Die Ärztekammer läuft Sturm und steht damit allen politischen Stakeholdern – Bund, Ländern und Gemeinden – gegenüber, plus Sozialversicherung, versteht sich. Letztere wird in dem vom Ministerrat beschlossenen Papier, das mittlerweile auch schon den Gesundheitsausschuss im Parlament passiert hat, als gleichwertige Partnerin aufgewertet, die Ärztekammer kommt nicht vor.
Protest
In einer gemeinsamen Pressekonferenz hat die geschlossene Führungsriege der Ärztekammer Ende November ihren Standpunkt ca. 25 Journalisten nähergebracht – und dies medienwirksam im Freien bei Temperaturen um den Gefrierpunkt.
Die Bevölkerung wird in den Ordinationen mit kurzen Video-Clips informiert. Und vor Kurzem hat die niederösterreichische Ärztekammer das Volksbegehren „SOS Medizin“ initiiert, in dem der Erhalt der ärztlichen Einzelordinationen und Gruppenpraxen, die Begrenzung der Arbeitszeit für Spitalsärzte, die Kostenerstattung von Wahlarzthonoraren, die Niederlassungsfreiheit für Wahlärzte und zusätzlich auch die Medikamentenabgabe durch den Arzt gefordert wird – eine Forderung wiederum, mit der man sich nun nebenbei wieder den Unmut der Apotheker zugezogen hat.
Für den 14. Dezember hat die Bundeskurie der Niedergelassenen Ärzte einen „Streik- und Aktionstag“ beschlossen. An diesem Tag soll auch eine parlamentarische Bürgerinitiative gestartet werden. Laut einer aktuelle OGM-Umfrage der Wiener Ärztekammer beabsichtigen 80% der Wiener Hausärzte ihre Ordinationen am 14. 12. geschlossen zu halten. Für Dr. Johannes Steinhart, Obmann der Bundeskurie Niedergelassene Ärzte, ist der Streik nur ein erster Schritt: „Sollte der Konflikt mit 14. Dezember 2016 nicht beendet sein, werden wir auch im Jahr 2017 so lange Kampfmaßnahmen ergreifen, bis diese Kulmination an gesundheitspolitischen Fehlentscheidungen endlich ein Ende hat und man mit uns Ärztinnen und Ärzten in eine vernünftige Richtung verhandelt.“
Das Gesundheitsministerium hat eine Website mit dem Titel mehrgesundheit.gv.at eingerichtet; die Ärztekammer legt ihren Standpunkt auf wenigeristnichtmehr.at dar.
Worum geht es im Detail?
Am 30. November 2016 hat das Gesundheitsreformpaket mittlerweile den Gesundheitsausschuss im Parlament passiert. Während die Ärztekammer vor einer Verschlechterung in der Gesundheitsversorgung warnt, betont man seitens des Ministeriums, mit den beiden Vereinbarungen (siehe Kasten links) gemäß 15a-B-VG das im Wandel befindliche Gesundheitssystem fit für die Zukunft zu machen.
Kostendämpfung
Als einen zentralen Kritikpunkt bezeichnet die Ärztekammer die „Kostendämpfung“.
„Für den Zeitraum 2017 bis 2021 ist der Anstieg der öffentlichen Gesundheitsausgaben stufenweise so weit zu dämpfen, dass der jährliche Ausgabenzuwachs im Jahr 2021 einen Wert von 3,2 Prozent (durchschnittliche Entwicklung des nominellen Bruttoinlandprodukts gemäß Mittelfristprognose für das Bundesfinanzrahmengesetz) nicht überschreitet.“ (Art. 15 Zielsteuerung Gesundheit [siehe Kasten Punkt 1])
Das bedeutet, dass der jährliche Kostenzuwachs gegenüber dem Zeitraum 2012–2016 noch weiter zu dämpfen ist. Durften die Ausgaben bis jetzt um maximal 3,6% pro Jahr steigen, so sollen es künftig nur noch 3,2% sein. Die Ärztekammer betont, dass die Gesundheitsausgaben von Industrieländern jedoch auch deshalb steigen, weil die Gesellschaft immer älter und damit betreuungsbedürftiger werde. Um das Versorgungsniveau zu halten (!), müsste die reale Steigerung bei knapp 5% pro Jahr liegen. „So gerechnet, werden den Patienten in den kommenden Jahren 4,3 Milliarden Euro für die Gesundheit vorenthalten“, betont Steinhart. Für ihn ist hier vieles eine Mogelpackung: Auch jene 200 Millionen Euro, die in den Ausbau der Primärversorgung gesteckt werden sollen, seien kein zusätzliches Geld. „Diese 200 Millionen Euro werden aus dem Budget der Krankenversicherung herausgenommen. Um diese Lücke zu füllen, wird bei anderen Kassenleistungen gespart werden“, fürchtet Steinhart.
Reizwort Primärversorgung
Die Pläne zum Aufbau der Primärversorgung sind der zweite zentrale Kritikpunkt der Ärztekammer. Man fürchtet, dass damit der Vorrang von niedergelassenen Praxen fallen soll.
Konkret wurde vereinbart (Art. 31, [siehe Kasten Punkt 2]), dass bis 2020 eine Beitrag von 200 Millionen zweckgewidmet werden soll, um eine Stärkung der ambulanten Versorgung, insbesondere den Aufbau der Primärversorgung sowie den Aufbau von multiprofessionellen und/oder interdisziplinären Versorgungsangeboten in der ambulanten Fachversorgung zu erreichen. Bis zum Ende der Vertragslaufzweit sollen mindestens 75 Primärversorgungseinheiten realisiert werden.
Ziel ist auch eine Entlastung von Spitalsambulanzen und der Ausbau der wohnortnahen Primärversorgung. Seitens der Politik wird betont, dass damit den Veränderungen im Gesundheitssystem Rechnung getragen würde. Schon jetzt sind Kassenstellen unbesetzt, mit der nächsten großen Pensionswelle wird sich die Situation weiter verschärfen. Bis 2025 werden laut Ministerium 60% der Hausärzte das Pensionsalter erreicht haben. „Dafür brauchen wir neue Versorgungslösungen und mehr Spielraum bei der Planung. Ich will, dass neue innovative Formen der Versorgung rasch bei den Menschen ankommen“, so die Ministerin Dr. Sabine Oberhauser.
Das was seitens der Politik als wohnortnahe Versorgung und „Team rund um den Hausarzt“ unter Primärversorgung zusammengefasst wird, ist für die Ärztekammer ein Kampfthema (Stichwort „PHC-Gesetz“) und wird als Beginn gewertet, „unter der Chiffre Primärversorgungszentrum das bewährte System der wohnortnahen Versorgung durch Haus- und Vertrauensärzte auszuhebeln und die Ärzte stattdessen in Zentren zu konzentrieren“. Die Angst ist also, dass Primärversorgungszentren von Unternehmen betrieben werden könnten und damit die freie Ärzteschaft ausgeschaltet werden könnte. Steinhart sieht darin das Ende der freien Arztwahl und auch das Ende der sozialen Medizin. Durch die Hintertür solle hier ein PHC-Versorgung ermöglicht werden. „Weil dieses fragwürdige PHC-Gesetz nicht so recht vom Fleck gekommen ist, probiert man es jetzt über die im Rahmen der Finanzausgleichsverhandlungen getroffenen Art.-15a-Vereinbarungen und das dazugehörende Vereinbarungsumsetzungsgesetz“, so Steinhart.
Mitspracherecht
Dritter großer Kritikpunkt ist, dass die Planung ohne die Expertise von Ärzten erfolgen soll. Für die Ärztekammer ist das in etwa so, als wolle der Bund mit der Wirtschaftskammer einen Kollektivvertrag aushandeln, ohne die Gewerkschaft einzubinden.
Die Forderungen der Ärztekammer:
- Keine weiteren Einsparungen. Das Gesundheitsbudget muss sich am realen Bedarf der Bevölkerung orientieren.
- Breites, wohnortnahes Angebot und individuelle Wahlmöglichkeiten statt einheitlicher Staatsmedizin.
- Ärztinnen und Ärzte in die Planung einbinden – für ein patientenfreundliches medizinisches Angebot.
- Vorrang für ambulante Versorgung in (Gruppen-)Praxen niedergelassener Ärztinnen und Ärzte. Primärversorgungszentren müssen auf ärztlichen Gruppenpraxen basieren und von Ärzten geleitet werden.
- Funktionierende Versorgungssysteme weiter ausbauen und weiterentwickeln.
Die Bundeskurie Angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer warnt vor dramatischen Verschlechterungen im Spitalsbereich. Kurienobmann und ÖÄK-Vizepräsident Dr. Harald Mayer: „Wir müssen mit einer Herabsetzung und Verknappung der Leistungsangebote rechnen und einer weiteren Verschlechterung der flächendeckenden medizinischen Versorgung.“
Besonders dramatisch würden sich die willkürlich erhöhten Erreichbarkeitsfristen auswirken. Mayer: „Wenn die Zeitspanne, binnen derer beispielsweise eine chirurgische Abteilung erreichbar sein muss, von 30 auf 45 Minuten erhöht wird, dann kann man sich leicht ausrechnen, was das für die Patienten bedeutet und dass es dadurch auch zu Schließungen von Abteilungen und Spitälern kommen kann. Das ist eine Zumutung für Menschen, die kein Spital ums Eck haben, die in entlegeneren Regionen wohnen oder die aufgrund ihres Gesundheitszustandes keine längere Fahrt unternehmen können.“ Die Politik sei Antworten auf diese und andere Kritikpunkte bislang schuldig geblieben, kritisierte der Spitalsärztevertreter. „Stattdessen unterstellt man uns Panikmache und versucht der Bevölkerung weiszumachen, dass die geplanten Einsparungen Verbesserungen im Gesundheitssystem mit sich bringen werden“, so Mayer.
Er vermisse auch Konzepte zur Entlastung der überlaufenen Ambulanzen oder praktikable Organisationsformen, führte der Bundeskurienobmann weiter aus. „Ich sehe auch nirgends, dass ein gutes, zeitgemäßes Versorgungsangebot aufgebaut werden soll. Ich sehe nur, dass die Spitäler wieder alles abfangen müssen, was der niedergelassene Bereich aufgrund politischer Versäumnisse nicht mehr schafft. Für die Patienten führt das über kurz oder lang zu einer gefährlichen Verknappung des Angebotes. Dessen sollte sich die Politik endlich bewusst werden“, betonte Mayer.Die im niedergelassenen Bereich geplanten Protestmaßnahmen würden seitens der Spitalsärzteschaft solidarisch unterstützt, eigene Maßnahmen seien derzeit aber nicht geplant.
Resolution der Bundeskurie Angestellte Ärzte
Die Bundeskurie Angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) hat am 23. November 2016 in einer außerordentlichen Kuriensitzung einstimmig eine Resolution betreffend die künftige Organisation und Finanzierung des Gesundheitswesens beschlossen und folgende Forderungen formuliert:
- Gleichberechtigte Einbindung der Ärzteschaft bei der Gestaltung des Gesundheitssystems und in den Planungsprozess
- Weiterentwicklung des Gesundheitssystems und nicht Umstrukturierung unter Ausschluss der Expertise derjenigen, die im Gesundheitssystem tätig sind
- Beibehaltung der Transparenz und der derzeitigen gesetzlichen Vorgaben
- Keine weitere Verschärfung der Überlastung der Ambulanzen
- Keine Aufweichung der Schutzbestimmung für angestellte Ärzte
- Keine Einschränkung der freiberuflichen ärztlichen Niederlassung
- Finanzierung der modernen flächendeckenden State-of-the-art-Medizin