Den Spitälern gehen die Ärzte aus

Lange OP-Wartezeiten, psychiatrische Stationen, die in der Nacht keinen Arzt haben und daher von Ärzten anderer Abteilungen „mitbetreut“ werden müssen, Krankenhäuser ohne Turnusärzte etc., etc. Das, was hinter vorgehaltener Hand durchsickert – sei es jetzt in Wien, Innsbruck oder vor Kurzem aus Kärnten –, ist die Spitze des Eisberges und zeigt bereits eklatante Versorgungsmängel. Bevor die Öffentlichkeit wirklich aufschreit, wird seitens der Träger bzw. Spitalsleitungen schöngeredet oder wieder ein Mantel des Schweigens über die Missstände gebreitet. Auch das hat bereits System: Anfang des Jahres an der MedUni Wien (Stichwort: der sogenannte „Maulkorb“-Erlass), laufend im KAV (Androhung personalrechtlicher Konsequenzen für Mitarbeiter) und jetzt in Innsbruck. Kommunikation ist Chefsache, und damit auch die Entscheidung, worüber gesprochen werden darf. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf:
Die Spitäler haben ein Problem. Den Spitälern gehen die Ärzte aus. Das sagt auch die Ärztekammer, die Anfang Dezember wieder mit einem medialen Notruf an die Öffentlichkeit ging und Handlungsbedarf aufzeigte.

Vielschichtig, multikausal

Das Problem hinter dem Ärztemangel ist vielschichtig. Die Verkürzung der Arbeitszeit ist dabei nur ein Punkt und darf auch nicht als Ausrede seitens der Träger herhalten, wie Kurienobmann Dr. Harald Mayer betont: Die Novellierung des Krankenanstalten-Arbeitszeitgesetzes (KA-AZG) und die damit einhergehende Verkürzung der Arbeitszeit sei ein wichtiger Schritt gewesen. „Es kann aber nicht angehen, dass Arbeitgeber sich jetzt hinter der mit 13-jähriger Verspätung umgesetzten Arbeitszeitrichtlinie verschanzen und sie als Ausrede dafür benutzen, dass es zu wenig Personal gibt.“
In den letzten Jahren ist zwar die Zahl der Ärzte gestiegen, doch die Kopfzahlen als solche sind nicht aussagekräftig, denn 24.099 Spitalsärzten entsprechen nur 21.757 Vollzeitäquivalente. Es sind insbesondere auch jüngere Ärzte, die Nicht-Vollzeit-Modelle bevorzugen oder denen zumindest 40 Stunden statt 48 genug sind. Dazu kommt eine sich nach oben verschiebende Altersverteilung. Waren 2005 nur 11% der angestellten Ärzte älter als 55, so sind es heute 21%. Fast ein Viertel der Ärzte wird also binnen der nächsten 10 Jahre in Pension gehen. Die Frage ist, ob genug junge nachkommen. Laut Mayer zeichne sich bereits jetzt ab, dass junge Ärzte nicht ihr ganzes Berufsleben im Spital verbringen wollen, viele würden in die Niederlassung oder ins Ausland gehen oder überhaupt den Beruf wechseln.

 

 

Ärzteschwund – vorhersehbar oder überraschend?

Auch der Stellvertretende Kurienobmann und Sprecher der Turnusärzte, Dr. Karlheinz Kornhäusl, verweist auf die Ärztemigration, die es zu verhindern gilt. Zurzeit seien allein in Deutschland 2.600 österreichische Ärzte tätig: „Mit der Ausbildungsreform ist uns sicherlich ein großer Wurf gelungen.“ Dennoch werde die Reform allein die bestehenden Mängel nicht von heute auf morgen beseitigen können, mahnt Kornhäusl, diese auch mit Leben zu erfüllen. „Wir wissen, dass es in manchen Häusern nach wie vor Unzufriedenheit mit der Ausbildungssituation gibt.“ Zentral sei für ihn die Forderung, auszubildende Ärztinnen und Ärzte aus der bisherigen Umklammerung als Systemerhalter und Lückenbüßer zu befreien. Gelingt das nicht, werden noch mehr abwandern oder dem ärztlichen Beruf den Rücken kehren. Wie unattraktiv der ärztliche Beruf für Absolventen des Medizinstudiums bereits geworden sei, demonstrieren die Ärztekammer-Vertreter mit plakativen Zahlen. So haben sich laut Angaben der Kammer von 1.346 Absolventen im Studienjahr 2013/2014 nur knapp 900 in die Ärzteliste eintragen lassen. „35,5% der Promovenden stehen dem österreichischen Gesundheitssystem mittel- bis langfristig nicht zur Verfügung; entweder, weil sie auswandern oder weil sie einen anderen Beruf ergreifen“, resümiert Kornhäusl und beziffert in einer Presseaussendung auch den damit verbundenen volkswirtschaftlichen Schaden.
Allerdings sind diese alarmierenden Zahlen, mit denen die Ärztekammer hier Stimmung machen will, genau zu hinterfragen, weil hier einfach „vergessen“ wurde, die EU-Quote herauszurechnen. Denn bekanntlich sind 20% aller Studienplätze für EU-Bürger und weitere 5% für nicht EU-Bürger reserviert. Dass sich diese 25% der 1.346 Absolventen nach dem Studium zum Großteil wieder in die jeweiligen Heimatländer verabschieden, dürfte uns also nicht wirklich verwundern.
Nichtsdestotrotz: Es fehlen Ärzte, und es gibt einen Schwund, nicht nur unmittelbar nach dem Studium, sondern auch während der Ausbildung (im Schnitt 100 pro Jahr, sagt Kornhäusl) und auch noch später: Einen späten Berufsausstieg gebe es aber auch bei arrivierten Ärzten, wie der Stellvertretende Kurienobmann Dr. Rudolf Knapp ausführte: „Eine von uns in Auftrag gegebene Umfrage hat im Jahr 2013 ergeben, dass 64% der Befragten es für unwahrscheinlich halten, bis zur Pensionierung bzw. bis zum Alter von 65 Jahren im Spital zu arbeiten.“

 

 

Wie sieht die „Therapie“ aus?

Noch gebe es laut Mayer genug Möglichkeiten, zu reagieren, aber man könne nicht weiter auf Wunder warten. Der Arbeitsplatz Spital müsse wieder attraktiver gemacht werden, dazu müssten auch Strukturen geschaffen werden. Und dazu müssten auch Patientenströme gelenkt werden. Die Zahl der stationären Fälle ist in den letzten Jahren um 7,9% gestiegen, die der ambulanten jedoch um 27%. Mayer macht sich daher einmal mehr und – nach Eigendefinition – bereits gebetmühlenartig für einen geregelten Zugang ins Gesundheitssystem stark und will den Zugang zu Ambulanzen nur im Notfall oder per Überweisung zulassen.
Weiters fordert Mayer altersgerechte Arbeitszeitmodelle und Arbeitsbedingungen, die Entlastung von Dokumentation und Administration (immer noch verbringen Ärzte 40% ihrer Zeit mit solchen Tätigkeiten) und das Delegieren nichtärztlicher Tätigkeiten an den mitverantwortlichen Tätigkeitsbereich. Nur so könne der Arbeitsplatz Krankenhaus langfristig attraktiv bleiben und der Ärztemangel eingedämmt werden.

AutorIn: Susanne Hinger

Klinik 06|2015

Herausgeber: MedMedia Verlag und Mediaservice GmbH
Publikationsdatum: 2015-12-11