… und morgen ist auch noch ein Tag?

Sehr geehrte Leserinnen und Leser!

Die Bestürzung ist groß, ganz plötzlich hat uns wieder eine Katastrophe überrollt. Die Arbeitszeit muss reduziert werden. Ob kürzere Arbeitszeiten auch mit weniger Gehalt einhergehen oder ob drohende Gehaltseinbußen durch höhere Grundgehälter kompensiert werden, wie sich der Spitalsbetrieb bei kürzeren Diensten überhaupt ­organisieren lässt, wo wir die dafür fehlenden Ärzte in den nächsten Jahren überhaupt herbekommen sollen, ob Ärzte doch noch ein paar weitere Jährchen „freiwillig“ mehr arbeiten als das Gesetz vorsieht – all diese Themen, die in den letzten Wochen und Monaten die Emotionen hochgeschaukelt haben, sie haben uns ja wahrlich im Schlaf überrollt. Und wie es aussieht, trafen sie uns unvorbereitet.

Weiß jemand, worauf man in Österreich ganz genau 10 Jahre gewartet hat?
Bereits 2004 trat die EU-Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG in Kraft.

Ich erinnere mich an Veranstaltungen, in denen bereits damals Schreckge­spenste an die Wand gemalt wurden, von drohenden exorbitanten Strafen (bei Nichteinhaltung der Richtlinie) bis zum Kollaps des Gesundheitssystems (bei Einhaltung der Richtlinie).
Dazwischen wurde viel gejammert, alle Jahre wieder die gleiche Pressekonferenz, die gleiche Umfrage der Ärztekammer, alle Jahre wieder die gleiche Überlastung der Spitalsärzte, selbstverständlich auf die Kommastelle genau erhoben. Irgendwer war immer arm – die überlasteten Ärzte, dann wieder die Patienten, die von überlasteten Ärzten behandelt werden müssen, und natürlich die Spitalserhalter (in der Regel die Länder), die plötzlich haften und doch nichts dafürkönnen, weil sie ja kein Personal haben, und dafür womöglich noch Strafe zahlen sollen, und irgendwie wahrscheinlich ganz Österreich, weil die EU solche Richtlinien macht …
Besondere Spuren dürfte die Richtlinie dann in den folgenden 10 Jahren nicht hinterlassen haben – anders als in anderen EU-Ländern, das zeigt zumindest ein EU-Umsetzungsbericht aus dem Jahr 2010. In Österreich ging es ja nach wie vor anders: Ein bisserl wurde kontrolliert, noch ein bisschen mehr wurde weg­geschaut, und ab und zu wurde eine Strafe verhängt.

Und dann droht die Europäische Kommission im März 2014 mit einer Klage vor dem EuGH. Danach ging es ja richtig schnell. Im Oktober 2014 beschließt der Nationalrat ein neues Gesetz zur Ärzte-Arbeitszeit, das bereits mit Jänner 2015 in Kraft tritt. Mit einer Übergangsfrist – mit freiwilligen Mehrstunden – bis 2021. Hoffentlich sind dann nicht wieder alle überrascht …

 

AutorIn: Susanne Hinger

Chefredakteurin klinik


Klinik 06|2014

Herausgeber: MedMedia Verlag und Mediaservice GmbH
Publikationsdatum: 2014-12-15