Die tiefe Hirnstimulation (Deep Brain Stimulation – DBS) im Bereich des Nucleus ven- tralis intermedius des Thalamus stellt eine wichtige Therapieoption für PatientInnen mit (pharmako-)therapieresistentem essenziellem Tremor (ET) dar und wurde von der Deutschen Gesellschaft für Neurologie in ihren aktuellen Leitlinien mit der höchsten Evidenzklasse ausgezeichnet. Trotz des typischerweise bereits intraoperativ beobachtbaren Effekts der Tremorsuppression bestehen in der Literatur zumindest bei einem Teil der PatientInnen Hinweise darauf, dass es im Laufe der Jahre zu einem Verlust des Stimulationseffektes kommt. Jedoch beschränkten sich diese Beobachtungen bisher auf unkontrollierte Fallserien. Erklärungsmodelle für einen Effektverlust der Thalamusstimulation wären einerseits eine rapidere Krankheitsprogression, andererseits eine Toleranzentwicklung gegenüber der Stimulation nach Elektrodenimplantation.
Studiendesign: Auf Basis dieser Beobachtungen wurde in dem renommierten DBS-Referenzzentrum der University of Florida eine Studie zum Effektverlust nach DBS durchgeführt1, in deren Rahmen bei ET-PatientInnen mit Thalamusstimulation präoperativ sowie bis zu drei Jahren postoperativ klinische Tremor-Scores erhoben wurden. Untersucht wurde die Hypothese, dass PatientInnen mit Thalamusstimulation einen identen Krankheitsverlauf mit langsamer Progression aufweisen.
Zur Beantwortung dieser Fragestellung wurde eine retrospektive Datenerhebung des DBS-PatientInnenregisters der University of Florida durchgeführt, in welche ET-PatientInnen mit unilateraler oder bilateraler Thalamus-DBS eingeschlossen wurden, und altersgematchten ET-PatientInnen ohne DBS als Kontrollen gegenüber gestellt wurden.
Die Tremorintensität wurde mittels der Fahn-Tolosa-Marin-Tremor Rating Scale (TRS) durchgeführt. Klinische Tremor-Scores wurden gemeinsam mit Parametern zur Lebensqualität und globaler klinischer Beurteilung vor Operation sowie 6, 12, 24 und 36 Monate nach DBS erhoben. PatientInnen wurden unter laufender Stimulation untersucht (On) und dann noch einmal nach 30 Minuten Stimulationspause (Off). Die Studie wurde offen durchgeführt; sowohl klinische Rater als auch PatientInnen waren über die jeweilige Stimulationseinstellung (Off vs. On) informiert.
Von 69 in der Datenbank identifizierten PatientInnen konnten 28 eingeschlossen werden. Gründe für Nichteinschluss waren primär chirurgisch, wie das Vorliegen einer Zweitoperation, DBS-Revisionen sowie OP-Komplikationen und insuffizientes Follow-up. Den eingeschlossenen Fällen wurden 21 ET-Kontrollen ohne DBS gegenübergestellt. Erwartungsgemäß zeigten die Kontrollen zur Baseline geringer ausgeprägte Tremor-Scores sowie eine kürzere Erkrankungsdauer. In allen weiteren erhobenen Parametern wie Alter, Geschlecht und Händigkeit waren die eingeschlossenen Fälle von den Kontrollen nicht zu unterscheiden.
Ergebnisse: Um den Effekt der Stimulation auf den Verlauf der Grunderkrankung beurteilen zu können – im Gegensatz zum symptomatischen Effekt auf den Tremor selbst – wurde die Untersuchung des primären Studienendpunkts unter abgeschalteter Stimulation (Off-Stimulation) durchgeführt. Die Ergebnisse dieser Studie zeigten, dass es über drei Jahre sowohl bei bilateral als auch unilateral stimulierten PatientInnen zu keiner Verschlechterung der Tremor-Scores Off-Stimulation im Vergleich zur Baseline kam, während sich der Tremor bei nichtstimulierten Kontrollen im gleichen Beobachtungszeitraum langsam verschlechterte. Bei PatientInnen mit unilateraler DBS kam es sogar zu einer Verbesserung der Tremor-Scores Off-Stimulation. Der symptomatische Effekt der Stimulation auf den Tremor war bei allen DBS-PatientInnen über die gesamte Studiendauer signifikant nachzuweisen. Es zeigte sich lediglich bei einem Patienten ein Stimulationsverlust nach drei Jahren. Eine genaue Analyse der chirurgischen Daten brachte jedoch bei jenem Patienten eine atypische Elektrodenlage zu Tage, welche die AutorInnen als Erklärung für einen geringeren DBS-Effekt heranziehen.
Kommentar: Zusammengefasst zeigte sich in jener ersten kontrollierten Studie zum Effekt der DBS auf die Grunderkrankung ET kein Hinweis auf eine Toleranzentwicklung auf die Stimulation in einem Beobachtungszeitraum von drei Jahren. Im Gegenteil, DBS-PatientInnen zeigten Off-Stimulation keinen Hinweis auf Krankheitsprogression, teilweise sogar eine Verbesserung. Der Stimulationsverlust bei einem Patienten sei auf eine suboptimale Elektrodenlage zurückzuführen.
Kritisch kann man anmerken, dass der „Besserung“ zur Baseline im Off lediglich ein überhängender Stimulationseffekt zugrunde liegen könnte mit einer zu kurzen Stimulationspause vor der Untersuchung (30 Minuten). Als mögliche weitere Erklärung der vermeintlichen Besserung des ET nach DBS-OP könnte ein auch unabhängig von der Stimulation bestehender Thalamotomieeffekt durch die platzierte Elektrode sein.
Der in einzelnen Patientengruppen diskutierte Verlust des Stimulationseffekts konnte daher – zumindest bei optimaler Elektrodenlage – anhand dieser Studie eines renommierten DBS-Zentrums in den USA nicht bestätigt werden.