Harnwegsinfektionen (HWI) nach Nierentransplantation stellen immer noch eine beträchtliche Gefahr in Hinblick auf eine erhöhte Morbidität des Transplantatempfängers, aber auch für das Transplantat dar. Dies wird schon alleine durch die Tatsache unterstrichen, dass HWI zwischen 40 und 50 % aller Infektionen posttransplant ausmachen und damit zu den häufigsten Infektionen bei Nierentransplantierten gehören.
Die von verschiedenen Transplantzentren berichteten Inzidenzraten variieren mit 6–86 % beträchtlich. Lokale „Outbreaks“, unterschiedliche Resistenzraten, lokale antibiotische Strategien, aber auch verschiedene diagnostische Definitionen und Kriterien könnten hierfür ursächlich sein. Generell ist die Infektionsrate wie in der Normalbevölkerung bei Frauen höher als bei Männern, wobei die meisten Infekte innerhalb des ersten Jahres nach Transplantation auftreten (maximal 82 % innerhalb der ersten 3 Monate, ca. 21 % im zweiten Jahr nach Transplantation).
HWI sind bei Empfängern von Organen von Lebendspendern deutlich seltener, vermutlich bedingt durch die kürzere kalte Ischämiezeit, geringer ausgeprägte Ischämie-Reperfusionsschäden und weniger „delayed-graft function“. Wie in der Normalbevölkerung sind gramnegative Erreger die häufigsten HWI-Erreger nach Nierentransplantation, und obgleich sich die Erregerspektren zwischen den Zentren zuweilen deutlich unterscheiden, stellt E. coli den häufigsten Erreger dar. Im Gegensatz zur Normalbevölkerung beträgt der durch den Anteil E. coli verursachten HWI nicht > 90 %, sondern etwa 50–65 %. Es folgen in aller Regel Pseudomonas aeruginosa, koagulasenegative Staphylokokken, Klebsiellae und Enterobacter cloacae.
Der Einfluss von HWI sowie – in seiner klinisch extremen Form – der Pyelonephritis auf das Transplantat- und Patientenüberleben wird nach wie vor kontrovers diskutiert. So wurde in einer retrospektiven Analyse von Pelle und Mitarbeitern demonstriert, dass immerhin ca. 19 % der HWI zu einer akuten Pyelonephritis führen können, welche mit einem deutlich schlechteren Transplantatüberleben verbunden war.2 Ähnliche Ergebnisse brachten anderen Untersuchungen, in denen Pyelonephritiden in den ersten drei Monaten nach Transplantation mit einer schlechteren Langzeitfunktion des Transplantates assoziiert waren. Die genauen Gründe für diese Assoziation sind bislang unklar. Eine durch eine akute Pyelonephritis ausgelöste, organschädliche inflammatorische Reaktion ist sicher einer der wesentlichen Mechanismen dieser klinischen Besonderheit.
In den allermeisten Zentren wird Trimethoprim-Sulfamethoxazol (TMP-SMZ) für 6 bis 12 Monate zur Pneumocystis jirovecii-Prophylaxe verwendet. Die Mehrzahl von E. coli, Enterobacter cloacae, koagulasenegativen Staphylokokken sowie die meisten Enterokokken sind jedoch gegenüber TMP-SMZ resistent, was die Ineffizienz dieser Substanz in der Prävention von HWI nach Transplantation mit erklärt.1
Mittlerweile steigen aber auch die Resistenzraten von z. B. E. coli oder Enterobacteriaceae gegenüber Chinolonen. Die Resistenzsituation würde durch den ungezielten und breiten Einsatz weiterer und besonders neuerer Substanzklassen noch weiter eskalieren. Eine generelle antibiotische HWI-Prophylaxe nach Nierentransplantation wird daher derzeit nicht empfohlen.
HWI nach Nierentransplantation verlaufen bis hin zur Urosepsis oftmals klinisch inapparent. In der Regel ist eine initial empirische Therapie mit sehr gut harngängigen Antibiotika notwendig, die sowohl gramnegative als auch gram-positive Erreger erfassen. An den meisten Zentren wird bei Verdacht auf schnell aszendierende HWI bzw. bei inzipienter Urosepsis unverzüglich mit einer intravenösen Antibiotikatherapie begonnen.
Zur Dauer der Therapie bei HWI nach Nierentransplantation existieren keine gültigen Richtlinien auf Basis solider klinischen Daten. Eine ältere Empfehlung sieht eine Therapiedauer bei nachgewiesenem HWI vor allem innerhalb der ersten Monate nach Transplantation von 14–21 Tagen vor, während bei stabil Transplantierten ähnlich wie in der Normalbevölkerung eine Behandlungsdauer von 5 bis 7 Tagen vorgeschlagen wird. Diese Empfehlung macht insofern Sinn, als die putative Einnistung virulenter Keime in das Blasenepithel, wie für E. coli experimentell mehrfach beschrieben, möglicherweise aktiv verhindert werden kann. Dadurch könnten spätere, für Organ und Patienten schädliche HWI-Rekurrenzen im Sinne auch eines chronischen HWI reduziert werden.3 Bei mehrfachen HWI-Rekurrenzen trotz intensiver Antibiose und fehlender Antibiotikaresistenz sollte sofort eine weiterführende Bildgebung veranlasst werden (CT, MR-Urographie etc.), um z. B. Steine, komplexe Zysten, etwaige Abflusshindernisse, rektovesikale Fisteln (Cave z. B. bei putridem Sekret als Hinweis für Fisteln!) etc. zu erfassen. Zudem ist eine urologische Abklärung einzuleiten (Urodynamik, Miktionszystogramm), bevor schließlich eine langfristige Antibiotikatherapie (> 3 Monate) eingeleitet wird.
Im Gegensatz zur Normalbevölkerung existieren für Transplantationspatienten leider keine Therapieempfehlungen für die asymptomatische Bakteriurie. Dies liegt vor allem daran, dass bislang keine konzisen Studien zu den möglichen Folgen einer asymptomatischen Bakteriurie vorliegen. Bislang publizierte Studien brachten heterogene Ergebnisse. Es ist aber davon auszugehen, dass bestimmte Bakterienstämme eine deutlich erhöhte Organtoxizität besitzen. So exprimieren etwa verschiedene Bakterienstämme Fimbrien, die eine Inflammation auslösen und damit auch das Transplantat schädigen können. Die Entscheidung, rezidivierende asymptomatische Bakterurien zu therapieren, bleibt allerdings letztlich eine klinische, die jedoch mehrere Faktoren, wie eine geringere oder komplex ausgeprägte klinische Symptomatik (z. B. erhöhtes CRP ohne Fieber und/oder Leukozytose) unter Immunsuppression und Niereninsuffizienz, das Ausmaß der Bakteriurie (z. B. hohe Keimzahlen), Isolation potenziell eher uropathogener Keime (z. B. E. coli vs. Enterokokken), Transplantatfunktion (z. B. progressive Dysfunktion ohne kausale Anhaltspunkte nach Biopsie) etc., berücksichtigen sollte.