Hirnentwicklungsstörungen werden mehr und mehr als Ursache therapieresistenter Epilepsieformen im Kindes- und Jugendalter anerkannt. In ca. 25–40 % der Fälle lassen sich mit modernsten Neuroimaging-Verfahren Malformationen des zerebralen Kortex nachweisen1. Das Spektrum umfasst unterschiedliche Veränderungen im kindlichen Gehirn, die mit Aufbaustörungen in der kortikalen Schichtung und fehlentwickelten neuronalen Zellformen einhergehen. Vor nicht allzu langer Zeit wurden all diese Pathologien unter dem Decknamen „Migrationsstörung“ zusammengefasst. Nach heutigem Stand des Wissens handelt es sich allerdings nicht nur um Störungen der neuronalen Migration, sondern um ganz unterschiedliche Pathomechanismen, die in verschiedene, zeitlich abhängige Stadien der Hirnentwicklung eingreifen und daher Defekte in der Ausreifung des Gehirns setzen2.
Trotz zahlreicher neuer Erkenntnisse in den letzten Jahren bleibt die Ätiologie der meisten Störungen jedoch nach wie vor ungeklärt. Die Fortschritte lassen sich in erster Linie als spezifische genetische Defekte definieren.
Prinzipiell sind Hirnfehlbildungen als Ursachen für eine schwer behandelbare Epilepsie seit 200 Jahren bekannt. Allerdings hat erst die Ära der hochauflösenden Magnetresonanztomographie (MRT) den tatsächlichen Durchbruch zur besseren Korrelation zwischen bildgebenden Verfahren, neurologischen Funktionsausfällen, Entwicklungsrückständen und elektroklinischen Daten gebracht3.
In diesem Zusammenhang haben zahlreiche Arbeiten in den letzten Jahren gezeigt, dass aberrante neuronale Netzwerke innerhalb einer kortikalen Fehlbildung epileptogen sind. Diese scheinen jedoch auch in unmittelbarer Kommunikation mit dem funktionell zugehörigen oder anatomisch umgebenden intakten Neokortex zu stehen4. Diese teilweise sehr umschriebenen Veränderungen lassen sich nur schwer mittels Bildgebung detektieren und werden vielfach als kryptogen eingestuft. Die allerdings äußerst schwer behandelbare Epilepsie sowie die häufig damit verbundenen komorbiden Störungen wie kognitive Entwicklungsverzögerung oder psychiatrische Krankheitsbilder lassen mehr und mehr an eine Hirnentwicklungsstörung denken.
Aus diesem Grund werden zunehmend auch Kinder einer prächirurgischen Abklärung unterzogen, um weitere neurologische Ausfälle zu verhindern und Verbesserungen in der neurokognitiven Entwicklung zu erzielen. Diese Zunahme an epilepsiechirurgischen Eingriffen v. a. im Kindesalter hat ein reges Interesse an dem nunmehr verfügbaren Gehirngewebe ausgelöst. Auch hier konnte in den letzten Jahren ein großer Fortschritt im Hinblick auf Klassifikation und Pathomechanismen der damit verbundenen Epilepsieformen gemacht werden.
Bis jetzt ist die genaue Inzidenz der kortikalen Entwicklungsstörungen unbekannt. An großen epilepsiechirurgischen Zentren konnte allerdings eine Zunahme der diagnostisch gesicherten Hirnfehlbildungen verzeichnet werden, welche in erster Linie auf die verfeinerte Diagnostik zurückzuführen ist5–8.
In den letzten Jahren wurden verschiedenste Klassifikationsschemata zur Einteilung von Hirnentwicklungsstörungen publiziert. Aus diesem Grund ist bis jetzt keine einheitliche Nomenklatur für alle Veränderungen vorhanden. Ganz im Gegenteil, die derzeit verwendeten Diagnosen können sich von Zentrum zu Zentrum unterscheiden.
Als gemeinsamer Nenner ließ sich herausarbeiten, dass schwere Fehlbildungen im Gehirn zu profunden Entwicklungsstörungen beim Kind und zum frühen Auftreten von schweren Epilepsieformen führen, wohingegen eher mildere Varianten nach dem ersten Anfall in jeder Altersgruppe bei sonst neurologisch gesunden Personen entdeckt werden können1, 4. Die Einbeziehung elektroklinischer, genetischer und bildgebender Daten hat zu einer Übersichtsarbeit aller Hirnentwicklungsstörungen9 sowie zu einer Ad-hoc-Taskforce der Internationalen Liga gegen Epilepsie (ILAE) zur Klassifikation der häufigsten operativ zugänglichen Fehlbildungen geführt – den fokalen kortikalen Dysplasien (FCD)10.
Die Bezeichnung „fokale kortikale Dysplasie“ wurde erstmals 1971 von Taylor et al. verwendet. In den chirurgisch entfernten Resektaten von 10 EpilepsiepatientInnen wurden „große dysmorphe Nervenzellen“ und „groteske blasse, nicht eindeutig zuzuordnende Zellformen“ im Rindenband und im subkortikalen Marklager beschrieben11. Weiters fiel den Autoren die Ähnlichkeit mit den im tuberösen Sklerosekomplex (TSC) vorkommenden Läsionen auf11. Seit dieser detaillierten Beschreibung erweiterte sich das neuropathologische Spektrum um zahlreiche Neuzugänge direkt proportional zur Zunahme epilepsiechirurgischer Eingriffe.
In diesem Zusammenhang wurde immer wieder versucht, alle Veränderungen in eine allgemeingültige Klassifikation zu bringen7, 9, 12, 13. Die am meisten verwendete wurde 2004 von Palmini et al. als Konsensusklassifikation publiziert13. Leider war es damit nicht möglich, klare Aussagen in Bezug auf klinische Zusammenhänge zu tätigen. Ein Grund dafür lag in der unklaren Definition der einzelnen Typen. Die daraus resultierenden Daten zur Anfallsfreiheit nach epilepsiechirurgischen Eingriffen schwankten zwischen 20 % und 80 %6, 10, 14, 15.
Um neue Erkenntnisse in Bezug auf prächirurgische Abklärung und postoperative Anfallsfreiheit zu erlangen, schloss sich kürzlich eine Taskforce der ILAE zusammen und beschloss eine neue Konsensusklassifikation16, welche strikt isolierte FCD von assoziierten trennt. Sie ist in 3 Typen unterteilt (Tab.):
Die verschiedenen histologischen Bilder sind in Abbildung 1 dargestellt. Die Definition klarer histopathologischer Kriterien und gute klinisch-pathologische Zusammenarbeit stellen die nächsten Schritte zur besseren Behandlung von EpilepsiepatientInnen mit FCD dar17.
Hemimegalenzephalie ist eine seltene Hirnentwicklungsstörung, die durch eine deutliche Vergrößerung und Rindenarchitekturstörung einer Hirnhemisphäre definiert wird. In den meisten beschriebenen Fällen zeichnet sie sich klinisch durch einen massiven Entwicklungsrückstand, neurologische Defizite und eine äußerst schwer behandelbare Epilepsie in den ersten Lebensmonaten aus18–22. Die primäre Diagnosestellung erfolgt klinisch-radiologisch. Die Erfolge mittels Epilepsiechirurgie (z. B. funktionelle Hemisphärotomie) sind eher bescheiden23. Im neuropathologischen Spektrum sind sämtliche Veränderungen wie Rindenarchitekturstörung, dysmorphe Nervenzellen und auch Ballonzellen nachweisbar (Abb. 2A).
Eine gestörte Hirnentwicklung kann durch aberrante Proliferation, Differenzierung und Migration neuronaler Vorläuferzellen hervorgerufen werden. Der letzte Punkt führt offensichtlich zu fehlerhafter Lokalisation von Nervenzellen und fehlender kortikaler Laminierung13. Ist die Auswanderung unreifer Nervenzellen in allen Bereiche
n derart gestört, dass sich eine komplett glatte Hirnoberfläche ausbildet, dann bezeichnet man diese Art der Fehlbildung als Lissenzephalie24. Eine klassische Lissenzephalie hat eine Prävalenz von 11,7/1 Mio. Geburten25. Die Anzahl an milderen Formen ist unklar.
Bei einer normalen Hirnentwicklung lässt sich eine agyre Hirnoberfläche bis zur 11. Schwangerschaftswoche nachweisen. Danach bilden sich Gyri aus, beginnend bei der Sylvischen Furche. Die Gyrierung ist normalerweise in der 32. Schwangerschaftswoche abgeschlossen. Somit ergibt sich ein Zeitfenster von der 11. bis 13. Schwangerschaftswoche für die Bildung lissenzephaler Störungen.
Im Wesentlichen handelt es sich um eine genetische Erkrankung, die mit Mutationen auf zwei verschiedenen Genen einhergeht: das erste ist Doublecortin (DCX) auf dem X-Chromosom und das zweite LIS1 auf Chromosom 1726, 27. Mutationen im DCX-Gen verursachen eine klassische Lissenzephalie (XLIS) bei hemizygoten Buben sowie subkortikale Bandheterotopien bei heterozygoten Mädchen28 (Abb. 2B). Buben sind also schwerer betroffen als Mädchen, es ist mit schwerer neurokognitiver Entwicklungsverzögerung und therapieresistenter Epilepsie zu rechnen. DCX ist ein mikrotubuliassoziiertes Protein, welches für die Stabilität im Zytoskelett zur neuronalen Migration und Reifung verantwortlich ist29.
Heterozygote Deletionen im Bereich des Chromosoms 17p13 (LIS1) führen ebenfalls zur Lissenzephalie, und zwar zum klassischen Miller-Dieker-Syndrom, das auch Gesichtsdysmorphien beinhaltet. Es ist außerdem mit einer deutlich reduzierten Lebenserwartung zu rechnen.
Eine weitere Form der Lissenzephalie beruht auf einer Mutation im Reelin-Gen (RELN)30. In diesem Fall ist die Hirnoberfläche nicht zur Gänze glatt, sondern pflastersteinartig von konfluierenden Mikrogyri durchbrochen.
Der Ausdruck „Heterotopien“ umfasst die Ansammlung von großen Mengen an Nervenzellen in der tiefen, weißen Substanz. Je nach Lokalisation und Verteilung der Neurone unterscheidet man drei verschiedene Arten:
Alle drei Arten können über weite Strecken im kindlichen Gehirn vorhanden sein, was den operativen Zugang dieser Fehlbildungen erschwert.
Unter Polymikrogyrie versteht man die Ausbildung einer großen Anzahl kleiner irregulär konfigurierter Gyri, welche eine an sich vergröberte Hirnoberfläche hinterlässt. Polymikrogyrie kann alle Lappen des Hirns gleichermaßen betreffen und ist mit einem weiten Spektrum an klinischen Erscheinungsbildern assoziiert. Diese reichen von einer schweren epileptischen Enzephalopathie bis hin zu milden fokal-neurologischen Defiziten. In Tiermodellen konnte gezeigt werden, dass funktionelle Defizite über die eigentliche Läsion hinausgehen31, 32. Aus diesem Grund sollte ein epilepsiechirurgischer Eingriff in ausreichendem Ausmaß geplant werden, da die alleinige Entfernung des polymikrogyren Areals meist nicht ausreichend ist, um eine adäquate Anfallsreduktion bzw. -freiheit zu erzielen33, 34 (Abb. 2C).
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