Jugendliche und junge Erwachsene sind durch eine onkologische Diagnose anders belastet als Kinder und ältere Erwachsene. Die häufigste Krebsart zwischen 15 und 39 Jahren ist Brustkrebs. 2021 erhielt auch Frau Sophie M., 39 Jahre, die Diagnose Brustkrebs. Sie berichtet über herausfordernde Zeiten bis zur Diagnosestellung und übt Kritik am vorherrschenden System.
Sehr geehrte Frau M., wie sind Sie denn zu Ihrer Diagnose gekommen?
Als ich unter der Dusche stand, entdeckte ich zufällig eine Verhärtung in meiner Brust sowie in meiner Achselhöhle. Ich vereinbarte einen Termin bei meinem Gynäkologen, der mich einer Mammosonografie zuwies. Es hieß, dass es aufgrund des dichten Brustgewebes schwierig sei, etwas zu erkennen, und es folgte eine MR. Wenige Stunden nach der MR klingelte mein Telefon: Ich solle doch gleich noch einmal vorbeikommen. Man teilte mir mit, dass eine Biopsie vonnöten sei, und man händigte mir eine Broschüre mit Brustkrebszentren aus. Auf die Frage, ob ich mir Sorgen machen müsste, reagierte der Arzt mit Schweigen. Eine Befundbesprechung erfolgte nicht. Zu Hause recherchierte ich die Untersuchungsergebnisse: BI-RADS-Kategorie 5, die Stufe vor dem histologisch gesicherten Brustkrebs. Bei der Biopsie wurde ich gewissermaßen schon auf die Diagnose vorbereitet, die Hinweise seien doch sehr eindeutig. Weitere Untersuchungen seien nötig. Zuerst weigerte ich mich, die Überweisungen, auf denen bereits jetzt Krebs als Diagnose stehen würde, überhaupt mitzunehmen. Erst später ließ ich mir diese Überweisungen schicken und machte mir die Termine aus; Rückrufe erfolgten schnell, wenn ich „BIRADS 5“ erwähnte. Das Ergebnis der Biopsie samt Befundbesprechung sollte zwei Wochen später folgen. Überrascht wurde ich, als bereits nach einer Woche ein Anruf vom Krankenhaus kam, man würde gerne einen Termin zur Chemotherapie-Besprechung vereinbaren. Zu diesem Zeitpunkt hatte noch gar keine Befundbesprechung stattgefunden. Ich versuchte mir einzureden, es würde ein Irrtum vorliegen und man wollte einen anderen Patienten anrufen, jemand anderen, der tatsächlich Krebs hat, der tatsächlich eine Chemotherapie benötigt.
Wie ging es weiter?
Aufgrund der gesicherten Diagnose eines Tumors in der linken Brust sollten eine neoadjuvante Chemotherapie, Operation sowie Bestrahlung gefolgt von einer mindestens 7-jährigen Hormontherapie durchgeführt werden. Mit ernstem Gesicht teilte man mir mit, dass ich mich in einer „potenziell lebensbedrohlichen Situation“ befände. Meine Versuche, diese unwirkliche Situation für mich etwas zu entspannen, wurden missverstanden. Es passierte das, wovor ich Angst hatte. Ich sollte augenblicklich eine Reihe folgenschwerer Entscheidungen wie z. B. Kinderwunsch, COVID-Impfung … treffen. Keine Zeit zum Nachdenken oder zum Verdauen. Zwei Tage später sollte mir schon ein Port-a-Cath® eingepflanzt werden. Ansonsten könne man die Chemotherapie nicht starten. Mit dieser Situation war ich völlig überfordert. Ich entschied mich, eine Zweitmeinung einzuholen und wechselte schlussendlich in dieses Krankenhaus. Dort erfolgte die Chemotherapie mit insgesamt 8 Zyklen. Leider lässt das vorherrschende System nur wenig Raum für den Aufbau eines Arzt-Patient-Vertrauensverhältnisses – was dazu führte, dass ich mich während der CHT oft etwas verloren fühlte. Das änderte sich erst, als ich eine Privat-Ordination aufsuchte. Diese Ärztin war ein Glücksfall, für den ich sehr dankbar bin. Schlussendlich hat die CHT so gut angeschlagen, dass die Radiolog:innen sich darin einig waren, dass entgegen der ursprünglichen Annahme nun doch brusterhaltend operiert werden kann. Diese Nachricht hat im wahrsten Sinne des Wortes zu Freudensprüngen geführt. Dank meiner hervorragenden Ärztin ist die Operation gut verlaufen, und ich bin mit dem Ergebnis im Moment sehr zufrieden. In Kürze wird mit der Strahlen- und Hormontherapie gestartet.
Die aktuelle Corona-Situation macht das Ganze nicht unbedingt leichter. Dauernde Testungen trotz Impfung, Quarantäne, keine Begleitpersonen, stundenlanges Masketragen, diverse Angebote nicht möglich.
Ihr Alter wirft besondere Fragen auf. Es fiel zuvor schon das Thema Kinderwunsch. Wie gehen Sie mit dem Thema um?
Im Grunde wollte ich niemals eigene Kinder haben. In dieser Situation hat es mich dann allerdings doch mehr beschäftigt, als ich das erwartet hatte. Es ist wohl so, dass es ein riesiger Unterschied ist, etwas frei zu entscheiden oder aber keine andre Wahl mehr zu haben. Ich hatte zuvor auch nie dauerhafte Maßnahmen gegen Empfängnis getroffen. Ein wenig hatte ich es wohl dem Schicksal überlassen, das schlussendlich nun auch entschieden hat.
Sind bei Ihnen abseits des Kinderwunschthemas weitere Fragen aufgetaucht?
Nach über 18 Jahren im gleichen Job wollte ich im Frühjahr 2020 neue Impulse setzen. Einer zweiwöchigen Verschnaufpause folgend, sollte der Start in einen neuen beruflichen Lebensabschnitt stattfinden. Wie aus dem Nichts tauchte dann allerdings die weltweite COVID-19-Pandemie auf und sorgte dafür, dass erst einmal alles stillstand. Auch mein Arbeitsbeginn. Es folgten sehr unsichere Monate. Im Herbst sollte endlich wieder etwas Stabilität eintreten, und ich begann einen komplett neuen Job. Ein halbes Jahr danach dann die Diagnose. Meinen Arbeitgeber setzte ich über meine neue Situation in Kenntnis. Zu Anfang wusste ich nicht, wie ich mit der Situation umgehen sollte, wozu ich in der Lage sein würde und wozu nicht. Wie mein „neuer“ Körper denn so agieren würde. So versuchte ich, die Normalität so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und ging auch während der CHT arbeiten. Nach einiger Zeit musste ich allerdings akzeptieren, dass ich die gewohnte „Normalität“ loslassen muss. Auch wenn das möglicherweise den Jobverlust bedeutet könnte.
Wie reagierten Ihre Kolleg:innen?
Perücke und Make-up sorgten dafür, dass man mir die Krankheit meist nicht ansah und ich Sätze hörte wie: „Du siehst aber eh sehr gut aus.“ Es stellt sich die Frage, wie viel man preisgibt, damit das Gegenüber weiß, was wirklich Sache ist. Manche Leute glauben, man müsste 24 Stunden die „nackte Krankheitsrealität“, sowohl psychisch als auch physisch, zeigen. Doch man versucht ja das genaue Gegenteil, stark zu sein und auch so auszusehen. Niemand bricht gerne vor den Augen anderer zusammen.
Wie beurteilen Sie das Angebot an Hilfestellungen?
Es gibt sehr viele Angebote, von der Krebshilfe (psycho-onkologische und medizinische Hilfestellung) bis zum österreichweiten Beratungs- und Unterstützungsprogramm „fit2work“. An jeder Stelle bekommt man neue Tipps und Adressen, wohin man sich mit Fragen wenden kann, Informationen einholen kann, Anträge stellen oder sich zu Beihilfen informieren kann. Zu Anfang stand bei mir jedoch die komplette Überforderung mit der Fülle an Informationen. Was mir sehr geholfen hat, sind das Mitgefühl und Verständnis, dass bei jedem Kontakt mit den Menschen bei derlei Stellen und Organisationen zu spüren ist. Sie vermitteln einem das warme Gefühl, das ihnen tatsächlich was daran liegt, dir zu helfen und man nicht allein da steht. Auch das Pflegepersonal im Krankenhaus ist stets hilfsbereit, bemüht und sehr mitfühlend. Das hilft sehr.
Wie geht es Ihnen, ein halbes Jahr nach der Diagnose und den Therapieschritten?
Zu Anfang war die Frage, wie man die Situation einordnen muss: „Bin ich bald nicht mehr? Ist diese Möglichkeit real vorhanden? Sollte ich ‚Dinge regeln‘? Wie verhält man sich ‚richtig‘ in einer solchen Situation? Wie gehen andere damit um?“ Regelmäßig nutze ich auch das Angebot einer kostenlosen psycho-onkologischen Betreuung. Für diese Möglichkeit bin ich sehr dankbar.
Mich selbst als „Krebspatient“ zu sehen fällt mir nach wie vor schwer. Nach wie vor weiß ich nicht, wie ich damit umgehen soll. Auch nicht, wie ich damit umgehen soll, dass die Möglichkeit eines Rezidivs wahrscheinlich für den Rest meines Lebens besteht. Am Ende muss ich aber meinen eigenen ganz persönlichen Weg finden, damit umzugehen, unabhängig von der Meinung anderer.
Vielen Dank für das Gespräch!
*Name von der Redaktion geändert