Empfehlungen zum Management von Lungenkrebspatienten

2007 wurde in Clinical Microbiology Reviews das Reservoir SARS-CoV-ähnlicher Viren in Fledertieren (Hufeisennasen) vordem Hintergrund der chinesischen Kultur, in der exotische Tiere eine Delikatesse sind, als tickende Zeitbombe beschrieben. „Man sollte vorbereitet sein“, mahnte Vincent Cheng im Jahr 2007 unter der Überschrift: „Should we be ready for the reemergence of SARS?“. Etwas mehr als 10 Jahre später hat die SARS-CoV-2-Pandemie in China ihren Ausgang genommen.

Ab einem Alter von 60 Jahren plus nehmen COVID-19-Infektionen öfter einen schwereren Verlauf, und es ist eben auch jener Altersbereich, in dem häufig eine Lungenkrebs-Diagnose gestellt wird. In Österreich werden 2,2 % der COVID-Patienten ICU-­pflichtig, müssen auf eine Intensivstation verlegt werden, allerdings ist die Mortalität an Lungenkrebs deutlich höher als jene an COVID-19. Daher sollte man die Tumortherapie auch nicht abbrechen, eher die Intervalle verlängern und die Kontrolltermine ausdehnen.

COVID-19-Risikofaktoren

Als Risikofaktoren für eine schwer verlaufende Infektion gelten das Alter ab 60 Jahre, Komorbiditäten, Atemnot, CRP > 30 mg/l und Hypo­albuminämie. (Deng SQ, J. Clin. Med. 2020) Unter den Komorbiditäten haben (in absteigender Reihenfolge) kardiovaskuläre Erkran­kun­­gen, Diabetes, chronische Atemwegserkrankungen, Hypertension und Krebs das höchste Risiko für einen schweren Verlauf. Laut Daten aus China betrug die COVID-­Mortalität 10,5 % bei kardiovaskulär vorbelasteten Patienten und 5,6 % bei Krebspatienten. (Zhou F, Lancet Respir Med 2020) Bei Lungenkrebspatienten kommt erschwerend hinzu, dass häufig mehrere Komorbiditäten zusammentreffen, das heißt, die Situation ist prinzipiell nicht zu unterschätzen. Eine Publikation in Lancet Oncology, die unter 1.590 COVID-­19-Fällen 18 Krebspatienten (28 % davon mit Lungenkrebs) (also eine minimale Gruppe) analysierte, kommt zum Schluss, dass dreimal mehr COVID-19-­Patienten mit Krebs auf einer Intensivstation versterben als COVID-19-­Patienten ohne Tumorerkrankung (HR 3,56). (W. Liang, Lancet Oncol 2020).

Getrennte Bereiche im Spital

Es ist also ganz entscheidend, dass wir das Auftreten einer Infektion bei Patienten mit Lungenkrebs bestmöglich verhindern müssen. Daher sollten alle Maßnahmen zur Vermeidung einer Coronavirus-Infektion strikt eingehalten werden. Was wir von Italien lernen, ist, dass wir im Krankenhaus einen Bereich für Patienten schaffen müssen, die keine COVID-19-Erkrankung haben; einen Bereich für Patienten, bei denen die Situation unklar ist; und einen eigenen Bereich für viral erkrankte Patienten. Es ist wichtig, dieses Gruppen untereinander nicht zu durchmischen. Wenn ein Verdacht besteht, darf der Patient den onkologischen Bereich nicht betreten. Wenn sich also beispielsweise der Gesundheitszustand eines Patienten verschlechtert, muss vorher eine adäquate Testung durchgeführt werden. Zumindest zwei Testergebnisse sind abzuwarten, bevor der Patient wieder auf die onkologische Abteilung kommt.

Aggressive Regimen vermeiden, Applikations­intervalle verlängern

Ein weiterer Risikofaktor für schwere COVID-­19-Verlaufsformen war eine weniger als 14 Tage zurückliegende Antitumortherapie (haupt­sächlich Chemotherapie, Immuntherapie). (L. Zhang, Ann Oncol 2020) Wenn also eine aggressive Chemotherapie vermeidbar ist, sollte sie vermieden werden. Wenn ein Patient unbedingt eine hochaggressive Chemotherapie benötigt, deren Nutzen aber gering ist, dann würde ich eine Nutzen-Risiko-Abwägung empfehlen, ob nicht eine potenzielle Infektion für den Patienten viel riskanter wäre. Intervalle der Immuntherapie sollten, wenn möglich, verlängert werden, um Patienten oftmalige Wege ins Spital zu ersparen. Beispielsweise haben wir die Möglichkeit, die Immuntherapie alle zwei oder alle drei Wochen zu verabreichen, können dieselben Therapien aber auch alle vier oder alle sechs Wochen verabreichen. Wenn bei einem Patienten mit NSCLC-Adenokarzinom, im palliativen Setting, mit einer PD-L1-Expression ab 50 % die Wahl zwischen einer kombinierten Chemoimmuntherapie und ­einer Immuntherapie alle 6 Wochen besteht, dann würde ich in der aktuellen Situation lieber für die Immuntherapie alleine plädieren und weniger für die Triple-Therapie, um den Patienten nicht zu stark zu belasten. Auf der anderen Seite: Wenn mit einer Chemo­im­mun­therapie begonnen wurde und dann die Möglichkeit besteht, die Chemotherapie wegzulassen und die Immuntherapie alleine alle 6 Wochen durchzuführen, dann ist mir dieses Regime auch lieber. Das sind Ansätze, mit denen man einem Patienten etwas ersparen kann, individuell auf den Patienten aber trotzdem eingehen muss.
Die Empfehlung, Lungenkrebspatienten auch unter den aktuellen Vorzeichen der Corona-­Pandemie weiterhin zu diagnostizieren und zu therapieren, lässt sich in Hinblick auf Immuntherapie dadurch untermauern, dass die konti­nuierliche Gabe ein deutlich längeres progressionsfreies Überleben erzielt als der Therapiestopp. (CheckMate-153-Studie mit Nivolumab, Spigel, ESMO 2017) Ein Re-­Treatment ist zwar prinzipiell möglich, aber mit ungewissem Ausgang. Die Situation ist je nach Wunsch individuell mit dem Patienten zu diskutieren, die Empfehlung wäre allerdings ganz klar, die Therapie beizubehalten.

Radiologische Herausforderungen

Unter Umständen kann die Unterscheidung zwischen einer Tumorprogression und einer COVID-19-Infiltration der Lunge herausfordernd sein. Im Zweifelsfall schafft eine COVID-­19-Testung Klarheit. Radiologisch mitunter schwer zu differenzieren ist eine Pneumonitis unter PD(L)1-Checkpoint-Inhibitoren vs. eine COVID-19-Infiltration der Lunge. Im Unterschied zur Virusinfektion verbessert sich die PD(L)1-assoziierte Pneumonitis jedoch rasch unter Cortison. Als Faustregel lässt sich festhalten, dass Symptome des akuten respiratorischen Syndroms bei einer COVID-­19-Erkrankung rasch auftreten, innerhalb von wenigen Tagen, bei einer immuntherapieassoziierten Pneumonitis meist wesentlich später, durchschnittlich nach zwei Monaten.

Tyrosinkinasehemmer nicht absetzen (Tumor-Flare)

Eine interessante Publikation zu einem COVID-­19-Patienten mit EGFR-mutiertem Lungenkrebs (EGFR-L858R-Mutation, Stadium IV) stammt ebenfalls aus China. So wurde im Journal of Thoracic Oncology über einen 57-jährigen männlichen Patienten berichtet, der seit dem Jahr 2016 unter Therapie mit EGFR-­Tyro­sin­kinasehemmer steht (Gefitinib, Osimertinib) und im Jänner 2020 eine ICU-­pflichtige SARS-­CoV-2-Infektion erlitt. Interessant ist, dass die Therapie mit dem EGFR-­Tyro­sinkin­asehem­mer Osimertinib auf der Intensiv­station fortgesetzt werden konnte. Der Patient hat letztlich die Viruserkrankung überlebt und lebt im besten Sinne mit Krebs als chronischer Erkrankung weiter. (H. Zhang, JTO 2020) Daraus ergibt sich für mich in der Zusammenschau der klare Hinweis, dass eine gut verträgliche TKI-Therapie – gegen welche Treibermutation auch immer (z. B. ALK, ROS) – selbst auf der Intensivstation nach Möglichkeit nicht unterbrochen werden sollte; bei EGFR-TKIs insbesondere auch deswegen nicht, um das Tumor-­Flare-Syndrom, das explosive Aufflammen des Tumors nach abruptem Absetzen dieser Therapie, zu vermeiden. Afatinib zählt im Rahmen sequenzieller Therapiestrategien im Kontext der Corona-Pandemie vielleicht auch insofern zur bevorzugten EGFR-­TKI-Erst­linientherapie, als praktisch keine Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten zu befürchten sind. Die Substanz lässt sich leicht kombinieren.

Persönliche Interpretation der Datenlage

Meine persönliche Interpretation zum ­aktuellen Vorgehen bei Lungenkrebspatienten ist folgende: „Keep on diagnosing and treating lung cancer.“ Antitumoröse Therapien sollten auch unter den aktuellen Vorzeichen wie geplant durchgeführt werden. Eine Therapieunterbrechung ist nicht zu empfehlen. Eher sollten die Applika­tions­­intervalle verlängert und auch die Kontrolltermine etwas ausdehnt werden, damit sich Patienten nicht zu oft auf den Weg ins ­Spital machen müssen. Aggressive immun­suppressive Regimen sind generell zu vermeiden. Insgesamt sollte man Patienten nach den besten Therapiestandards weiterbehandeln. Trotzdem müssen wir nach ­individuellen Faktoren, anhand der ­Komorbiditäten, des individuellen Risikos, auch individuelle Entscheidungen treffen.

OA Dr. Maximilian Hochmair spricht im Video für Spectrum Immunonkologie (www.spio.at) über die Problematik der Coronavirus-Pandemie und geht dabei auf Risikofaktoren, Voraussetzungen für Spitäler und Kriterien für das Fortführen onkologischer Therapien ein.