Wer als junger Arzt voller Idealismus und Vorstellung in den Beruf einsteigt, stößt bald an die Grenzen des Systems und steht dann vor zwei Wahlmöglichkeiten: zu resignieren oder die Ärmel hochzukrempeln und sich für eine Neugestaltung einzusetzen. Genau dazu trafen sich rund 100 junge Ärzte kürzlich in Wien und diskutierten über ihre Arbeitswelt heute und vor allem morgen im Rahmen der Konferenz wirsinddiezukunft der Bundeskurie Angestellte Ärzte der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK).
Das Arztbild in der Öffentlichkeit hat sich in den letzten 30 Jahren gewandelt, und daher ist es auch nicht verwunderlich, dass Ärzte heute andere Vorstellungen von ihrem Beruf haben als damals. „Meine Generation macht eine starke Gruppe in der Ärzteschaft aus, aber wir verabschieden uns bald in die Pension. Aus diesem Grund brauchen wir die junge Generation doppelt. Ihr seid die Zukunft und müsst die Versorgung der Bevölkerung übernehmen und eine Neuorientierung einleiten“, sagte ÖÄK-Präsident Dr. Artur Wechselberger in seinem Eröffnungsstatement. Vor allem appelliert der Chef der Ärztekammer besonders emotional dafür, nicht ins Ausland zu gehen: „Bitte macht das nicht! Nur ihr wisst, was Patienten brauchen.“ Auch der Rückzug in die „biedermeierliche Work-Life-Balance“ ist für Wechselberger keine Option für die Zukunft.
Scharfe Kritik seitens der EU
Dipl.-Kfm. Marc Fähndrich, Berater für wissenschaftspolitische Koordinierung im Europäischen Semester, präsentierte die Brüsseler Sicht auf das österreichische Gesundheitswesen und ließ klar durchblicken, dass die EU in Österreich durchaus einigen Handlungsbedarf sieht: „Die Kooperation von Bund und Ländern ist problematisch. Hier wird viel Geld verschwendet, was sich massiv auf das Gesundheitswesen auswirkt“, so Fähndrich. Zu viele Spitäler, die nicht auf dem höchsten Standard arbeiten, weil die Fallzahlen fehlen, sowie sehr viele unnötige Reglementierungen und Ineffizienzen stellen aus Sicht des EU-Experten die Tragfähigkeit des heimischen Gesundheitssystems auf wackelige Beine. Die kaum ausgebaute Primärversorgung und die weit verbreitete Zwei-Klassen-Medizin machen die Aussichten nicht besser. „Es wäre dringend an der Zeit, die budgetären Beziehungen und die Zuständigkeiten zu vereinfachen“, ergänzt der Experte. Immerhin verzeichnet Österreich um ein Drittel mehr Gesundheitsleistungen als der EU-Durchschnitt, aber ohne sichtbare Resultate etwa in Form gesünderer Lebenserwartung. „Der hohe Grad an Hospitalisierung, die geringe Ausprägung der Patientenlenkung und die untergeordnete Rolle des Hausarztes erfordern dringende Reformen“, resümiert Fähndrich.
„Wanderzirkus“ stoppen
Dass Österreich nicht allein an den Reformen arbeiten kann, betont Karin Kadenbach, MEP, Abgeordnete im Europäischen Parlament, denn Gesundheitsdienstleistungen werden immer mehr ein grenzüberschreitendes Thema. „Es muss also auch eine gemeinsame Aufgabe der Mitgliedstaaten sein, für Gesundheit zu sorgen“, so Kadenbach. Dr. Sascha Reiff, Präsident der European Junior Doctors – Permanent Working Group – EJD, ist es vordringlich wichtig, dass die Mobilität für junge Ärzte innerhalb der EU gewährleistet bleibt. „Hier Regeln aufzustellen kann nicht die Antwort auf den Ärztemangel sein. Wir wollen, dass Ärzte freiwillig dort bleiben, wo sie studiert haben, und nicht weil es keine bessere Alternative gibt“, betont Reiff. Anders sieht das Dr. Harald Mayer, der Obmann der Bundeskurie der Angestellten Ärzte in der ÖAK: „Die jetzigen Reformen tragen massiv dazu bei, dass die jungen Ärzte nur noch mehr ins Ausland getrieben werden; Lösungen sehe ich hier keine.“ Vergleiche mit anderen EU-Ländern zeigen, dass dort weitaus mehr Anstrengungen unternommen werden, gut ausgebildeten Medizinern auch ebenso gute Arbeitsbedingungen zu bieten. Dänemark etwa punktet mit Sprachkursen, in Deutschland ist zwar auch das Gehalt nicht mehr so überzeugend, aber immerhin haben die Zeit und die Qualität für die Ausbildung der Jungen deutlich höhere Priorität als hierzulande. „Die Medizinerausbildung zählt zu den teuersten Ausbildungen überhaupt, daher täten wir gut daran, dafür zu sorgen, dass die Absolventen hier im Lande ihr Können einsetzen“, so Mayer. Auch Dr. Karlheinz Kornhäusl, Stellvertretender Obmann der Bundeskurie Angestellte Ärzte und Obmann der Bundessektion Turnusärzte, fordert dringend, den „europäischen Wanderzirkus“ zu stoppen: „Wir können es nicht gutheißen, dass Länder wie die Schweiz, Deutschland oder Liechtenstein einfach nicht genügend Ärzte ausbilden und dann hierzulande aus dem Vollen schöpfen können.“ Dennoch meint Reiff, dass der Anteil der „Abenteurer“, die als Mediziner ihr Glück im Ausland suchen, gering ist. „Das soll aber nicht heißen, dass wir nicht dringend in die Qualität der Ausbildung investieren müssen, um die Workforce im Land zu halten“, so Reiff.
Vorurteile abbauen
Die Lage im Gesundheitssystem erfordert einen dringenden Imagewandel des Arztberufes, der aber nur von den Ärzten ausgehen kann, die selbst jedenfalls eine gewisse Bereitschaft zur Selbstreflexion mitbringen müssen. „Wir spielen nicht alle Golf und fahren große Autos. Auch die Generation Y besteht nicht nur aus unangepassten Freizeitoptimierern. Es ist Zeit, das Bild der Ärzte, aber auch unserer Generation innerhalb der Ärzteschaft geradezurücken, denn die Vorurteile haben zur Folge, dass es zu einem massiven Vertrauensverlust in unsere Tätigkeit gekommen ist“, resümiert Kornhäusl. Und genau dieses Vertrauen in der Arzt-Patienten-Beziehung ist gefährdet, wenn die Kontinuität bei der Behandlung nicht gegeben ist – und das ist nach Ansicht der Ärztekammerfunktionäre aufgrund der aktuellen Reformbemühungen jedenfalls zu erwarten. PHC, zu viel Bürokratie und die Abkehr von der erkämpften 48-Stunden-Woche sind nur einige Beispiele, die deutlich in die falsche Richtung zeigen. Das Zukunftsbild umreißt Kornhäusl deutlich: „Es ist unwichtig, ob die Medizin männlich oder weiblich ist, wichtig ist, dass sie menschlich ist, und zwar für Behandler und Patienten.“