Ausbildungsreform in der Pflege: zwischen Hoffen und Bangen

Viel wird derzeit in Österreich darüber diskutiert, ob wir nun zu viele oder doch zu wenige – oder vielleicht bald zu wenige – Ärzte zur Verfügung haben, um eine flächendeckende medizinische Versorgung der Bevölkerung langfristig sicherzustellen. Auf der einen Seite sind die Zeiten der elendslangen Wartelisten für einen Ausbildungs- oder Jobplatz längst Geschichte und die Angebote für Absolventen der MedUnis über alle Sektoren oder Ländergrenzen hinweg vielfältiger als je zuvor. Auf der anderen Seite verfügt das Land noch immer über eine im EU-Vergleich weit überdurchschnittliche Ärztedichte: fast 500 Ärzte pro 100.000 Einwohner, während es EU-weit nicht einmal 350 sind, in Deutschland auch nur 370.
Für die Pflege, die mit Abstand größte Berufsgruppe im Gesundheitsbereich, ist eine solche Diskussion obsolet, von einer Überproportionalität keine Rede. Auf 1.000 Einwohner kommen in Österreich 7,7 Pflegepersonen. Dieser Wert liegt nicht nur unter dem EU-Durchschnitt von 8,9, sondern auch klar hinter Deutschland (11,3) und noch viel weiter hinter dem Spitzenreiter Schweiz. Bei den Eidgenossen stehen für 1.000 Menschen 16 Pflegepersonen zur Verfügung. (Anm.: Sämtliche Werte beziehen sich laut OECD-Bericht 2012 auf das Jahr 2010.)
Selbst unter der – zugegeben eher akademischen – Annahme, Bund und Länder fänden in den Tiefen ihrer Budgets brachliegende Finanzreserven, um eine quantitative Annäherung an europäische Standards bezahlen zu können, bleibt immer noch die Frage: Woher sollen die Humanressourcen dafür kommen? Immerhin hat die Gesundheit Österreich GmbH einen Bedarf an Pflegepersonal für das Jahr 2025 von 67.650 errechnet. 2010 waren es noch knapp über 45.000.
Angesichts einer sich dermaßen zuspitzenden Versorgungssituation und des spätestens für 2018 erwarteten Gaps, wenn der Bedarf an diplomiertem Pflegepersonal sowohl im stationären als auch im mobilen Bereich die vorhandenen Ausbildungsplätze endgültig übersteigen wird, scheint eine Attraktivierung des Berufsbildes also dringend geboten. Attraktivierung ist in diesem Zusammenhang als ein komplexer Begriff zu verstehen, der bei der Modernisierung der Ausbildung beginnt, sich über familienfreundlichere Arbeitsbedingungen und professionelle Anerkennung fortsetzt und bei einer gerechteren Entlohnung endet. Und quer über all diese Faktoren lässt sich dann noch – als eine Art „Oberbau“ – folgender zentraler Begriff legen: Wertschätzung! Die gesellschaftliche Wertschätzung scheint dabei ebenso noch viel Potenzial nach oben zu haben wie die „kollegiale“ innerhalb der Gesundheitsprofessionisten.

 

 

 

Reformpläne geraten ins Stottern

Das Gesundheitsministerium versucht seit geraumer Zeit, mit einer Ausbildungsreform einen ersten politischen Beitrag zur angesprochenen Attraktivierung des Berufsbildes Pflege zu leisten. Diese sieht unter anderem eine Akademisierung des gehobenen Dienstes sowie die Etablierung neuer Berufsbilder vor. Bereits Anfang 2016 soll die entsprechende Gesetzesreform des GuKG (Gesundheits- und Krankenpflegegesetzes) in Kraft treten. Angesichts des massiven Gegenwindes von allen Seiten ist die fristgerechte Umsetzung derzeit aber noch völlig offen, ebenso wie die inhaltliche Ausgestaltung des Gesetzes.
„Wir wissen noch nicht, wie es weitergeht“, gab Prof. (FH) Dr. Bernhard Rupp, MBA, Leiter der Abteilung für Gesundheitswesen der AK NÖ, in seiner Keynote im Rahmen des diesjährigen Forums Pflege offen zu. Derzeit sei das Ministerium nämlich noch dabei, die „Lawine an Kritik und Verbesserungsvorschlägen, die den Entwurf überrollt hat“, aufzuarbeiten.
Die Zeit wird allerdings knapp: Will man den vorgegebenen Termin 1. 1. 2016 einhalten, so steht dafür nur mehr eine Sitzung des Gesundheitsausschusses im Nationalrat zur Verfügung (am 16. 12.). Bis dahin müssten alle offenen Fragen geklärt, alle Anregungen und Begehren der Betroffenen eingearbeitet bzw. auch alle widersprüchlichen Lösungsansätze dazu ausverhandelt sein. Das ist im Moment noch kaum vorstellbar, denn nahezu alle beteiligten Stakeholder haben sehr unterschiedliche Erwartungen an die Reform. „Derzeit sagen die einen ‚mau‘“, beschreibt Rupp den Status quo und meinte damit die Pflege, „und die anderen, die Ländervertreter, schreien ‚Hilfe!‘, denn für uns bringt es nicht die erwarteten finanziellen Erleichterungen.“ Einige Bundesländer haben aus Furcht vor einer „Kostenexplosion“ nun sogar den sogenannten „Konsultationsmechanismus“ in Gang gesetzt, ein Verfahren, mit dem sich die Länder gegen Folgekosten durch Bundesgesetze wehren können. Immerhin entfallen 60 bis 80 Prozent der Betriebskosten eines Krankenhauses auf Personalkosten im Pflegebereich – und damit auf die Länderbudgets.

Was will die Reform?

„Ich bin sozusagen fürs Change-Management im Gesundheitssystem von Amts wegen zuständig und leide manchmal sehr unter der Langsamkeit des Change-Prozesses, weil viele der geplanten Veränderungen ja wirklich auf der Hand liegen“, beklagte auch Dr. Clemens Martin Auer, Leiter der Sektion I, Gesundheitssystem, zentrale Koordination im Bundesministerium für Gesundheit, die Blockadeversuche der Länder. „Manchmal will die Politik nicht das, was wir in der Verwaltung wollen. Die Experten wollen zwar, aber die Politik ist leider nicht immer so mutig.“
Die Intentionen des Gesetzgebers bei dem vorliegenden Reformansatz wurden beim Forum Pflege wie folgt definiert:

  • eine zeitgemäße Gestaltung und Aufwertung des Berufsbildes und Tätigkeitsbereiches sowie der Ausbildung der Pflegehilfe einschließlich Umbenennung in Pflegeassistenz
  • Aufhebung der speziellen Grundausbildungen des gehobenen Dienstes (Kinder- und Jugendlichenpflege, psychiatrische Gesundheits- und Krankenpflege) zugunsten einer noch stärker generalistisch auszurichtenden Ausbildung in der allgemeinen Gesundheits- und Krankenpflege
  • Aktualisierung der Tätigkeitsbereiche des gehobenen Dienstes mit der Möglichkeit von Kompetenzvertiefung und -erweiterung
  • vollständige Überführung der allgemeinen Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung in den tertiären Sektor
  • notwendige Modernisierung der Regelungen für die Ausübung und die Sonderausbildung für Spezial-, Lehr- und Führungsaufgaben sowie der Regelungen für Weiterbildungen

Die „Zersplitterung“ der Pflege in drei statt wie bisher zwei Berufsbilder (akademische Gesundheits- und Krankenpfleger BScN, Pflegefachassistenz PFA mit entsprechender Befugniserweiterung und Pflegeassistenz PA, entspricht weitgehend der derzeitigen Pflegehilfe) wird von manchen Seiten durchaus kritisch gesehen. Befürchtet wird mehr „faktische Unübersichtlichkeit“ im klinischen Alltag anstatt der damit intendierten Vielfalt. Demnach würde es für Patienten ebenso schwierig nachzuvollziehen sein, wer am Bett jetzt welche Tätigkeit durchführen darf und wer nicht, wie für Ärzte entsprechend zu delegieren.
Auch die Diskussion über die zukünftige Rollenverteilung innerhalb der Pflege einerseits und zwischen Medizin und Pflege andererseits werde bislang noch „nicht mit der entsprechenden Konsequenz geführt“, wie etwa Rupp anmerkte. Dem stimmte auch Auer zu. Die „Skill-Mix-Debatte“ müsse auf allen Versorgungsstufen noch „verdichtet“ werden. „Wir müssen dazu die klinischen Prozesse besser in den Griff bekommen. Dazu ist es auch notwendig, für alle Gesundheitsberufe neue Curricula zu machen.“ In diesem Punkt sei man in anderen Ländern, etwa in Holland,
schon viel weiter, erläuterte Auer. Dabei sei aber zu bedenken, dass solche Entwicklungen immer aus einer akuten Krise heraus geboren wurden. So weit sei man jetzt in Österreich immerhin auch, sieht Auer eine wachsende Chance auf Veränderung. „Das neue Ärztearbeitszeitgesetz zwingt uns dazu, umzudenken.“
Ein anderer offener Punkt, der noch zu klären ist, sei die Frage des zukünftigen Personalmixes in der Klinik, die Quotenverteilung sozusagen zwischen gehobenem Dienst, Fachassistenz und Assistenz, erklärte Rupp: „Eine konstruktive Personalschlüsseldiskussion steht noch komplett aus. Ich hoffe, sie findet nun im Rahmen der laufenden Finanzausgleichsverhandlungen zwischen Bund und Ländern statt.“
Derzeit lautet die Quote österreichweit: 85 Prozent gehobener Dienst, 15 Prozent Pflegehilfe, wobei es durchaus regionale Unterschiede in den Landeskrankenanstalten gibt. Am geringsten ist der Anteil der gehobenen Dienste in der Steiermark (65 Prozent) und Kärnten (73), am höchsten in Wien (88) und in Tirol (87). Skeptiker fürchten nun, dass die Akademisierung zu einer Reduktion der gehobenen Dienste führen wird – und zwar in zweifacher Hinsicht: Zum einen wird das Angebot aufgrund der geringeren Anzahl an Studienplätzen an den FH zurückgehen, zum anderen könnten die Dienstgeber das zum willkommenen Anlass nehmen, um Tätigkeiten vermehrt vom gehobenen Bereich in die Assistenz und Fachassistenz zu delegieren, um Personalkosten zu sparen, weil akademisches Personal teurer wird.

AutorIn: Mag. Volkmar Weilguni

Klinik 05|2015

Herausgeber: MedMedia Verlag und Mediaservice GmbH
Publikationsdatum: 2015-11-11