Die interventionelle Neuroradiologie (INR), eine Division der Radiologie, hat sich in den vergangenen Jahren rasant entwickelt. Nicht nur die Mehrzahl der Aneurysmen wird heute endovaskulär therapiert, endovaskuläre Techniken werden auch in der Behandlung des Schlaganfalls, bei spinalen duralen arteriovenösen Fisteln und auch bei arteriovenösen Malformationen im Bereich von Wirbelsäule und Gehirn angewendet.
Auf dem Gebiet der INR waren lange Zeit vorwiegend Neuroradiologen/Neuroradiologinnen tätig. Mittlerweile werden diese Techniken zunehmend auch von anderen Fachärzten/Fachärztinnen, vor allem Neurochirurgen/Neurochirurginnen und Neurologen/Neurologinnen, angewendet. Bisher gab es keine einheitliche Ausbildung, sondern verschiedene Fachgesellschaften begannen, Richtlinien für die Schulung in INR zu entwickeln. Die hochgradig individuelle Ausbildung brachte sehr unterschiedliche Ergebnisse mit teilweise flachen Lernkurven, oft sehr zum Nachteil der PatientInnen.
Die Abteilung für Neuroradiologie der UEMS* hat nun eine Trainingscharta zur einheitlichen Aus- und Weiterbildung von interventionellen Radiologen/Radiologinnen verabschiedet1, 2.
Die Ausbildung in INR sollte jedem/jeder interessierten Facharzt/Fachärztin unabhängig von seiner/ihrer Spezialisierung offen stehen. Den Kern der Task-Force bildeten Neurologen/Neurologinnen, NeurochirurgInnen, Kardiologen/Kardiologinnen, Radiologen/Radiologinnen und Neuroradiologen/Neuroradiologinnen unter der Führung des Präsidenten der Abteilung für Neuroradiologie, die sich auf eine gemeinsame Trainingscharta einigten.
Die lange Ausbildungsdauer von vier Jahren setzt einen großen persönlichen Einsatz voraus. Alle Fachärzte/Fachärztinnen, die dazu bereit sind, widmen sich mit einer solchen Intensität der INR, dass ihr bisheriger medizinischer Background nur eine Bereicherung der INR sein kann.
Das Curriculum umfasst alle Aspekte der INR. Als INR-SpezialistInnen werden nur Ärzte/Ärztinnen anerkannt, die das gesamte Curriculum absolvieren. Der Text der Trainingscharta für INR hat den offiziellen Status einer UEMS-Empfehlung und ist Teil der Legislative der Europäischen Union (Europäische Direktive 2005/36/CE)1.
Das gesamte Training umfasst eine zweijährige Kernausbildung in INR und eine jeweils einjährige Ausbildung in diagnostischer Neuroradiologie und klinischer Neurowissenschaft. Einem/einer Neuroradiologen/Neuroradiologin kann die einjährige Ausbildung in Neuroradiologie angerechnet werden, einem/einer NeurochirurgIn oder Neurologen/Neurologin die einjährige Ausbildung in Neurowissenschaft. Ein/eine Radiologe/Radiologin muss die gesamte vierjährige Ausbildung absolvieren. In Abhängigkeit von der Vorausbildung kann die Ausbildungszeit verringert werden. Die Beurteilung liegt beim Direktor und Kodirektor des Trainingsprogramms.
Die Ausbildung deckt das gesamte Spektrum der INR ab, eine Spezialisierung während des Ausbildungsprogramms wurde als nicht sinnvoll erachtet.
Das INR-Trainingsprogramm ist als Netzwerk von Institutionen/Abteilungen strukturiert, in dessen Zentrum die INR-Einheit steht. Diese muss verschiedene Anforderungen erfüllen, darunter die entsprechende Anzahl endovaskulärer Eingriffe (mindestens 150/Jahr) mit einem Fallspektrum, das Insulte, Aneurysmen, arteriovenöse Missbildungen, durale Fisteln und spinale vaskuläre Missbildungen umfasst.
INR-SpezialistInnen sollten idealerweise in einem INR-Team tätig sein, in dem ein Austausch von Erfahrung und Wissen sowie gemeinsame Forschung möglich ist. Eine Einzelpraxis wird nicht empfohlen.
Jedem/Jeder europäischen Facharzt/Fachärztin, der/die ab nun eine Ausbildung in INR beginnt, wird dringend empfohlen, sich an der Charta zu orientieren. Jeder/Jede bereits in Ausbildung befindliche Arzt/Ärztin sollte sein/ihr Training nach Möglichkeit entsprechend adaptieren. Ärzte/Ärztinnen ohne praktische Erfahrung in INR vor Oktober 2011 laufen ohne chartagemäße Ausbildung im Falle eines Kunstfehlerprozesses Gefahr, der nicht ausreichenden Schulung bezichtigt zu werden.
Die Charta hat keinen rückwirkenden Effekt auf bereits heute tätige INR-SpezialistInnen. Sie haben das Recht, ihre Arbeit fortzusetzen.