Dr. Oliver Zeller
3. Medizinische Abteilung für Hämatologie und Onkologie, Hanusch Krankenhaus, Wien
Ära der neuen Substanzen
Die Behandlung des multiplen Myeloms (MM) hat sich in den letzten Jahrzehnten von der intravenösen Gabe von Melphalan über den Beginn der autologen Stammzelltransplantation (ASCT) bis zu den heutigen modernen Therapien stark gewandelt. Trotzdem bleibt bis jetzt die ASCT für transplantable Patient:innen ein Hauptbestandteil der Erstlinientherapie. Aber spielt die ASCT bei so vielen effektiven und gut verträglichen neuen Substanzen zur Behandlung des MM tatsächlich noch eine Rolle?
Mehr als 10.000 autologe Transplantationen werden derzeit jährlich beim multiplen Myelom in Zentren der European Society for Blood and Marrow Transplantation (EBMT) durchgeführt, damit ist das Myelom die häufigste Indikation dieser Therapieform, weit häufiger als bei Lymphomen. Diese Zahlen werden durch die vielfältigen Studien gerechtfertigt, die eine Zunahme des progressionsfreien Überlebens (PFS) nach ASCT nachwiesen.1–5 Nach vielen Versuchen, die Effektivität der Transplantation zu verbessern und die Toxizität zu verringern, bleibt eine, zu einem schnellen Engraftment führende Konditionierung mit 200 mg/m2 Melphalan ohne Ganzkörperbestrahlung, gefolgt von der Stammzellreinfusion, Therapiestandard nach Induktion bei transplantablen Patient:innen.
Parallel zu diesen Entwicklungen wurden zahlreiche neue therapeutische Optionen entdeckt, vor allem immunmodulatorische Medikamente (IMiDs) und Proteasomen-Inhibitoren (PI). Das ursprüngliche IMiD Thalidomid wurde bald durch Lenalidomid und Pomalidomid ergänzt, diese zeigten eine bessere Wirkung bei weniger Neurotoxizität.6 Proteasomen-Inhibitoren haben zusätzlich dazu die Ansprechraten erhöht sowie die Tiefe der Remissionen verbessert. Das erste Molekül aus dieser Gruppe war Bortezomib, dem bald Carfilzomib folgte, dieses erwies sich in der Dauer des Ansprechens als doppelt so effektiv wie Bortezomib. Später folgte auch Ixazomib als 3. Generation der PI. All diese neuen Substanzen wurden mit Kortikosteroiden kombiniert, zuletzt auch mit Antikörpern, was zumeist in einer besseren Effektivität bei weniger Toxizität resultierte.7–8
Im Kontrast zum B-Zell-Lymphom wurden monoklonale Antikörper erst zuletzt zu Therapieoptionen beim MM.9 Der SLAMF7-(Signaling Lymphocyte Activation Molecule Family Member 7-)Antikörper Elotuzumab scheint bei refraktärer oder rezidivierter Erkrankung in Kombination mit Bortezomib oder Lenalidomid plus Kortison ein deutlich verbessertes Ansprechen zu bewirken. Die neueren CD38-Antikörper wie Daratumumab und Isatuximab zeigten sich sowohl als Monotherapie bei relapsierter oder refraktärer fortgeschrittener Erkrankung als auch als Add-on zu modernen Erstlinien-Triple-Therapien effektiv, was die Ansprechrate, die Tiefe des Ansprechens und den Anteil der Patient:innen, die eine Minimal-Residual-Disease-(MRD-)Negativität erreichen, anging.10–15 Ob die Kombination potenter Erstlinienregime wie KRd (Kombination aus Carfilzomib, Lenalidomid und Dexamethason) zusammen mit monoklonalen Antikörpern wie Daratumumab mit den Ansprechraten der ASCT mithalten kann, ist noch nicht geklärt.16–17 Eine zunehmende Integration der monoklonalen Antikörper in die derzeitigen transplantationsbasierten Therapieschemata wird aber eine wahrscheinliche Entwicklung der nächsten Jahre sein.
Mit der Möglichkeit wirksamer Therapiekombinationen kommt ein zunehmender Trend zustande, diese direkt mit der ASCT zu vergleichen. In zwei rezenten italienischen Studien erhielten Patient:innen vier Zyklen Lenalidomid und Dexamethason als Induktion, danach wurden sie in verschiedenen lenalidomidbasierten Gruppen oder in eine ASCT-Gruppe randomisiert. In der ersten Studie wurden sechs Zyklen Melphalan, Prednisolon und Lenalidomid mit Tandem-ASCT verglichen, in der zweiten Studie sechs Zyklen Cyclophosphamid, Lenalidomid und Dexamethason mit Tandem-ASCT. In beiden Fällen zeigte sich ein besseres PFS im Tandem-ASCT-Arm.18–19 Ähnlich zeigte eine European-Myeloma-Network-Studie (EMN02), dass eine Induktionstherapie mit Bortezomib, Cyclophosphamid und Dexamethason, gefolgt von einer ASCT eine signifikante Besserung des medianen PFS sowie der Tiefe des Ansprechens im Vergleich mit einer Konsolidierung von Bortezomib, Melphalan und Prednisolon zeigte (PFS nicht erreicht vs. 44 Monate).20 Allerdings wurden diese drei Studien aufgrund ihrer suboptimalen Induktionstherapien kritisiert, da sie die Effektivität von modernen PI- und IMiD-basierten Kombinationstherapien nicht erreichten.
Eine neuere Studie hat sich jedoch mit dieser Frage beschäftigt und zeigte, dass die ASCT auch gegenüber einer modernen Triple-Kombination mit Bortezomib, Lenalidomid und Dexamethason (VRd) bessere Ergebnisse liefert. Die Konsolidierung mit ASCT und Erhaltungstherapie mit Lenalidomid wurde mit VRd und darauf folgender Erhaltungstherapie mit Lenalidomid verglichen, der erste Therapieansatz zeigte sich in der Tiefe des Ansprechens deutlich überlegen; es gab auch einen höheren Anteil von Patient:innen mit negativer MRD. Nach vier Jahren Follow-up hatten Patient:innen, die eine ASCT-Konsolidierung erhielten, außerdem ein besseres PFS (50 Monate vs. 36 Monate), allerdings zeigte sich kein Unterschied im Vier-Jahres-Gesamtüberleben (OS) (81 % vs. 82 %).21
2018 zeigte die FORTE-Studie, in der die ASCT mit dem KRd-Regime verglichen wurde, in ersten Ergebnissen ein ähnliches Therapieansprechen und Raten von MRD-Negativität in beiden Armen. Hochrisikopatient:innen in beiden Gruppen erreichten MRD-Negativitätsraten von ungefähr 50 %. Allerdings zeigten die neuesten Updates einen Vorteil im PFS von Hochrisikopatient:innen, die mit ASCT behandelt wurden. Diese positiven Ergebnisse stehen in direktem Kontrast zur prospektiven Phase-III-BMT-CTN-0702-STAMINA-Studie, die drei verschiedene Herangehensweisen und die Konsolidierung nach der ersten ASCT verglich: eine zweite ASCT und Lenalidomid-Erhaltung, vier Zyklen RVd und Lenalidomid-Erhaltung sowie Lenalidomid-Erhaltung ohne vorherige Konsolidierung. Es wurde kein Unterschied im Outcome zwischen diesen drei Gruppen gefunden.22 In dieser Studie gab es jedoch heterogene Induktionstherapien, alle Patient:innen erhielten die Erhaltungstherapie bis zum Erkrankungsprogress. In einem rezenten Update der FORTE-Studie ergab sich eine signifikant erhöhte Inzidenz von Rezidiven von MRD-negativen Hochrisikopatient:innen, die im KRd-Arm ohne Transplantation therapiert wurden. Dies suggeriert, dass Patient:innen mit Hochrisikomyelom auch in der Ära der hochpotenten Triple-Induktionstherapien von einer ASCT profitieren.23
Nachdem die ASCT die Standardtherapie beim multiplen Myelom mit einer transplantationsbedingten Mortalität von unter 1 % wurde, wurden die Kriterien für eine Eignung zur ASCT ständig erweitert. Initial herrschte der Konsensus, dass das obere Alterslimit für Patient:innen, die für eine ASCT vorgesehen waren, bei etwa 65 Jahren lag. Mittlerweile zeigten viele retro- und prospektive Studien, dass eher das biologische als das chronologische Alter in die Entscheidung der Transplantabilität einfließen sollte.24–27 Hochdosis-Melphalan und ASCT wurden als geeignete und sichere Therapie bei MM-Patient:innen im Alter von über 70 Jahren nachgewiesen, entsprechend sollte das Alter allein kein Exklusionskriterium sein.28
Unterschiedliche Studienergebnisse: Die rezente retrospektive CIBMTR-Studie zeigte die Möglichkeit, einer sicheren und effektiven ASCT bei Patient:innen oberhalb dieser Altersgrenze.29 Allerdings wurde die ASCT bei älteren Patient:innen erneut durch die Ergebnisse der MAIA-Studie in Frage gestellt.10 Diese Studie schloss Patient:innen über 65 Jahre ein, 45 % der Patient:innen waren sogar älter als 75 Jahre. Neu diagnostizierte nichttransplantable Patient:innen wurden in einen Lenalidomid- und Dexamethason- oder in einen Daratumumab-, Lenalidomid- und Dexamethason-Arm eingeschlossen. Beide Therapieregime wurden bis zur Erkrankungsprogression beibehalten, die Kombination mit Daratumumab zeigte hier deutlich bessere Ergebnisse. Der Anteil an Patient:innen ohne Krankheitsprogress lag bei 71 % im Daratumumab-Arm im Gegensatz zu 48 % im Kontrollarm. Weiters war der Anteil an MRD-Negativität mit 24 % im Daratumumab-Arm besser als 7 % in der Kontrollgruppe. Da allerdings fast alle bisherigen randomisierten Studien, die eine Konsolidierungstherapie mit ASCT beim MM untersuchten, einen Benefit bei PFS und manche sogar beim OS zeigten, kann man nicht davon ausgehen, dass die ASCT nicht mehr benötigt wird. Entsprechend wird es auch in Zukunft nötig sein, die ASCT in gut designten randomisierten Studien mit neuen Therapieregimen wie DRd (Daratumumab, Lenalidomid und Dexamethason) zu vergleichen. Weiters können Nierenfunktionsschäden ein limitierender Faktor für die Transplantabilität sein, speziell wenn die Kreatinin–Clearance geringer als 30 ml/min ist, dies stellt in vielen klinischen Studien ein Ausschlusskriterium dar. Allerdings zeigten geringere Dosen von Melphalan (100–140 mg/m2) bei Patient:innen mit Niereninsuffizienz ähnliche Toxizität und Outcome wie bei Patient:innen mit normaler Nierenfunktion.30–34
Das Outcome von Patient:innen mit multiplem Myelom hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten mit einer Verdoppelung des medianen PFS deutlich verbessert. Das Myelom wird speziell bei Normalrisikopatient:innen zur chronischen Erkrankung. Dies wurde durch die Kombination von neuen Substanzen und ASCT ermöglicht. Die Induktionstherapien werden mit der Kombination von PI, IMiDs und Kortikosteroiden immer effektiver, monoklonale Antikörper werden ebenfalls zunehmend essenzieller Teil dieser Therapieregime. Konsolidierungs- und Erhaltungstherapien nach Transplantation haben sowohl Tiefe als auch Dauer des Ansprechens verbessert, trotzdem bleibt die ASCT derzeit Therapiestandard beim neu diagnostizierten Myelom in transplantablen Patient:innen. Dabei spielt das chronologische Alter jedoch eine kleinere Rolle als allgemeine Fitness – auch die Einschränkung der Nierenfunktion ist keine Kontraindikation mehr.
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