Stellenwert der mikrobiologischen Diagnostik bei Harnwegsinfektionen

Harnwegsinfektionen zählen zu den häufigsten bakteriellen Infektionen und spielen sowohl in der Praxis als auch im Krankenhaus eine bedeutende Rolle. Die Resistenzraten des Indikatorerregers Escherichia coli (E. coli) liegen für viele Antibiotika bereits in einem Bereich, der die Substanzen für die Empirie nur mehr eingeschränkt empfehlen lässt. Im Folgenden werden das Erregerspektrum und die aktuelle Resistenzsituation dargestellt, um die Rolle des Antibiogramms als wichtigen Bestandteil des Harnbefunds zu veranschaulichen.

Leitkeim E. coli

Als Erreger Nummer eins ist Escherichia coli (Abbildung) sowohl im ambulanten Bereich als auch im Krankenhaus nach wie vor der mit Abstand häufigste Erreger von Harnwegsinfektionen (HWI). Das gilt in gleichem Maß für den einfachen akuten wie für den komplizierten Infekt oder die Urosepsis. Die Bedeutung des Erregers spiegelt sich auch in den im österreichischen Resistenzbericht AURES publizierten Daten zur Bakteriämie wider. Demnach ist E. coli der am häufigsten aus Blutkulturen isolierte gramnegative Erreger. Zwischen den Jahren 2000 und 2010 wurden in EARS-Net über 20.000 durch E. coli verursachte Bakteriämien erfasst, wobei die jährliche Inzidenz zunehmend anstieg. Die Inzidenz der E.-coli-Bakteriämie liegt derzeit bei 41,4/100.000 ÖsterreicherInnen.
Seit dem Jahr 2008 werden neben Blutkulturisolaten auch Harnisolate im AURES dargestellt. Der diesbezüglich rezente Datensatz umfasst rund 24.000 E.-coli-Primärisolate, die in sieben Zentren ausgewertet wurden, und die zu gleichen Teilen aus dem niedergelassenen und dem Spitalsbereich stammen. Diesen Daten dürften den akuten, unkomplizierten Harnwegsinfekt allerdings nur bedingt abbilden. Denn der größere Teil der Isolate dürfte von komplizierten oder rezidivierenden Infektionen stammen, weil hauptsächlich in diesen Situationen eine mikrobiologische Untersuchung durchgeführt wird. Dies erklärt auch, warum in diesen Daten hinsichtlich der Resistenzsituation zwischen dem niedergelassen Bereich und dem Krankenhaus keine allzu großen Unterschiede zu finden sind.
Eine eigene Stichprobe (aus einem oberösterreichischen Krankenhaus mit urologischer Abteilung) von Harnproben aus dem Jahr 2011 bestätigt den Bundestrend: In 2.500 von über 4.500 Harnproben wurden Enterobakterien als kausales Agens identifiziert. In 1.600 Fällen handelte es sich um E. coli (> 60 %), gefolgt von Klebsiella spp. (13 %), Proteus spp. (8 %), Enterobacter spp. (5 %) und anderen Arten. Auch über 1.200 analysierte Harnproben aus dem niedergelassenen Bereich in Oberösterreich aus dem Jahr 2011 ergaben – in Abhängigkeit von der Qualität und damit der angewendeten Bewertungskriterien der Harnproben – Nachweisraten von E. coli zwischen 62 % (nur eine Spezies und in einer Keimzahl von ≥ 105/ml nachgewiesen) und 71 % (nur eine Spezies und in einer Keimzahl von ≥ 107/ml nachgewiesen). Das Verhältnis von Nonfermentern zu Enterobakterien lag bei 1 : 10, mit > 80 % Pseudomonas aeruginosa, gefolgt von Acinetobacter spp. (5 %). In der Praxis spielten diese Erreger damit eine völlig untergeordnete Rolle (< 1 %; 6 aus 581 Pseudomonas aeruginosa).
Auch grampositive Harnwegsinfekterreger fanden sich nur in einer geringen Anzahl von Harnproben. Staphylococcus saprophyticus, der klassische Erreger der unkomplizierten HWI der jungen Frau, wurde demnach in der oberösterreichischen Stichprobe (über 1.200 ambulante Harnproben) in nur 6 von 581 Proben (1 %) in signifikanter Keimzahl (≥ 105/ml) nachgewiesen. Wieweit Enterokokken als ursächliches Agens von HWI gelten, wird kontroversiell und in Abhängigkeit vom vorliegenden Krankheitsbild sowie der Patientencharakteristika (Grunderkrankung, Dauerkatheter etc.) diskutiert. Sie konnten in rund 7 % der Fälle als alleinige Erreger (≥ 105/ml) nachgewiesen werden.

 

 

Aktuelle Resistenzsituation

In der Humanmedizin dient die Überwachung und Analyse von Resistenztrends (Surveillance) von Indikatorbakterien (z. B. E. coli bei der Harnwegsinfektion) vor allem einem Zweck: der Beantwortung der Frage, welche Antibiotika empirisch für bestimmte Indikationen unter Wahrung maximaler Patientensicherheit verwendet werden können. Um bereits vor dem Vorliegen definitiver Befunde (Harnkultur mit Antibiogramm) eine möglichst maßgeschneiderte Ersttherapie zu veranlassen, ist die Kenntnis aktueller Resistenzraten unumgänglich, wobei die lokalen Unterschiede individuell berücksichtigt werden sollten (Geografie, ambulantes versus Spitalssetting, Patientenkollektiv, Krankenhaus, Abteilungsebene). Bundesweit in Österreich erhobene Daten zeigen gewisse Trends auf, die jedenfalls ins Kalkül gezogen werden müssen. So manche ausländische Guideline, vor allem aus Übersee, sollte in diesem Kontext kritisch beurteilt und hinterfragt werden.

Aminopenicilline

Aminopenicilline müssen unbedingt mit einem β-Lakta­masehemmer kombiniert werden. Bei einer Ampicillin-Resistenz von > 50 % würde ohne diese Kombination jeder zweite Patient nicht adäquat behandelt. Hierfür stehen Amoxicillin/Clavulansäure oder auch Ampicillin/Sulbactam zur Verfügung, beide Kombinationen auch in oraler Form. Die Resistenzraten für beide Therapieoptionen liegen aktuell je nach Quelle bei 10 % bis zu über 20 %. Die Kenntnis der lokalen Resistenzraten ist beim empirischen Einsatz unumgänglich. Die Bedeutung der mikrobiologischen Diagnostik mit Antibiogramm nimmt angesichts dieser Entwicklungen eine immer bedeutendere Rolle ein. Pivmecillinam ist aufgrund seiner besonderen β-Laktamase-Stabilität und der niedrigen Resistenzrate mit 5 % sowie der oralen Verfügbarkeit derzeit sicher eine Therapieoption.

Cephalosporine

Diese Antibiotikagruppe steht seit einigen Jahren aufgrund der zunehmenden ESBL- und „Killerkeim“-Thematik besonders im Fokus auch des medialen Interesses. Der unkritische Einsatz von Cephalosporinen – vor allem auch unsachgemäß bei viralen Atemwegsinfekten – hat dazu geführt, dass Bakterien die verschiedensten Enzyme („ESBL“; Extended-Spectrum-ß-Laktamasen) in großem Maß ausbilden, was den indikationsgemäßen Einsatz dieser Substanzgruppe ernsthaft gefährdet. Ein ungünstiger Nebeneffekt dieser Entwicklung ist der vermehrte Einsatz von Carbapenemen – ein Trigger für eine noch massivere Enzymproduktion (Carbapenemasen).
Zum Thema HWI und Cephalosporine kann Folgendes zusammengefasst werden: Cephalosporine der 1. Generation sind generell schlecht gegen Enterobakterien wirksam, dies gilt vor allem für die orale Verabreichung. Ähnliches gilt für die 2. und 3. Generation oraler Cephalosporine. Also auch, wenn die Resistenzraten von < 10 % verglichen mit anderen Ländern bei uns erfreulich niedrig sind, sollten diese Antibiotika (2.–4. Generation) ausschließlich im Spitalsbereich und ausreichend hoch dosiert und intravenös verabreicht werden. Alle Cephalosporine haben darüber hinaus eine Enterokokkenlücke.

Fluorochinolone

Drittes Sorgenkind ist die Gruppe der Fluorochinolone, die an sich aufgrund ihrer pharmakologischen Eigenschaften – sowohl oral aus auch intravenös verabreichbar – Antibiotika der Spitzenklasse für die Behandlung von HWI darstellen. Aktuell liegt die Resistenzrate um 20 % bei E. coli (Quelle AURES 2010: E. coli aus Blutkulturen und Harnwegen 20 und 18 %, OÖ-Stichprobe: 23 %). Vor allem bei Therapieversagern wird daher empfohlen, unbedingt eine mikrobiologische Harnuntersuchung mit Antibiogramm durchzuführen.

Alternativen?

Mangels neuer Entwicklungen auf dem Gebiet der Antibiotika sowie der durchaus unerfreulichen Resistenzentwicklungen rücken seit Langem bekannte Substanzen wieder in den Mittelpunkt des Interesses. Vor allem für die Praxis wäre es wichtig, eine Auswahl auch oral verfügbarer Substanzen zur Verfügung zu haben.
Trimethoprim bzw. Trimethoprim/Sulfamethoxazol (JXT) stellt aufgrund von Resistenzraten um > 25 % (OÖ: > 30 %) keine gute Alternative für die empirische Therapie des HWI dar. Auch hier ist das Antibiogramms von großer Wichtigkeit. Bei Einsatz von SXT ist die mikrobiologische Aufarbeitung des Harns vor Therapiebeginn sinnvoll, um gegebenenfalls umstellen zu können.
Nitrofurantoin hat, aufgrund seiner Nebenwirkungen eher aufs Abstellgleis geraten, aktuell eine Resistenzrate von 2 %. In unserer oberösterreichischen Stichprobe waren von über 1.700 E. coli als kausales Agens von Harnwegsinfektionen nur 17 resistent. Damit ist dieses Antibiotikum jedenfalls eine Therapieoption.
Fosfomycin, als Fosfomycin/Trometamol auch oral verfügbar, wurde wegen der möglichen gefürchteten raschen Resistenzentwicklung von österreichischen Meinungsbildnern in der Indikation HWI nie empfohlen, wird in internationalen Guidelines aber stark propagiert. Mangels standardisierter Testkriterien sowie mancherorts nur im Stufentest erhobener Daten zu Fosfomycin variieren publizierte Resistenzraten teils ganz erheblich und müssen mit Vorsicht interpretiert werden. Einer vorsichten Einschätzung nach würde die Autorin die Resistenz von E. coli gegen Fosfomycin für gering halten (< 10 %), die Substanz aber trotzdem eher individuellen Situationen wie der Therapie von Problemerregern (z. B. Enterobakterien mit ESBL- oder Carbapenemase-Produktion) vorbehalten. Eine Empfindlichkeitstestung sollte mittels MHK-Bestimmung durchgeführt werden. Wichtig zu wissen ist, dass sich das Wirkspektrum von Fosfomycin nicht auf Staphylococcus saprophyticus erstreckt.