Nach heutigem Wissen ist ein Zusammenspiel von genetischer Veranlagung und Umwelteinflüssen für den Ausbruch der multiplen Sklerose und insbesondere für die Zunahme von Inzidenz und Prävalenz der Erkrankung in den letzten Jahrzehnten verantwortlich. Zu den möglichen Umweltfaktoren werden erworbene Infektionen, vor allem Virusinfektionen (z. B. Epstein-Barr-Virus, EBV), aber auch Ernährung, Stress oder die Sonnenexposition gezählt.1
Vitamin D und Sonnenmangel: In verschiedenen Studien wurden Hinweise auf einen Zusammenhang von Sonnenexposition, Vitamin-D-Spiegel und Auftreten der Erkrankung berichtet. Neueste Untersuchungen zeigten zudem, dass ein Sonnenmangel während der Schwangerschaft negative Auswirkungen auf die Gesundheit des Kindes haben kann. Wissenschaftler aus Großbritannien berichteten, dass unter den im Oktober geborenen Kindern weniger an multipler Sklerose erkrankt sind als unter Kindern, die im April zur Welt kamen2 – ein Hinweis darauf, dass ein Sonnenmangel während der Schwangerschaft negative Auswirkungen auf die Gesundheit des Kindes haben könnte.
V. Martinelli, Mailand, Italien, berichtete über eine retrospektive Untersuchung von Vitamin-D-Spiegel und dem Risiko, nach einem klinisch-isolierten Syndrom eine multiple Sklerose (MS) zu entwickeln.3 Innerhalb des Beobachtungszeitraumes von einem Jahr wurde bei 21 % der PatientInnen eine multiple Sklerose diagnostiziert, binnen 2 Jahren bei 36 % und binnen 5 Jahren bei 44 %. Eine niedrige Vitamin-D-Konzentration begünstigte den Übergang in eine multiple Sklerose. Vor allem waren die im Sommer gemessenen Vitamin-D-Spiegel mit einem höheren MS-Risiko verbunden. Es werden aktuell eine Reihe von Therapiestudien mit Vitamin D durchgeführt. Auch wenn einige Studien, darunter auch eine von S. Mehrabi, Teheran, Iran, und London, Großbritannien2, präsentierte Arbeit beim ENS-Kongress zeigen konnten, dass die Einnahme von Vitamin D in hohen Dosen gut verträglich ist, muss von einer unkontrollierten Nahrungsergänzung dringend abgeraten werden.4
Die Gangstörung zählt zu den führenden Beeinträchtigungen bei PatientInnen mit multipler Sklerose. Die häufig bereits in der Frühphase der Erkrankung vorliegende Einschränkung der Mobilität und Sturzgefahr mindert die Lebensqualität erheblich.5 Preliminäre Untersuchungen hatten bereits gezeigt, dass die Spastik an der unteren Extremität durch Behandlung mittels repetitiver transkranieller Magnetstimulation reduziert werden kann. Allerdings war bislang nicht bekannt, ob diese Therapie sich auch positiv auf die Gehfähigkeit bei PatientInnen mit multipler Sklerose auswirkt. L. Leocani, Mailand, Italien6, führte eine prospektive Studie mit 23 PatientInnen und progredientem Krankheitsverlauf durch. Die PatientInnen waren für einen Rehabilitationsaufenthalt aufgenommen, das Studienprotokoll beinhaltete Hochfrequenz-TMS-Sitzungen (10 min) täglich über 3 Wochen. Die mittels rTMS behandelten PatientInnen zeigten eine signifikant bessere Leistung in Bezug auf beide Gehtests (10-Meter-Gehtest, p < 0,05 und 6-min-Gehtest, p = 0,002). Ebenso schnitten die mit rTMS behandelten PatientInnen im modifizierten Ashworth-Test (MAT), einer Skala zur Einschätzung der Spastizität, signifikant besser ab (p = 0,037). Die rTMS stellt auf der Basis dieser Daten eine vielversprechende Therapieoption zur Behandlung der Spastik bzw. Verbesserung der Gehfähigkeit bei PatientInnen mit multipler Sklerose dar. Die Autoren fordern daher eine Phase-III-Studie zur Validierung dieser Ergebnisse.
Die Neuromyelitis optica (NMO) ist eine seltene immunvermittelte, chronisch-entzündliche Erkrankung des zentralen Nervensystems. Der klinische Verlauf ist durch rezidivierende Optikusneuritiden und Myelitiden gekennzeichnet, die sich häufig durch eine schlechte bzw. fehlende Rückbildungstendenz auszeichnen. Die Entdeckung spezifischer Autoantikörper (Aquaporin-4-Antikörper, AQP4-Ak) im Serum von NMO-PatientInnen stützt die Annahme einer Beteiligung des humoralen Immunsystems bei der Erkrankung und erlaubt eine Abgrenzung der NMO von der MS als eigenständige Krankheitsentität. Der Nachweis von AQP4-Antikörpern erleichtert insbesondere bei den inkompletten Manifestationen, nämlich „longitudinal extensive transverse myelitis“ (LETM) und rezidivierende/bilaterale Optikusneuritis, die Entscheidung für eine immunsuppressive Behandlung.7
S. Luppe, Cardiff, Großbritannien, stellte demografische Daten einer NMO-Kohorte aus Süd-Wales und Südengland vor.8 Von den 36 PatientInnen waren 86 % positiv auf AQP4-Antikörper, 92 % waren Kaukasier. Es bestätigte sich die für die relapsierende Verlaufsform (80–90 %) übliche Geschlechterverteilung (w : m = 9 : 1). Das mittlere Alter bei Erstmanifestation lag bei 38,1 Jahren, also um knapp 10–15 Jahre später als bei der multiplen Sklerose. Ein Großteil der PatientInnen wurde immunsuppressiv behandelt (79 %). Der Zeitraum von Erstmanifestation bis EDSS 4 betrug trotz Eskalation mit unterschiedlichen Immunsuppressiva im Median 7 Jahre.
S. M. Kim, Seoul, Korea, untersuchte schmerzhafte tonische Spasmen bei 40 PatientInnen mit NMO und inauguralen Verlaufsformen.9 Diese wiesen eine signifikant höhere Rate an tonischen Spasmen auf (25 %), die Frequenz bei der Kontrollgruppe mit multipler Sklerose oder idiopathischer Myelitis betrug nur 2,9 bzw. 2,4 %. Im Umkehrschluss hatte das Auftreten von schmerzhaften tonischen Spasmen eine Spezifität von 98,7 % für NMO-Spektrum-Erkrankungen. Die NMO-assoziierten tonischen Spasmen wiesen ein breites Spektrum auf und reichten von Einbeziehung einer Hand bis zu allen 4 Extremitäten. Ein Großteil der Spasmen (80 %) trat im Intervall nach einer Myelitis auf, im Schnitt nach 48 Tagen. Die meisten PatientInnen sprachen gut auf eine Behandlung mit Phenytoin, Carbamazepin oder Gabapentin an, bei einigen musste allerdings eine Kombinationstherapie aus diesen Medikamenten eingesetzt werden. Bei fast allen PatientInnen konnte die medikamentöse Therapie nach mehrjähriger Behandlung problemlos abgesetzt werden.
Bekannt sind die üblichen Verletzungen von Wellenreitern wie Verlust von Extremitäten nach Haibissen oder globaler Hypoxie nach Ertrinken. M. Matarazzo, Madrid, Spanien, präsentierte einen Fallbericht eines 25-jährigen Patienten, der sich nach seiner ersten Lektion zum Wellenreiten mit einer Paraparese und einer Blasenstörung vorstellte.10 Zuvor hatte er stechende Schmerzen ohne Ausstrahlung im Bereich der unteren Brustwirbelsäule und ein Taubheitsgefühl in beiden Beinen entwickelt. In der spinalen MRT zeigte sich eine zentromedulläre T2-Hyperintensität, die von Th9 bis zum Konus reichte und kein Kontrastmittel aufnahm. Die Liquoruntersuchung konnte eine entzündliche Genese nicht bestätigen, trotzdem erhielt er 2-mal 4 mg Dexamethason täglich.
Es wurde eine Surfer-Myelopathie diagnostiziert, eine seltene Sportverletzung, die vor allem Surfanfänger erleiden. Hierbei handelt es sich um eine spinale Ischämie bedingt durch eine längerdauernde Hyperextension von Hals- und Brustwirbelsäule bedingt durch Paddeln auf dem Surfbrett in Bauchlage. Die Ischämien reichen üblicherweise vom unteren Brustmark bis zum Konus. Pathophysiologisch ist die Erkrankung ungeklärt, es werden vor allem Vasospasmen der Adamkiewicz-Arterie, Abriss von perforierenden Gefäßen und Embolien diskutiert. Die in der Literatur beschriebenen Verläufe umfassen eine komplette Erholung bis zu einer Paraplegie. Der aktuell beschriebene Patient wies nach 7 Tagen keine funktionellen Defizite mehr auf.