EFNS 2012: Aktuelles zu Neuroinfektionen und autoimmunen Enzephalitiden


ZNS-Infektionen – mögliche Reisemitbringsel und Infektionen mit weltweiter Relevanz

In seinem Vortrag über reiseassoziierte Neuroinfektionen wies E. Schmutzhard, Innsbruck, darauf hin, dass tropische Erkrankungen inzwischen nicht mehr auf geographisch definierte Risikogebiete beschränkt sind. An dieser zunehmenden Ausbreitung sogar bis nach Europa spielen zum einen der Klimawandel und der weltweite Handel eine Rolle. Zum anderen tragen die Migration von Personen nach Europa und ReiserückkehrerInnen bei. Wenn es um Reisen geht, haben so genannte „Visiting Friends and Relatives“ (VFR) das größte Risiko, sich Krankheiten im Ausland einzuhandeln1. Diese würden einerseits das Risiko unterschätzen, andererseits einen überdurchschnittlich langen Aufenthalt haben und eine andere Urlaubsgestaltung aufweisen als der durchschnittliche Tourist/die durchschnittliche Touristin.
Ein Teil dieser Tropenkrankheiten ist mit Erkrankungen im neurologischen Fachgebiet verbunden, sodass auch in Westeuropa ansässige Neurologen und Neurologinnen mit möglichen klinischen Manifestationen, Komplikationen und Behandlungskonzepten vertraut sein sollten. Neu aufgetretene Paresen, epileptische Anfälle oder Verhaltensauffälligkeiten sind häufige Zeichen und Symptome von tropischen Neuroinfektionen. Um bei ReiserückkehrerInnen mit solchen Symptomen den potenziellen Erreger eingrenzen zu können, sollten Reisedetails (Saison, Dauer, Reiseroute, Meereshöhe), Exposition (Sexualkontakte, Baden in Gewässern, Einnahme von nicht ausreichend gekochtem Essen, Insektenstiche, Tierkontakt und -bisse etc.) miteinbezogen werden2. Zu berücksichtigen sind auch der Immunstatus der PatientInnen, Impfungen und durchgeführte prophylaktische Maßnahmen.

Häufige Neuroinfektionen: Die zerebrale Malaria, die Neurozystizerkose, virale ZNS-Erkrankungen (Dengue-Fieber, Zecken-Enzephalitis) und die akute bakterielle Meningitis zählen zu den häufigsten nach Europa importierten Neuroinfektionen3. Tropische Parasitosen sind oft gefürchtet und weisen eine große Variabilität in Hinblick auf neurologische Zeichen und Symptome auf. Diese reichen von Enzephalopathien (z. B. zerebrale Malaria) über epileptische Anfälle (z. B. Neuro­zystizerkose) und kardiale Embolien (z. B. Morbus Chagas) bis zu Myelopathien (z. B. Neuroschistosomiasis).
Unter den bakteriellen ZNS-Infektionen sind die Meningokokken hervorzuheben, die neben einer Meningitis auch eine Sepsis und sepsisassoziierte Enzephalopathie sowie Abszesse verursachen können. Im Meningitisgürtel, einer Region in Afrika unmittelbar südlich der Sahara und nördlich des Äquators, sind Meningokokken-Erkrankungen endemisch. Während in Europa die Serogruppen B und C vorherrschen, ist in Afrika die Serogruppe A der dominierende Meningokokken-Subtyp. Die Impfung mit dem tetravalenten Polysaccharidimpfstoff (wirksam gegen die Subtypen A, C, Y und W135) ist daher bei Reisen in das Endemiegebiet unumgänglich4.

Über aktuelle Trends von Neuroinfektionen mit weltweiter Relevanz berichtete J. Sellner, Wien5. Trotz einer globalen Immunisierungskampagne (400 Millionen Kinder in 2007) gibt es immer noch Gebiete, in denen die Polio-Eradikation nicht erfolgreich geblieben ist (Afghanistan, Nigeria und Pakistan)6. Ein zahlenmäßig noch kleineres, aber grundsätzlich kritisches Problem sind zirkulierende, von Impfstoffen abgeleitete virulente Polioviren. Solche wurden in Haiti, der Dominikanischen Republik, Ägypten, Indonesien, Kambodscha, China, auf Madagaskar und auf den Philippinen nachgewiesen. Klinisch kann zwischen einer Erkrankung mit dem Wildtyp-Virus und den von Impfstoffen abgeleiteten virulenten Polioviren nicht unterschieden werden.
Die Tuberkulose ist nach der HIV-Infektion die erregerbedingte Erkrankung mit der zweithöchsten Mortalitätsrate. 2011 starben weltweit 1,4 Millionen Menschen an der Tuberkulose, darunter waren 430.000 HIV-Infizierte. Die Neurotuberkulose stellt eine besonders schwerwiegende Manifestation dar und umfasst die meist subakut bis chronisch verlaufende Meningitis, intrakranielle Tuberkulome und die spinale Arachnoiditis. In Westeuropa ist die Tuberkulose vor allem in Großstädten aktiv, die höchste Zahl wird laut Weltgesundheitsorganisation aus London gemeldet.
Eine besorgniserregende Entwicklung in Bezug auf arzneimittelresistente Tuberkulose ist allerdings in Osteuropa zu verzeichnen. Dort handelt es sich zum Teil um multi-drug-resistente Stämme und extended-multi-drug-resistente Stämme (MDR bzw. XDR), die nur schwer und langwierig zu behandeln sind7, 8. Zu bemerken ist, dass sich diese multiresistenten Varianten in erster Linie durch zu früh abgebrochene oder unzureichende Therapien bilden.


Neue Transmissionswege und neue Erreger: Bekannte Erreger haben sich auch neue Transmissionswege, Nischen und Risikogruppen gesucht. Das West-Nil-Virus (Überträger: Moskitos) zählt zur Gruppe der Flaviviridae und hat vor allem durch rasch ausbreitende Epidemien in Nordamerika (ab 1999) und Rumänien (1996) an Bekanntheit gewonnen9. Inzwischen ist das Virus in Afrika, Australien, Asien, dem Mittleren Osten sowie Europa und Nordamerika endemisch. Das Reservoir stellen mehr als 300 Vogelarten dar. Menschen und andere Säugetiere, insbesondere Pferde, können erkranken. ZNS-Manifestationen (West-Nile Neuroinvasive Disease) treten nur in knapp 1 % der Infizierten auf (Meningitis, Enzephalitis, Myelitis)10. Neuerdings wurden auch Übertragungen durch Bluttransfusionen, Organtransplantationen, intrauterine Exposition und über die Muttermilch berichtet11.
Mit dem Nipah- und dem Hendra-Virus haben wir es auch mit neuen Erregern auf neurologischem Fachgebiet zu tun. Das Nipah-Virus wurde 1999 erstmals nach einer Enzephalitisepidemie in Malaysia und Singapur isoliert12. Das Virus ist morphologisch dem kurz zuvor in Australien entdeckten Hendra-Virus sehr ähnlich (Infektion nach Kontakt mit Pferden). Insgesamt wurden 12 Epidemien, vor allem in Südostasien, Bangladesch und Indien registriert. Als biologisches Reservoir des Nipah-Virus werden Flughunde der Gattung Pteropus verdächtigt. Menschen und Schweine erkranken an respiratorischen Infekten und rasch progredienten, aber auch relapsierenden Enzephalitiden. Inzwischen konnten auch Mensch-zu-Mensch-Übertragungen durch Tröpfcheninfektionen bestätigt werden13. Je nach Ausbruch verliefen etwa 40–75 % der bislang beschriebenen Erkrankungen tödlich. Erste Therapiestudien mit dem Virostatikum Ribavirin konnten einen Effekt auf die Mortalität zeigen.

Neuro-Behçet – klinischer Verlauf, Prognosefaktoren und neue Therapieoptionen

Der Morbus Behçet ist eine schubweise verlaufende immunologisch-vermittelte Multisystemerkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis. Weltweit wird hauptsächlich ein sporadisches Auftreten der Erkrankung beobachtet. Dagegen ist die Erkrankung in Ländern, die entlang des Verlaufes der antiken Seidenstraße gelegen sind, endemisch. Allerdings wird eine stetige Zunahme der Inzidenz auch in Nord- und Mitteleuropa beobachtet15. Als für den Verlauf der Erkrankung prognostisch ungünstig erweist sich das Auftreten von neurologischen Symptomen (0– 54 %, im Durchschnitt 18 %)14. Kopfschmerzen sind das häufigste neurologische Symptom. Die parenchymatöse Variante manifestiert sich in der Regel in Form einer subakuten Hirnstammsymptomatik bedingt durch kontrastmittelaufnehmende Läsionen. Die vaskulären ZNS-Manifestationen zeigen als Leitsymptom eine intrakranielle Hypertension als Folge einer Sinusvenenthrombose15.
S. Farahangiz, Shiraz, Iran, untersuchte MR-tomographische Prädiktoren für den prognostisch ungünstigen progredienten Verlauf16. Die Untersuchung wurde anhand des initialen MRT von PatientInnen (n = 58, davon 31 weiblich) durchgeführt, die an der dortigen Klinik zwischen 2002 und 2009 behandelt wurden. Unter den PatientInnen mit parenchymatöser Beteiligung hatten 15 (31 %) einen monophasischen, 13 (27 %) einen relapsierenden und 10 (20 %) einen progredienten Verlauf. Die Läsionen waren in der periventrikulären weißen Substanz, im Mittelhirn und der Pons lokalisiert. Bei 7 PatientInnen (14 %) fanden sich KM-aufnehmende Läsionen, bei 12 (24 %) „black holes“ und bei 5 (10 %) eine Hirnstammatrophie. Als Risikofaktor für einen progredienten Verlauf konnte der Nachweis einer Hirnstammatrophie identifiziert werden.

Eskalation mit Zyklophosphamid: F. Imounman, Souissi, Marokko, untersuchte den möglichen Erfolg einer bereits initialen Eskalation mit Zyklophosphamid bei PatientInnen mit Parenchymmitbeteiligung bei Neuro-Behçet (Zeitraum 2004–2010)17. Es gibt diesbezüglich keine systematischen Untersuchungen, die meisten Therapieempfehlungen favorisieren eine Immunsuppression erst mit Vorliegen von prognostisch ungünstigen Zeichen (abnormer Liquorbefund, ausgedehnte Parenchymbeteiligung, Myelopathie oder mehr als 2 Schübe).
Die neurologischen Manifestationen (n = 56) teilten sich auf in Meningoenzephalitis (51 %), Sinusvenenthrombosen (43 %) und Myelopathien (6 %). Die PatientInnen mit Parenchymbeteiligung (n = 40) erhielten eine kombinierte Behandlung mit Steroiden und Zyklosphosphamid, die restlichen PatientInnen eine Monotherapie mit Steroiden. Das Therapieschema bestand aus einer intravenösen Pulsgabe mit 600 mg/m2 an den Tagen 1, 2, 4, 6 und 8, gefolgt von weiteren 2-monatigen Gaben über 2 Jahre. Damit konnte bei 54 PatientInnen eine klinische Verbesserung erreicht werden.
Nachdem in der Literatur ein deutlich schlechteres Outcome beschrieben ist18, suggeriert diese retrospektive Untersuchung einen möglichen Therapieerfolg durch die bereits initial eingeleitete Eskalation mit Zyklophosphamid. In diesem Zusammenhang wäre auch eine Untersuchung von Zyklophosphamid gegenüber weiterer Immunsuppressiva wie Azathioprin, Mycophenolat-Mofetil, Chlorambucil oder Methotrexat, aber auch den monoklonalen Antikörpern (Adalimumab, Infliximab, Tocilizumab) wünschenswert. Sinusvenenthrombosen im Rahmen des Morbus Behçet werden antikoaguliert, diesbezüglich wurden von den Autoren keine Daten präsentiert.

ZNS-Beteiligung bei primärem Sjögren-Syndrom – gar nicht so selten

Das primäre Sjögren-Syndrom ist mit einer Prävalenz von 0,1–0,4 % in der Gesamtbevölkerung die häufigste Kollagenose. Zu den Leitsymptomen zählen die Sicca-Symptomatik der Augen und des Mundes. Neurologische Symptome finden sich bei bis zu 30 % der Fälle. Am häufigsten tritt eine distal symmetrische, vorwiegend sensible Polyneuropathie mit autonomen Symptomen auf (Adie-Pupillen, orthostatische Dysregulation), die bioptisch mit perivaskulären oder vaskulitischen Infiltraten einhergeht19. Häufig tritt eine Beteiligung der Hirnnerven, insbesondere des Nervus trigeminus, facialis und statoacusticus auf, die Affektion des ZNS wird allerdings kontrovers diskutiert20.
I. Moreira, Porto, Portugal, untersuchte retrospektiv ZNS-Manifestationen in einem Kollektiv von 91 PatientInnen mit primärem Sjögren-Syndrom (weiblich n = 88)21. Eine neurologische Mitbeteiligung wurde in 24 PatientInnen (26 %, alle weiblich) nachgewiesen, davon hatten 12 (13 %) eine ZNS-Manifestation. Diese umfasste sensomotorische Defizite (n = 2), Bewegungsstörungen (n = 2), chronisch progrediente Myelitis und Demenz, aseptische Meningitis und Kopfschmerzen und Demenz (jeweils n = 1). Unter diesen wurden auch bei der Hälfte der PatientInnen Kopfschmerzsyndrome festgestellt, die als Migräne (n = 9) und Spannungskopfschmerz (n = 3) klassifiziert wurden. Die neurologische Symptomatik war Erstsymptom in 8 (75 %) Fällen und das Outcome wurde bei der überwiegenden Anzahl der PatientInnen als gut eingestuft (n = 10, 83 %). Zusammenfassend wurde eine heterogene und höhere Rate im Vergleich zur in der Literatur beschriebenen ZNS-Beteiligung festgestellt.

1 Matteelli A et al., Infect Dis Clin North Am 2012; 26(3):625–35.
2 Schmutzhard E, Eur J Neurol 2012; 19(Suppl 1)MT7-1:13.
3 Gautret P et al., Euro Surveill 2012; 17(26).
4 Wilder-Smith A, Travel Med Infect Dis 2008; 6(4):182–6.
5 Sellner J, Eur J Neurol 2012; 19(Suppl 1)MT7-3:13.
6 Adams T, J Paediatr Child Health 2010; 46(11):619–22.
7 Migliori GB et al., Clin Chest Med 2009; 30(4):637–65.
8 Dalton T et al., Lancet 2012; 380(9851):1406–17.
9 Turtle T et al., QJM 2012; 105(3):219–23.
10 Rizzo C et al., Euro Surveill 2012; 17(20).
11 Colpitts TM et al., Clin Microbiol Rev 2012; 25(4):635–48.
12 Chua KB, Curr Top Microbiol Immunol 2012; 359:1–9.
13 Vigant F et al., Infect Disord Drug Targets 2011; 11(3):315–36.
14 Davatchi F et al., Clin Rheumatol 2010; 29(8):823–33.
15 Aguiar de Sousa D et al., J Neurol 2011; 258(5):719–27.
16 Farahangiz S et al., Eur J Neurol 2012; 19(Suppl 1)P1874:417.
17 Imounan F et al., Eur J Neurol 2012; 19(Suppl 1)P1878:419.
18 Ideguchi H et al., J Neurol 2010; 257(6):1012–20.
19 Pavlakis PP et al., J Neurol Neurosurg Psychiatry 2011; 82(7):798–802.
20 Delalande S et al., Medicine (Baltimore) 2004; 83(5):280–91.
21 Moreira I et al., Eur J Neurol 2012; 19(Suppl 1)P1877:419