Ist alles medizinisch Machbare auch ethisch vertretbar?

Der zunehmende Fortschritt in der Medizin ermöglicht heute medizinische Interventionen und oft auch eine Lebensverlängerung, die vor Kurzem noch undenkbar waren. Gleichzeitig stellt sich oft die Frage, ob alles medizinisch Machbare auch tatsächlich sinnvoll und ethisch vertretbar ist. Ärzte geraten hier immer öfter auch in einen Wertekonflikt zwischen dem erwarteten Handeln und dem technisch Machbaren auf der einen Seite und der eigenen Wertehaltung auf der anderen Seite.

Der Master-Lehrgang an der Donau-Universität Krems „Angewandte Ethik im Gesundheitswesen“ will für ethische Fragestellungen sensibilisieren und die Grundlagen zum Erstellen von Orientierungshilfen in der klinischen Praxis vermitteln. klinik sprach mit Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Kampits über ethische Fragestellungen in der Medizin.

Herr Prof. Kampits, Sie leiten den Lehrgang „Angewandte Ethik im Gesundheitswesen“. Wie erklärt sich der Bedarf für einen neuen Lehrgang? Braucht es eine stärkere Verbindung von Medizin und Ethik?

Grundsituation ist, dass die ursprünglich sehr enge Verbindung von Ethik und Medizin v. a. im 19. Jahrhundert durch die extreme wissenschaftlich-technische Entwicklung der Medizin in den Hintergrund geraten war. Dies ist natürlich ambivalent: Auf der einen Seite hat gerade der naturwissenschaftliche Fortschritt viel Gutes gebracht: Als unheilbar geltende Krankheiten konnten geheilt werden, das durchschnittliche Lebensalter ist rasant gestiegen. Auf der anderen Seite ist man hier sehr einseitig geblieben, und das eigentliche Handlungsziel der Medizin ist eher in den Hintergrund getreten.

Und wie definieren Sie das Handlungsziel der Medizin?

Das Handlungsziel der Medizin ist der Umgang mit Gesundheit und Krankheit, und zwar des gesamten Menschen und nicht nur bezüglich der Funktion eines Organs oder eines Teilbereiches der menschlichen Physis. Dazu gehört neben Heilung auch die Prävention.

Wo sehen Sie heute die großen Problemfelder der medizinischen Ethik?

Ich sehe die Problemfelder darin, dass durch die technologisch-wissenschaftliche Entwicklung, v. a. durch die Hochschätzung einer High-Tech-Medizin, ethische Probleme aufgeworfen wurden, die man eigentlich in der Vergangenheit nicht kannte und die damit auch mit den Mitteln der klassischen Ethik kaum zu lösen sind. Dies gilt auch für das Spannungsverhältnis zwischen der Fürsorgepflicht und des Achtens der Autonomie in der Arzt-Patient-Beziehung.
Wenn wir mit Extremsituationen beginnen, liegt ein ganz wesentlicher Bereich am Beginn des Lebens – mit allen Möglichkeiten, die sich hier inzwischen aufgetan haben, wie wir sie gerade in der Diskussion um das Fortpflanzungsmedizingesetz erlebt haben. Von der PID bis zur Embryonenforschung, von der assistierten Reproduktion bis zu genetischen Eingriffen und allen Interventionen an Ungeborenen und Frühgeborenen eröffnen sich ethische Fragen und Problemfelder. Die zweite Extremsituation ist das andere Ende des Bogens: das Ende des Lebens, mit allen Problemen der Sterbehilfe der Palliativmedizin und der künstlichen Lebensverlängerung.
Weitere ethische Fragestellungen sind durch die Möglichkeiten der Transplantationsmedizin aufgeworfen worden, von der Organspende bis zu Xenotransplantation etc. Manche durch die Hochtechnologie ermöglichte Eingriffe dienen nicht bloß zur Heilung einer Krankheit, sondern eröffnen auch die Frage nach einer Manipulation des Menschen. All das berührt immer die Frage, wo die Grenzen sind.

Und jede Grenze ist willkürlich?

Sie wird immer mehr verschoben. Für mich ist die Grundfrage in der Medizinethik: Soll die Medizin alles tun, was sie kann? Oder haben wir irgendwo Grenzen, wo wir sagen: bis hierher und nicht weiter?

An wen richtet sich der Lehrgang?

Zielgruppe sind v. a. Ärzte, aber auch andere Entscheidungsträger im Gesundheitswesen und leitendes Pflegepersonal. Der Lehrgang will aus verschiedenen Perspektiven und durch verschiedene Spezialisten – Ärzte, Ethiker, Pflegepersonen, Psychologen und Theologen – für die diversen Problemstellungen sensibilisieren.

Wozu soll der Lehrgang konkret die Teilnehmer befähigen?

Ich glaube, die Teilnehmer sollen zu einer wissenschaftlich fundierten und argumentierbaren Reflexion auf das zu Tuende und das zu Lassende befähigt werden. Sie lernen ethisch zu argumentieren und können die Problemfelder, die durch die medizinische Entwicklung und ihre Möglichkeiten entstanden sind, kritisch begleiten und nach Tunlichkeit Orientierungshilfen erarbeiten, wie im Allgemeinen und dann auch in konkreten Fällen gehandelt werden soll.

Vielen Dank für das Gespräch!

Masterlehrgang
„Angewandte Ethik im ­Gesundheitswesen“ (MSc)

Beginn: Wintersemester 2015
Dauer: 4 Semester (berufsbegleitend)

Interview mit: Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Peter Kampits
AutorIn: Susanne Hinger

Klinik 02|2015

Herausgeber: MedMedia Verlag und Mediaservice GmbH
Publikationsdatum: 2015-05-07