Prim. Prof. Dr. Felix Aigner, MBA, FEBS, FACS
Abteilung für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Barmherzige Brüder Krankenhaus Graz; Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Coloproktologie Österreichs
Im stetigen Fortschritt der Medizin spielt die Chirurgie eine zentrale Rolle in der Therapie des Kolorektalkarzinoms. Innovative Techniken und Zugänge wie die roboterunterstützte Chirurgie sowie der transanale Zugang spielen vor allem in der Behandlung des Rektumkarzinoms eine entscheidende Rolle.
In der Chirurgie des Kolonkarzinoms konnten in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte erzielt werden. Ein zentraler Aspekt ist die individualisierte Therapieplanung, die durch präzise Diagnostik und bildgebende Verfahren ermöglicht wird. In der Ära der Präzisionsmedizin gewinnt die personalisierte Behandlung von Kolonkarzinomen zunehmend an Bedeutung.
Den heutigen Standard der onkologischen Kolonchirurgie stellt die komplette mesokolische Exzision (CME) nach anatomisch embryologischen Landmarken dar. Durch die Einführung der CME konnte über eine erhöhte Lymphknotenausbeute eine Verringerung des Lokalrezidivrisikos und somit eine Verbesserung des 5-Jahres-Überlebens erzielt werden.1
Die neuesten Entwicklungen in der laparoskopischen Chirurgie ermöglichen zudem kleinere Schnitte, reduzierte postoperative Schmerzen und eine schnellere Genesung. Insbesondere die roboterassistierte Chirurgie hat sich als vielversprechende Option etabliert.
Ein weiterer bedeutender Schritt in der Therapie des Kolonkarzinoms ist die Integration der Chirurgie in den multimodalen Behandlungsansatz. Die neoadjuvante Chemotherapie vor Kolonresektionen hat sich in Bezug auf das Downsizing sowie die Rezidivrate bei fortgeschrittenen Tumoren als vorteilhaft erwiesen.2
Die Chirurgie des Rektumkarzinoms hat in den letzten Jahren vor allem durch die Weiterentwicklung der robotisch assistierten und transanalen Chirurgie eine deutliche Verbesserung in der Behandlung tiefsitzender Tumoren bei anatomischen Limitationen wie dem engen, adipösen, männlichen Becken erfahren. Die transanale endoskopische Mikrochirurgie (TEM) bei Frühstadien (T1, Low Risk) und die transanale totale mesorektale Exzision (TaTME) sind hierbei wegweisende Techniken.3
Beide Techniken zeigen vielversprechende Ergebnisse in Bezug auf die onkologische Sicherheit und die postoperative Lebensqualität der Patient:innen. Durch den transanalen Zugang wird die Sicht auf das Operationsgebiet verbessert, was zu einer präzisen chirurgischen Exzision führt. Diese Techniken sind insbesondere bei Patient:innen mit tiefsitzenden Rektumkarzinomen von Vorteil.
In der Behandlung des Rektumkarzinoms ist die Anwendung der neoadjuvanten Radiochemotherapie ein wichtiger Schritt, um die lokale Tumorlast zu reduzieren und die Resektabilität zu verbessern. Die moderne Chirurgie des Rektumkarzinoms integriert diese multimodale Herangehensweise, um die besten Ergebnisse für die Patient:innen zu erzielen.
Hervorzuheben ist an dieser Stelle die Bedeutung der Behandlung von Patient:innen mit kolorektalen Karzinomen in spezialisierten Zentren. Das Gesamt- und rezidivfreie Überleben von Patient:innen, die in zertifizierten Darmkrebszentren behandelt werden, ist signifikant besser als in nichtauditierten Abteilungen (Abb.).4
Die totale neoadjuvante Therapie (TNT) beim fortgeschrittenen Rektumkarzinom spielt eine zunehmende Rolle im multimodalen Therapieansatz. Sie trägt dazu bei, das Tumorvolumen vor der Operation zu reduzieren bzw. vollständig zu eradizieren (klinisch komplettes Ansprechen) und die Resektionsraten zu verbessern, was letztlich zu einer verbesserten Überlebensrate führen kann. Andererseits ist es durch die Verbesserung der Auflösung im prätherapeutischen MRT-Staging gelungen, Patient:innen herauszufiltern, die von einer primären Operation ohne Vorbehandlung mit dem gleichen onkologischen Outcome und besseren funktionellen Ergebnissen profitieren.5
Patientendaten über histologisch nachgewiesene Tumorfreiheit im Operationspräparat nach leitliniengerechter neoadjuvanter Radiochemotherapie und chirurgisch korrekter radikaler Rektumresektion oder Rektumexstirpation können bei Betroffenen die Hoffnung auf eine erfolgreiche Behandlung mit primärem Organerhalt wecken und haben zur Strategie des Watch and Wait geführt. Sollte sich diese Hoffnung nicht erfüllen und im Rahmen der für die Patient:innen belastenden, engmaschigen Nachuntersuchungen erneutes Tumorwachstum (Re-Growth) nachgewiesen werden, sind die Aussichten einer chirurgischen funktionserhaltenden Resektionsstrategie eingeschränkt. Daher sollte die Strategie des Nichtoperierens, d. h. des Organerhalts, grundsätzlich in Erwägung gezogen, aber nur selektionierten Patient:innen unter Bedachtnahme einer komplexeren Chirurgie bei Re-Growth angeboten werden.
Durch die Kenntnis der genetischen Profile der Tumoren können gezieltere Therapieansätze gewählt werden. Immuntherapien und zielgerichtete Therapien eröffnen neue Perspektiven in der Behandlung von lokal fortgeschrittenen Fällen. Individuelle Therapieansätze gewinnen an Bedeutung, um eine optimale Balance zwischen Wirksamkeit und Verträglichkeit zu gewährleisten.
Die Identifikation von Risikopatient:innen spielt eine zentrale Rolle in der präventiven Onkologie. Fortgeschrittene Bildgebungsverfahren, genetische Analysen und die Integration von Biomarkern, aber auch zunehmend der Einsatz künstlicher Intelligenz ermöglichen eine genauere Risikostratifizierung. Dies erlaubt nicht nur eine verbesserte Früherkennung, sondern auch eine gezieltere Therapie vor allem bei Tumorfrühstadien.6
Mittlerweile können lokal rezidivierende und auch primär fortgeschrittene, Organgrenzen überschreitende Befunde und Patient:innen mit Metastasierung durch sinnvollen, individuell angepassten Einsatz der Strahlentherapie, Zytostatika und schonender Viszeralchirurgie erfolgreich behandelt werden. Diese individualisierte Medizin wirft nun neue Fragen bezüglich der Favorisierung einzelner Methoden, deren Kombination und der Reihenfolge ihrer Anwendung auf.
Die minimal invasive Chirurgie hat die postoperative Genesungsdauer und die Lebensqualität der Patient:innen erheblich verbessert. Die Vorteile wie kleinere Schnitte, geringere postoperative Schmerzen und eine schnellere Rückkehr zu normalen Aktivitäten machen diese Technik attraktiv. Zusätzlich bietet das Fasttrack-Konzept die Möglichkeit, die Erholungszeit nach Operationen zu verkürzen. Dieser Ansatz beinhaltet Elemente wie frühe Mobilisation, effektives Schmerzmanagement und frühzeitige Ernährung.7
Die roboterassistierte Chirurgie setzt hier einen weiteren Meilenstein. Durch die präzise Steuerung der Roboterarme können selbst komplexe Eingriffe mit höchster Präzision durchgeführt werden. Dies ist besonders bei der Resektion von Tumoren in anatomisch anspruchsvollen Bereichen von Vorteil, wie es bei einigen Rektumkarzinomen der Fall ist.
Die Chirurgie des kolorektalen Karzinoms erfährt neben technischen Errungenschaften und innovativen Zugängen der letzten Jahre einen zunehmenden Paradigmenwechsel in Richtung personalisierte Chirurgie, vor allem unter Berücksichtigung individueller Risikokonstellationen und molekularbiologischer Charakteristika. Dabei wird der Einsatz von künstlicher Intelligenz für personalisierte Behandlungsstrategien in Zukunft eine noch größere Rolle spielen.
Referenzen: (1) Bertelsen CA et al., Lancet Oncol 2019; 20(11):1556–65 (2) Morton D et al., J Clin Oncol 2023; 41(8):1541–52 (3) Emile SH et al., Surgery 2024; 175(2):289–96 (4) Volkel V et al., Cancers 2023; 15:4568 (5) Ruppert R et al., J Clin Oncol 2023; 41(24):4025–34 (6) Moynihan A et al., Colorectal Dis 2023; 25(12):2392–402 (7) Leitlinienprogramm Onkologie (Deutsche Krebsgesellschaft, Deutsche Krebshilfe, AWMF): Perioperatives Management bei gastrointestinalen Tumoren (POMGAT), Langversion 1.0, 2023; AWMF-Registernummer: 088-010OL https://www.leitlinienprogramm-onkologie.de/leitlinien/perioperatives-management-bei-gastrointestinalen-tumoren-pomgat Zugriff am [06. 01. 2024]