Eine korrekte Diagnosestellung einer RBD ist von großer Bedeutung, da die RBD zu potenziellen Selbst- oder Fremdverletzungen führen kann, eine gut symptomatisch therapierbare Erkrankung darstellt und häufig ein prämotorisches Frühsymptom einer neurodegenerativen Erkrankung ist. Zur Diagnosestellung der RBD ist der polysomnographische Nachweis von REM-Schlaf ohne Atonie erforderlich. Dieser basiert derzeit noch auf einer rein qualitativen subjektiven Einstufung des individuellen Befunders.
Methodik: In die vorliegende Arbeit gingen Polysomnographiedaten von 30 RBD-PatientInnen (davon 15 idiopathisch, 15 assoziiert mit M. Parkinson) und 30 alters- und geschlechtsgematchten Kontrollen ein. Nachdem bis dato noch keine Studie vorliegt, welche Muskeln bzw. Kombinationen von Muskeln RBD-PatientInnen am besten von KontrollpatientInnen unterscheiden, wurden in der vorliegenden Arbeit neben dem M. mentalis und dem M. tibialis anterior, die routinemäßig in der Polysomnographie zur Aufzeichnung kommen, noch der M. sternocleidomastoideus bilateral und Muskeln der oberen Extremitäten (M. biceps brachii, M. flexor digitorum brevis, jeweils bilateral) untersucht.
Für alle genannten Muskeln wurden verschiedene Arten von EMG-Aktivität während des REM-Schlafes ausgewertet. Zur Vereinfachung führten die AutorInnen das neue Maß „any“ ein, welches sämtliche EMG-Aktivitäten über 0,1 Sek. unabhängig davon, ob es sich um phasische (0,1–5 Sek.), tonische (> 50 % der Epoche) oder EMG-Aktivität zwischen 5–15 Sek., die bisher nicht erfasst wurde, handelt, inkludiert. Phasische und „any“ EMG-Aktivität werden für 3-Sekunden-Mini-Epochen, tonische Aktivität für 30-Sekunden-Epochen bestimmt. Angegeben wird der Prozentsatz der als positiv klassifizierten Mini-Epochen/Epochen in Bezug auf die Gesamtzahl der Mini-Epochen/Epochen (Abb.).
Ergebnisse: Insgesamt wurden 814.726 3-Sekunden-Mini-Epochen REM-Schlafes analysiert. Ergebnisse der vorliegenden Arbeit konnten zeigen, dass sich prinzipiell alle untersuchten Muskeln in EMG-Aktivität zwischen RBD-PatientInnen und Kontrollen unterschieden (p < 0,05). Allerdings zeigte sich auch, dass der M. mentalis sowie sämtliche Muskeln der oberen Extremitäten für die RBD-Differenzierung besser geeignet waren als Muskeln der unteren Extremitäten, was wohl in erster Linie auf einen Overlap mit anderen motorischen schlafbezogenen Phänomenen zurückzuführen sein dürfte.
Von praktischer Bedeutung war ferner, dass das zur Vereinfachung eingeführte Maß „any“ den traditionellerweise bestimmten Maßen „phasisch“ und „tonisch“ nicht unterlegen war (p > 0,05). Der Cut-off-Wert für „any“ EMG-Aktivtät im M. mentalis betrug 18 % (AUC 0,990, Spezifität 1). Nachdem sich in der EMG-Ableitung des M. mentalis nicht selten Artefakte bedingt durch Schnarchen und Atmung finden und die für die RBD-typischen Bewegungsmanifestationen meist die Extremitäten umfassen, wurde weiters nach der EMG-Kombination mit der besten Sensitivität und Spezifität bei Gebrauch möglichst weniger zusätzlicher EMG-Kanäle gesucht. Anhand der vorliegenden Daten zeigte eine Kombination zwischen „any“ EMG-Aktivität im M. mentalis und den beiden M. flexor dig. superficialis der oberen Extremitäten den höchsten AUC-Wert mit 0,998 (Spezifität 1) für einen Cut-off-Wert von 32 %.
In der Polysomnographie wurde dem EMG bislang eher eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu EEG und respiratorischen Parametern zugeschrieben. Wie Bliwise und Rye im Editorial1 schreiben, handelt es sich bei der vorliegenden Arbeit um eine umfassende Untersuchung zur Analyse von Muskelaktivität während des REM-Schlafes bei RBD-PatientInnen versus KontrollpatientInnen.
Die gewonnen Cut-off-Werte dürften künftig eine verbesserte Diagnostik der RBD auf einem quantitativen Level ermöglichen. Bislang wurde REM-Schlaf ohne Atonie lediglich qualitativ vom jeweiligen Befunder beurteilt. In Anbetracht der enormen Implikationen einer Diagnose wie der RBD ist dieser Schritt von äußerster Relevanz.
Ein essenzieller nächster Schritt zur finalen Evaluierung der tatsächlichen prognostischen Relevanz dieser Cut-off-Werte besteht darin, diese in populationsbasierten Studien zu implementieren. Nur dadurch ist eine Ermittlung des positiven und negativen prädiktiven Wertes möglich. Weiters sind künftig computerassistierte Auswertungsverfahren unumgänglich, um eine Etablierung in den Routinealltag eines Schlaflabors zu ermöglich.
Normative EMG values during REM sleep for the diagnosis of REM sleep behavior disorder.
AutorInnen: Frauscher B, Iranzo A, Gaig C, Gschliesser V, Guaita M, Raffelseder V, Ehrmann L, Sola N, Salamero M, Tolosa E, Poewe W, Santamaria J, Högl B, for the SINBAR-Group (Sleep Innsbruck Barcelona).
Erschienen in: Sleep 2012; 35:835–47.