Die vorliegende Ausgabe von neurologisch präsentiert Kurzzusammenfassungen ausgewählter Vorträge zu den Hauptthemen der 10. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie, die von 14.–17. März 2012 in Graz stattfand.
Ein Themenschwerpunkt unserer Jubiläumstagung widmete sich dem alternden Gehirn, wobei auf die Grauzone zwischen normalem und pathologischem Hirnaltern besonderes Augenmerk gerichtet wurde. Die Auswahl dieses Themas trägt der zentralen Rolle des Fachgebietes Neurologie in der medizinischen Versorgung geriatrischer PatientInnen Rechnung. Das Risiko für Erkrankungen des Zentralnervensystems wie Alzheimer-Demenz, Morbus Parkinson und Schlaganfälle steigt ab dem 60. Lebensjahr steil an, und im Jahr 2035 werden rund drei Millionen ÖsterreicherInnen über 60 Jahre alt sein. Laut „World Health Report – Global Burden of Disease“ ist Demenz heute für 11,2 % und der Schlaganfall für 9,5 % aller mit Behinderung verbrachten Lebensjahre verantwortlich. Beide Erkrankungen verursachen mehr Invalidität als muskuloskelettale oder kardiovaskuläre Erkrankungen (je 8,9 %). Während 1951 in Österreich noch 35.000 Menschen an Demenz litten, sind es heute bereits 100.000, 2050 werden es 235.000 sein. Nach Schätzungen aus den USA wird sich auch die Zahl der Parkinson-PatientInnen in den kommenden 25 Jahren verdoppeln.
Die hier präsentierten Vortragszusammenfassungen zu diesem thematischen Feld beschäftigen sich mit MRI-Veränderungen bei normalem Altern und dem Kontinuum zur Alzheimer-Demenz sowie der Bedeutung der kognitiven Reserve als Erklärungsmodell der häufig gesehenen Diskrepanz zwischen zerebraler Pathologie und kognitiver Funktion. Ein weiterer Artikel ist dem Thema Muskel und Alter gewidmet und spannt den Bogen von den physiologischen Veränderungen der Muskelfunktionen bei älteren Menschen über Myopathien, die durch Besonderheiten des Alterns hervorgerufen werden, bis hin zu Muskelerkrankungen, die sich typischerweise erst im Alter manifestieren.
In der Grauzone zwischen normalem Altern und dem Auftreten von Erkrankungen des Nervensystems spielen Prodromalzeichen eine entscheidende Rolle. Solche Zeichen gehen in zunehmendem Maße in neue diagnostische Kriterien ein und stehen im Mittelpunkt der Entwicklung präventiver und krankheitsmodifizierender Therapieansätze. Sie stehen damit an der Schnittstelle zwischen Forschung und klinischer Praxis und gewinnen für alle klinisch tätigen NeurologInnen an Bedeutung. Sie finden in diesem Heft lesenswerte Zusammenfassungen zum Thema Prodromalerscheinungen des Schlaganfalls, der Demenz und der Polyneuropathien. Welchen Beitrag moderne diagnostische Verfahren in der Früherkennung von neurologischen Erkrankungen leisten können, stand ebenfalls im Fokus der Grazer Jahrestagung.
Aus dem Kongressprogramm präsentieren wir Ihnen Artikel zum Thema „Immunologische Biomarker“ und zum Thema „Personal genomics“, ein Bereich, der durch die rapide Technologieentwicklung mindestens ebenso viele Probleme wie Chancen in der Betreuung unserer PatientInnen aufwirft. „Next Generation Sequencing“ wird eine riesige Zahl von Mutationen fern der eigentlichen Indikation der genetischen Untersuchung zeigen, ohne dass bislang Richtlinien bestehen, wie damit umzugehen ist. Der entsprechende Artikel in dieser Ausgabe unserer Zeitschrift zeigt das Potenzial und die Risiken neuer Gentechnologien auf und regt zu einer kritischen Betrachtungsweise an.
Der Grazer Kongress widmete sich auch dem Themenkreis „Ernährung“. Dieses Thema wird trotz seiner unumstrittenen Bedeutung für unseren klinischen Alltag auf neurologischen Kongressen selten in den Mittelpunkt gerückt und stieß gerade deswegen und aufgrund der hohen Vortragsqualität auf großes Publikumsinteresse. Die Entscheidung für oder gegen eine Sondenernährung ist in unserem Fachgebiet oft schwierig zu treffen und bedarf häufig der Abwägung multipler Faktoren. Eine systematische Aufarbeitung dieses Themas finden Sie im entsprechenden Kongressbericht, und wir informieren Sie auch über das interessante Thema spezifischer Diäten bei neurologischen Erkrankungen.
In meiner Funktion als Tagungspräsident der 10. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie ist es mir ein Anliegen, mich gemeinsam mit dem Vorstand der Gesellschaft und meinen Kolleginnen und Kollegen der lokalen Organisation für Ihren Kongressbesuch zu bedanken! Unser Dank geht auch an unsere Sponsoren, ohne die die Ausrichtung der Veranstaltung nicht möglich gewesen wäre. Ich bedanke mich an dieser Stelle aber ganz besonders bei allen Vortragenden für ihre hervorragenden Beiträge und bei den AutorInnen dieser Kongressnachlese dafür, dass sie die Arbeit auf sich genommen haben, ganz hervorragende Vortragszusammenfassungen zu unser aller Vorteil zusammenzustellen. Ich bin mir sicher, dass Sie, liebe Leserin, lieber Leser, die Beiträge informativ finden werden.
Ihr
Reinhold Schmidt