieg von Allergien sowie Asthma

Allergische Erkrankungen und Asthma haben in den letzten Jahrzehnten stark zugenommen. Menschen, die an Allergien oder Asthma leiden, bemerken die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels deutlich. Wir sprachen mit Univ.-Prof.in Dr.in Erika Jensen-Jarolim über die Einflüsse von Umweltfaktoren auf Allergien und Asthma und darüber, warum die Gesundheit der Menschen nicht isoliert von der Umwelt betrachtet werden kann.

UNIVERSUM INNERE MEDIZIN: Frau Prof.in Jensen-Jarolim, das Konzept der One Health ist in aller Munde. Welche Bedeutung hat das Konzept für Sie als Immunologin und Allergologin?

Univ.-Prof.in Dr.in Erika Jensen-Jarolim: Das Konzept der One Health stammt ursprünglich aus der Veterinärmedizin, die bereits viel früher erkannt hat, dass Menschen, Tiere, Pflanzen und Umwelt miteinander verbunden sind und sich gegenseitig beeinflussen und dies Auswirkungen auf Gesundheit und Krankheit hat. Man erkennt die Zusammenhänge und weiß, dass wir nicht über den isolierten Menschen sprechen können, sondern dass auch die Umwelt, und besonders Umweltverschmutzung und Klimakrise, berücksichtigt werden müssen. Der One-Health-Ansatz wurde mittlerweile von der WHO aufgegriffen und ist auch in der Allergie angekommen, denn Allergene kommen aus der Umwelt und sind somit ein Umweltthema.

Werden wir in Zukunft mit einem Anstieg an Allergien rechnen müssen? In welcher Hinsicht haben Klimawandel und die globale Erderwärmung direkten Einfluss auf allergische Erkrankungen oder Asthma?

Laut Statistik Austria ist die Allergie die zweithäufigste chronische Erkrankung in Österreich und betrifft mit 1,7 Millionen Menschen jede:n Fünfte:n, und die Zahlen sind steigend. In manchen Ländern sehen wir, dass Allergieraten von bis zu 40% erreicht werden, und die Prospektive der Europäischen Akademie sagt, dass im Jahr 2050 ca. 50% der Bevölkerung von Allergien betroffen sein werden, weil wir eben diese Umweltfragen nicht in den Griff bekommen, und da stellt sich die Frage, wie all diese Faktoren miteinander interagieren.

Wie können Umwelt- und Luftschadstoffe das Allergierisiko erhöhen oder sich auf bereits bestehendes Asthma auswirken?

Pflanzen werden durch Umweltfaktoren geschädigt – durch Ozonbildung im Straßenverkehr zum Beispiel. Das ist für die Pflanzen ein Stressfaktor, genauso wie die Übersalzung der Straßen im Winter, Trockenschäden im Sommer oder ein mikrobieller Befall, wenn die Pflanze dann geschwächt ist. Viele der Allergene sind Stressproteine, die beim Pflanzenstress vermehrt exprimiert werden. Das heißt, wir haben erstens mehr Pollen, weil die Pflanzen überleben und sich reproduzieren wollen, und zweitens sind die Pollen auch allergenreicher. Wir sehen also deutlich, dass verschiedene Umweltbedingungen zu mehr oder auch gefährlicheren Allergenen führen können.
Ein weiterer Faktor der Umweltverschmutzung ist, dass sie unsere Haut und Schleimhäute schädigt, Ozon z. B. schädigt die Bronchien. Lebt also ein:e Allergiker:in an einer stark befahrenen Straße, dann spürt er/sie die Allergene stärker, weil eben die Schleimhäute durch die Umweltbelastung vorgeschädigt sind. Das betrifft nicht allein die Menschen in der Stadt. Auch auf dem Land gibt es stark befahrene Straßen, und weil die Landbevölkerung zusehends den Lebensstil der urbanen Bevölkerung angenommen hat und gewissen Faktoren gegenüber genauso exponiert ist, ist sie vor Allergien nicht so geschützt, wie man früher beobachtet hat. Außerdem verbinden sich vom Verkehr produzierte Diesel-Abgas-Partikel mit Pollen zu größeren Aggregaten. Das ist für unser Immunsystem ein Gefahrensignal, ein sogenanntes Danger-Signal, das die Allergie noch zusätzlich anregt.

Welche Auswirkungen der Klimaveränderung beobachten Sie auf die Vegetationsperiode von Pflanzen?

Die aktuellen Klimaveränderungen tragen dazu bei, dass sich die Blühzeiten verlängern. Wir sehen nun auch zweimalige Blüten bei manchen Pflanzen, was früher nicht der Fall war. Die häufigsten und stärksten Allergene sind die Gräserpollen, gefolgt von den Baumpollen. Die Gräser blühen ab Mitte Mai bis Ende Juni, aber die Übergangsperiode ist lange, und wir haben zum Teil noch im September und Oktober Gräserpollen in der Luft. Die Information des Polleninformationsdienstes, der das genau verfolgt, ist bei solchen Fragestellungen sehr wichtig. Somit weiß ein:e Allergiker:in, dass auch im Oktober noch die Gräserpollen dafür verantwortlich sein können, wenn die Nase läuft.
Wir beobachten, dass den Pollenallergiker:innen kaum noch Luft zum Atmen bleibt: durch diese längeren Blühzeiten oder auch weil sich gewisse Pollen durch Bepflanzungen immer mehr verbreiten. Zu nennen wäre hier die Rot-Erle, die aufgrund ihrer attraktiven Erscheinungsform zunehmend in Gärten angesiedelt wird und die bereits im Dezember blüht.

Was versteht man unter dem Phänomen des Gewitterasthmas, und inwiefern wird sein Auftreten durch den Klimawandel begünstigt?

Das Gewitterasthma wurde erstmals in Melbourne, Australien, 2016 beobachtet. Da gab es ein extrem starkes Wetterereignis mit sehr vielen Blitzen und stark elektrisch geladenen Luftpartikeln. Gerade in der Phase, in der sich das Gewitter anbahnt und starke Winde, die sogenannten Fallwinde, vorherrschen, hat man das Auftreten sehr vieler Asthmaanfälle beobachtet. Diese Asthmaanfälle haben auch Leute betroffen, die vorher kein Asthma, sondern vielleicht nur einen Heuschnupfen hatten. Seither wurden weltweit bis heute 26 dieser sogenannten epidemischen Gewitterasthmaereignisse (Epidemic Thunderstorm Asthma/ETSA) beschrieben und beobachtet.
Der Mechanismus dahinter sind warme Luftströme und Winde, durch die Pollen und Allergene nach oben in große Gewitterwolken transportiert werden. In diesen sogenannten Haufenwolken werden diese mechanisch in noch kleinere Partikel zerrieben und zusätzlich elektrisch aufgeladen. Nach Abkühlung in der Wolke gelangen sie mit den starken Fallwinden zurück an die Erdoberfläche und werden dann von den Allergiker:innen tief eingeatmet, weil die Partikel kleiner sind und tiefer eingeatmet werden können – und so kommt es zu diesen Asthmaanfällen.
Wir beobachten auch in Österreich zunehmend stärkere Gewitter mit einer hohen Blitzfrequenz. Der österreichische Polleninformationsdienst ist mit der Zentralanstalt für Meteorologie und Geodynamik vernetzt und kann vor Gewitterasthma warnen. Wenn man also unter Heuschnupfen leidet und bei einem Gewitter Atemnot bemerkt, dann sollte man Innenräume aufsuchen und danach eventuell von einem/einer Lungenfachärzt:in oder Allergolog:in abklären lassen, ob es sich um einen Asthmaanfall gehandelt haben könnte. Personen, die bereits Asthma haben, sollten berücksichtigen, dass der Schwellenwert bei Gewitter weiter herabgesetzt ist und sie einen Asthmaspray bei der Hand haben sollten.

Die erhöhte Feuchtigkeit, kombiniert mit höheren Temperaturen und CO2-Werten, kann zu einem vermehrten Vorkommen von Schimmelpilzen führen. Welche Gesundheitsrisiken birgt eine Exposition gegenüber diesen?

Bei Schimmelpilzen denkt man zuerst an schimmelige Wände, feuchte Keller oder an schimmeliges Essen. Man muss aber auch wissen, dass es in der Natur sehr viele Schimmelpilze gibt, wie etwa Alternaria alternata. Das ist ein Schimmelpilz, der praktisch überall vorkommt und dessen Sporenflug eine saisonale Belastung im Hochsommer darstellt, wenn die Gräserpollensaison gerade erst vorbei ist. Der Pilz sitzt auch an Getreidehalmen fest, von wo Sporen besonders durch Regen freigesetzt werden. Werden die Sporen in die Luft gewirbelt, spielen sie auch beim Gewitterasthma eine Rolle.
Wir führen aktuell am Danube Allergy Research Cluster der Karl Landsteiner Privatuniversität in Kooperation mit dem Polleninformationsdienst, mit der Medizinischen Universität Wien und dem Austrian Institute of Technology (AIT) eine Studie durch, im Rahmen derer wir zur Alternaria-Allergie forschen. Das Wissen über Schimmelpilzallergien ist wenig verbreitet, und so denken davon Betroffene, dass sie an einer Gräserpollenallergie leiden, obwohl es sich um eine allergische Reaktion auf Alternaria alternata handelt. Als Orientierung dient, dass Pollen meist eher bei trockenem, Alternaria bei feuchtem Wetter allergische Symptome auslösen.
Bei Suche nach der Ursache für eine Schimmelpilzallergie macht es sich auch bezahlt, wenn man nach Indoor-Quellen sucht. Samples aus der Wohnung können zur diagnostischen Testung ins AIT-Labor geschickt werden, um auszutesten, welche Schimmelpilze vorhanden sind und inwiefern diese relevant sind.

Sind gewisse Gruppen in der Bevölkerung anfälliger für die gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels?

Die Hitze ist besonders für die Älteren und für die ganz Jungen sehr problematisch, was sich jedoch eher in Herz-Kreislauf-Beschwerden niederschlägt. Die Hitze selbst ist primär nicht so schädlich für die Atemorgane, außer wenn sie Schleimhäute austrocknet oder dabei gleichzeitig Ozon entsteht, da dann die Reizschwelle für die Allergiker:innen herabgesetzt wird. Hohe Ozonwerte können Asthma induzieren oder verstärken.
Anfälliger sind vorbelastete Menschen oder auch atopische Familien. Das sind Familien mit einem genetischen Risiko, an Allergien zu erkranken. Diese sogenannten Atopiker:innen fallen oft dadurch auf, dass sie bereits im Kindesalter an einer Neurodermitis oder an einer Nahrungsmittelallergie leiden. Um den Schuleintritt herum entwickelt sich daraus häufig ein Heuschnupfen oder das Asthma. Diese Personen sind durch die Klimaeinflüsse noch stärker gefährdet. Beispielsweise kann auch das Schwitzen, wenn es sehr heiß ist, eine Neurodermitis oder eine Entzündung in der Haut anfeuern.

Wie sehen Sie die weiteren Entwicklungen bezüglich allergischer Reaktionen angesichts der sich ändernden Umweltbedingungen im Hinblick auf die Lungengesundheit?

Auf gewisse Faktoren von außen haben wir leider nur begrenzt Einfluss. Worauf wir Einfluss nehmen können, ist z. B. eine frühe Diagnose der Allergie. Diese ist wesentlich, denn man kann zuerst einmal gut symptomatisch behandeln, was für Asthma-Patient:innen sehr wichtig ist, schließlich kann Asthma tödlich sein. Hierfür benötigen wir die Pulmolog:innen, welche die korrekte Diagnose stellen, damit folglich auch die richtigen Medikamente verschrieben werden können. Es existieren ja unterschiedliche Phänotypen von Asthma, die dementsprechend unterschiedlich behandelt werden müssen.
Gerade bei Kindern sind eine frühe Diagnose und Therapie wichtig, denn wenn der Körper bzw. die Zellen zu wenig Sauerstoff bekommen, ist auch das Gedeihen der Kinder beeinträchtigt. Liegt beispielsweise eine Gräserpollenallergie vor, kann eine Allergie-Immuntherapie durchgeführt werden, die auch vor dem Fortschreiten der Erkrankung schützt. Somit kann verhindert werden, dass der Etagenwechsel von der Nase in die Lunge vollzogen wird und aus dem Heuschnupfen ein Asthma wird. Die Allergie-Immuntherapie zeigt besonders bei Pollen, Hausstaubmilben und Schimmelpilzen eine sehr gute Evidenz.

Vielen Dank für das Gespräch!

Kommentar
Priv.-Doz.in Dr.in Isabella Pali
Ernährungswissenschafterin, Department Interdisziplinäre Lebenswissenschaften, Veterinärmedizinische Universität Wien und Medizinische Universität Wien

Das One-Health-Konzept: Anwendung in Pneumologie und Allergologie

Das One-Health-Konzept proklamiert, dass die Gesundheit von Mensch und Tier nur dann erhalten werden kann, wenn auch die umgebende Umwelt und Natur gesund sind. Diese gesamtheitliche Betrachtung ist für alle Gesundheitsberufe von besonderer Bedeutung in der Beratung von Patient:innen bezüglich Prävention, Management und Therapie vieler Erkrankungen. Ganz offensichtlich steht eine Vielzahl pneumologischer Erkrankungen im direkten Zusammenhang mit Einflüssen aus der Umwelt, wobei hier die schädlichen Faktoren zumeist eingeatmet werden. In der Entstehung dieser Faktoren ist jedes noch so kleine Rädchen ausschlaggebend für den Gesamteffekt. Wenn zum Beispiel erkrankte Personen zu häufigen Spitals- oder Arztbesuchen, Kontrollen, Therapiegesprächen und Rezeptverordnungen mit dem Auto kommen oder gebracht werden, belastet dies die Luft und verschlimmert in weiterer Folge die Umweltsituation aller Patient:innen. Alternativ könnte hier mehr auf Telemedizin und smarte Healthcare-Technologien wie „Wearables“ gesetzt werden.
Ähnliches gilt für den Einsatz von Asthma-Inhalatoren: Bestimmte Inhalatoren tragen aufgrund des verwendeten Treibgases im Inhalator immens zu den Treibhausgasemissionen bei – und diese tragen in einem Teufelskreis letztendlich wieder zur einer Verschlechterung der Erkrankung für alle gegenwärtigen und zukünftigen Asthmapatient:innen bei. Ein Wechsel zu nachhaltigeren Produkten wie z.B. Trockenpulver-Inhalatoren ergibt daher doppelt Sinn. Auch den Lungenerkrankten selbst wird eine möglichst nachhaltige Versorgung und Therapie immer wichtiger.
Auch allergische Erkrankungen sind Paradebeispiele, wo eine Betrachtung im Sinne des One-Health-Konzeptes besonders angebracht ist. Als Beispiel: Leben Personen eher in verbauten Gebieten mit vielen versiegelten Flächen – ganz egal, ob in der Stadt oder am Land –, dann ist das aus Sicht der Biodiversität durch den reduzierten Kontakt mit der Natur wenig förderlich. Daraus resultiert nämlich eine Dysbiose, also ein weniger diverses Haut- und Schleimhautmikrobiom, was in weiterer Folge zu höherer Bereitschaft für Allergien führt. Übermedikation (Antibiotika, Magenschutzpräparate), Verschmutzung von Wasser und Luft, überhöhte Körperhygiene und reduzierter Tierkontakt mit weniger unterschiedlichen Arten stören das gesunde Mikrobiom und in der Folge die Barrierefunktion der Haut. Lange oder ausschließliche Aufenthaltszeiten in Innenräumen oder hochverarbeitete industrielle Lebensmittel in der Ernährung, die durch mehrere Prozessschritte haltbar gemacht oder angereichert wurden, reduzieren die Biodiversität des Darm- und Hautmikrobioms weiter und führen zu Entstehung von Krankheiten bei Mensch und Tier.
Es ist daher auch die Aufgabe von allen Expert:innen in gesundheitsbezogenen Berufen, das One-Health-Konzept in tägliche und strategische Überlegungen im Berufsfeld miteinzubeziehen. Dazu gehört auch, Patient:innen aufzuklären, dass ihr Lebensstil und ihr Umfeld, die Art ihrer Mobilität und die Ernährungsweise direkt zur eigenen sowie der Gesundheit aller beitragen.

Lösungsansätze: Umstieg auf nachhaltige Fortbewegung (öffentliche Verkehrsmittel, Rad, Bahn, Zufußgehen) und Vermeidung von Umweltverschmutzung durch verkürzte Wege zwischen Wohnung und Arbeitsplatz oder Homeoffice, Reduktion von Müll und Lebensmittelverschwendung und stattdessen Genuss von frischen und regionalen Lebensmitteln, Aufenthalt in und Kontakt mit hoch-biodiversen grünen Flächen („Green Spaces“ in Wald, Park, Natur und Garten) sowie auch der vielfältige Kontakt mit Menschen und Tieren tragen direkt zur Verringerung von Gesundheitsschäden wie Asthma und Allergien bei.

» zur Publikation unserer Arbeitsgruppe „One Health“ der EAACI (European Academy of Allergy and Clinical Immunology) über Nachhaltigkeit in Forschungslabors, Krankenhäusern, über Asthma-Inhalatoren und über Telemedizin