THS bei Parkinson: Die tiefe Hirnstimulation (THS) ist mittlerweile ein etabliertes Therapieverfahren bei Parkinson, Dystonie und Tremor, das weltweit bereits bei über 100.000 PatientInnen angewendet wurde. Andrea Kühn (Berlin; V339) berichtete über Studien zur Wirkungsweise dieser Methode. Von den implantierten Elektroden können so genannte lokale Feldpotenziale abgeleitet werden, die die synchronisierte Aktivität von Nervenzellgruppen im Zielbereich der Elektroden widerspiegeln. Bei der Parkinson-Erkrankung (PE) findet sich ein Entladungsmuster im Frequenzbereich von 13–30 Hz mit pathologisch verstärkter Synchronisierung bei Ableitung im Nucleus subthalamicus (STN). Dieses pathologische Muster kann durch eine Therapie mit L-Dopa und durch die THS mit hochfrequenter Stimulation unterbrochen bzw. überschrieben werden, was mit der klinischen Besserung von Rigor und Akinese einhergeht. Eine ähnliche pathologisch verstärkte Rhythmizität von Nervenentladungen in einem niedrigeren Frequenzbereich (6–12Hz) wurde auch bei der Dystonie im Globus pallidus internus (GPI) gefunden und auch diese wird durch eine hochfrequente THS, die zu einer deutlichen klinischen Besserung führt, gehemmt. An der Entwicklung einer neuen Generation von Hirnschrittmachern, die die pathologische neuronale Aktivität gezielter unterdrücken können, ohne die normale Hirnaktivität zu beeinflussen, wird gearbeitet. Man erhofft sich dadurch eine Verminderung der Nebenwirkungen der THS.
THS bei Tourette: Über die Anwendung der THS bei Gilles de la Tourette berichtete Müller-Vahl (Hannover; V112). Die Methode wurde 1999 erstmals in dieser Indikation eingesetzt, doch existieren kaum kontrollierte Studien zu dem Thema. Dass die THS bei Tourette eine bisher eher experimentelle Behandlung ist, äußert sich auch in der Tatsache, dass bereits 11 verschiedene Zielpunkte versucht wurden. Aus größeren Fallregistern lässt sich eine gute bis sehr gute Verbesserung der Tics mit anhaltendem Effekt ableiten (Zielpunkte meist Thalamus oder GPI), wobei Verbesserungen von 60–80 % berichtet wurden. Bezüglich des Effektes auf die Komorbiditäten ist die Datenlage noch dürftiger, doch scheint auch hier ein positiver Effekt auf Zwangsstörungen und autoaggressives Verhalten zu bestehen.
Keine Wirkung wurde auf Symptome des ADHS („attention deficit hyperactivity syndrome“) beschrieben und die Wirkung auf depressive Symptomatik ist fraglich. Nebenwirkungen der THS bei Tourette sind Müdigkeit, Lethargie und Apathie. Die Indikation zur THS sollte nur bei Erwachsenen mit schwereren Tics und nach Ausschöpfung sämtlicher medikamentöser Therapieoptionen (mindestens 3 verschiedene Neuroleptika, Clonidin, Benzodiazepine und Tetrabenazin) gestellt werden.
Biomarker: Nach wie vor besteht großes Interesse an der Suche nach Biomarkern der Parkinson-Erkrankung. Mollenhauer (Kassel; V284) stellte die Datenlage zur α-Synuklein-Messung als Biomarker der PE vor. Eine Verminderung von α-Synuklein bei PE und Demenz mit Lewy-Körperchen (LBD) wurde im Liquor festgestellt, doch besteht eine starke Überlappung der Daten mit anderen Krankheitsbildern. Bestimmungsmethoden mit unterschiedlichen α-Synuklein-Antikörpern ergeben widersprüchliche und unterschiedliche Resultate. α-Synuklein-Oligomere wurden bei LBD und PE in gesteigerten Konzentrationen im Liquor gemessen. Eine neue Studie wurde vorgestellt, in der u. a. α-Synuklein gesamt, Oligomere von α-Synuklein, phosphoryliertes α-Synuklein und Tau bestimmt werden sollen.
Tremordominanztyp: Schon bisher war bekannt, dass Parkinson-PatientInnen mit Tremordominanztyp (TDT) einen klinisch benigneren Verlauf als PatientInnen mit der akinetisch-rigiden Form (ARF) haben und weniger häufig eine Demenz entwickeln. In einer multizentrischen deutschen Kohortenstudie an über 800 Parkinson-PatientInnen sollen diese Zusammenhänge genauer untersucht werden. Die Ergebnisse einer Zwischenauswertung an 676 PatientInnen (Heber et al.; P698) legen wie erwartet nahe, dass TDT-PatientInnen weniger häufig eine Demenz entwickeln. Etwa 77 % der Kohorte konnten dem ARF und 11 % dem TDT zugeordnet werden.
Kamptokormie: Anhand einer Fragebogenstudie an Parkinson-PatientInnen wurden von Markgraf, Hempel und Deuschl (Kiel; P482) die Probleme der Kamptokormie näher evaluiert. Die Erhebung an 59 PatientInnen mit Kamptokormie zeigte, dass dieses meist im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung auftretende Symptom eine schwere Beeinträchtigung darstellt, die im Vordergrund der aktuellen Beschwerden dieser PatientInnen steht. Die Kamptokormie trat im Mittel nach etwa 8-jährigem Krankheitsverlauf auf. 27 PatientInnen hatten ständige, 22 häufige Schmerzen mit einem VAS-Wert von 6,4! Etwa die Hälfte der PatientInnen berichteten über ätiologisch unklare Rückenvorerkrankungen.
Tolcapon: In einer nichtinterventionellen, multizentrischen, europäischen Studie an 391 Parkinson-PatientInnen wurde von Eggert et al. (Marburg, London; P690) über die Wirksamkeit und Sicherheit von Tolcapon unter Praxisbedingungen berichtet. In dieser Untersuchung über 12 Monate erwies sich Tolcapon bei Parkinson-PatientInnen als sicher und wirksam. Signifikante Erhöhungen der Leberwerte waren selten und normalisierten sich bei den meisten Patienten wieder ohne Intervention. Dies bestätigt das niedrige hepatotoxische Risiko von Tolcapon.
C9ORF72-Hexanukleotid-Expansion: Zahlreiche Beiträge bei der DGN beschäftigten sich mit der Rolle der vor einem Jahr entdeckten C9ORF72-Hexanukleotid-Expansion bei familiärer und sporadischer ALS und frontotemporaler Demenz (FTD). Meyer (Berlin; V22) sprach über die neuen Konzepte zur ALS und den Zusammenhang zwischen „neuen“ Genen und dem Krankheitsphänotyp. Prinzipiell ist klar geworden, dass die Genetik bei ALS eine große Rolle spielt und dass ALS und FTD nahe beieinanderliegen.
Die C9ORF72-Hexanukleotid-Expansion findet sich bei 20–40 % der familiären ALS-Fälle, während SOD1-Mutationen nur in 10 % gefunden werden. PatientInnen mit der C9ORF72-Mutation scheinen einen schwereren und kürzeren Krankheitsverlauf zu haben und häufiger eine bulbäre Symptomatik zu entwickeln. Etwa die Hälfte dieser PatientInnen haben gleichzeitig eine FTD im Vergleich zu nur 12 % der PatientInnen ohne diese Mutation. Somit ist auch die ALS als Multisystemdegeneration anzusehen.
PatientInnen mit bulbärer Form der ALS entwickeln häufig eine Kachexie und sollten über PEG-Sonde hochkalorisch ernährt werden. Es besteht die Hoffnung, dass die neuen pathogenetischen Erkenntnisse auch in neue Therapiekonzepte einfließen werden.
fALS-Autopsiestudie: Hübers (Ulm; V25) stellte eine Autopsiestudie an 109 Fällen mit familiärer ALS (fALS) vor. Bei etwa einem Viertel (26) fand sich die GGGGCC-Hexanukleotid-Expansion im C9ORF72-Gen. Der Krankheitsverlauf dieser PatientInnen war mit 2,8 ± 1,4 Jahren deutlich kürzer als bei PatientInnen ohne diese Mutation (5,7 ± 4,4 Jahre). Die Repeat-Längen korrelieren negativ mit der Krankheitsdauer, eine Antizipation scheint aber nicht zu bestehen.
In einer weiteren Autopsiestudie konnte bei C9ORF72-positiven Fällen deutlich häufiger eine Ubiquilin-Pathologie vor allem im Zerebellum, aber auch in vielen anderen Hirnregionen gefunden werden. Auch Ubiquilin-Mutationen wurden 2011 als genetischer Marker bei ALS entdeckt. Ubiquilin-2 ist an der Proteasom-Funktion beteiligt. Die pathologischen Befunde deuten darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen der C9ORF72-Mutation und der Ubiquilin-Pathologie gibt (Brettschneider et al., Ulm, Philadelphia, Baltimore; V23).
Dexpramipexol: Ludolph (Ulm; V134) stellte eine Therapiestudie mit Dexpramipexol bei ALS-PatientInnen vor1. Dexpramipexol ist das rechtsdrehende Enantiomer von Pramipexol. Es hat keine Dopaminagonisten-Wirkung, inhibiert aber aberrante mitochondriale Ionenkanäle. In einer doppelblinden Sicherheits- und Verträglichkeitsstudie wurde die Substanz an etwa 100 PatientInnen mit ALS untersucht. Die Therapie war sicher und gut verträglich. Trends zeigen eine Verminderung der Krankheitsprogression und eine Verbesserung der Überlebensrate in der Dexpramipexol-Gruppe. Aufgrund dieser vielversprechenden Ergebnisse wird nun eine größere klinische multizentrische Studie mit Dexpramipexol an 950 ALS-PatientInnen durchgeführt (EMPOWER-Studie).
Lebensqualität: In einer interessanten Untersuchung über die Lebensqualität von PatientInnen mit ALS berichteten Lulé et al. (Ulm, Berlin, Würzburg, Tübingen; P731), dass die Lebensqualität der 86 untersuchten PatientInnen im neutralen bis positiven Bereich lag und Depressionen selten waren. Die PatientInnen zeigten außerdem einen geringen Wunsch, zu sterben. Gesunde waren nicht in der Lage, sich dies korrekt vorzustellen und antizipierten einen signifikant höheren Wunsch der PatientInnen zu sterben. Diese Ergebnisse sind vor allem in Hinblick auf PatientInnen-Verfügungen interessant. Diese werden meist in gesundem Zustand verfasst, in dem Personen überhaupt nicht in der Lage sind, vorauszusehen, wie es ihnen in fortgeschrittenem Krankheitszustand gehen würde, und welche Entscheidungen sie in diesem Fall treffen würden. Diese Ergebnisse sind vor allem für Diskussionen zum Thema aktive Sterbehilfe wichtig und aufschlussreich.