ESC 2012: 21st European Stroke Conference, Lissabon

Den renommierten Johann-Jakob-Wepfer-Award für herausragende Leistungen auf dem Gebiet der klinischen Schlaganfallforschung erhielt dieses Jahr der amerikanische Neurologe und Professor aus Harvard, Boston, Louis R. Caplan. In seinem Vortrag „The Intracranial Vertebral Artery: A Neglected Species“ erörterte Professor Caplan die Bedeutung und Besonderheiten von Gefäßprozessen im vertebrobasilären Hirnkreislauf und animierte zu weiteren Forschungsarbeiten zu diesem vielfach unzureichend verstandenen Thema.
Zahlreiche auf diesem Kongress präsentierte Arbeiten sind oder werden in den hochrangigsten medizinischen Journalen veröffentlicht. Nachfolgend sollen einige Highlights vorgestellt werden. Über wichtige Studien zum Thema Schlaganfall und Bildgebung dieser Konferenz, wie etwa der DEFUSE-2- oder der SIFAP-Studie, wurde bereits in der letzten Ausgabe von neurologisch berichtet.

IST-3-Trial

Im 3. randomisierten, multizentrischen International Stroke Trial (IST-3) wurde die Hypothese getestet, dass eine systemische Thrombolysetherapie mit rt-PA verglichen mit Placebo innerhalb von 6 Stunden nach ischämischem Schlaganfall unabhängig vom Alter der PatientInnen die Wahrscheinlichkeit erhöht, innerhalb von 6 Monaten am Leben und funktionell unabhängig zu sein (gemessen anhand der Oxford-Handicap-Skala).
In diese Studie wurden nur solche PatientInnen eingeschlossen, bei denen sich die behandelnden Ärzte/Ärztinnen nicht sicher über die optimale Behandlung waren (sogenanntes „uncertainty principle“). Demzufolge wurden PatientInnen mit klaren Indikationen ebenso wie jene mit Kontraindikationen für eine Lysetherapie ausgeschlossen. 3.035 PatientInnen aus 12 Ländern konnten in 156 Kliniken in die Interventionsgruppe (n = 1.515) und Kontrollgruppe (n = 1.520) randomisiert werden. Davon waren über 50 % älter als 80 Jahre, 72 % wurden 3–6 Stunden (33 % 4,5–6 Stunden) nach Symptombeginn behandelt.
Die Mortalität innerhalb von 7 Tagen war in der Lysegruppe (11 versus 7 %) ebenso wie die Rate an intrazerebralen Blutungen (7 ver­sus 1 %) signifikant erhöht. 6 Monate nach Behandlung waren 37 % der PatientInnen in der rt-PA-Gruppe und 35 % in der Placebogruppe am Leben bzw. funktionell unabhängig, was sich als statistisch nicht signifikant zeigte. Eine ordinale Shift-Analyse auf der Oxford-Handicap-Skala zeigte jedoch eine signifikante Überlegenheit im Sinne einer funktionellen Verbesserung in der Behandlungsgruppe.
Weiters deutet die IST-3-Studie darauf hin, dass eine Thrombolysetherapie bei (ausgewählten) PatientInnen > 80 Jahre sicher zu sein scheint, was auch eine mit den IST-3-Daten aktualisierte und ebenfalls im Lancet erschienene Metaanalyse nahelegt.

ARTIS-Studie

In der ARTIS-Studie (Antiplatelet therapy in combination with Rt-PA Thrombolysis in Ischemic Stroke) wurde untersucht, ob die Verabreichung von 300 Milligramm Azetylsalizylsäure intravenös zusätzlich zur systemischen Thrombolysetherapie die Reokklusionsrate und das Outcome im Vergleich zur alleinigen Lysetherapie verbessern kann.
Überlegungen hinter dieser Hypothese waren Beobachtungen, dass in bis zu 30 % der Fälle Reokklusionen von zuvor rekanalisierten zerebralen Gefäßen auftreten und dieser Prozess mit einer klinischen Verschlechterung und einem schlechten Outcome assoziiert ist. Solche erneuten Gefäßverschlüsse sind mit Plättchenaggregation in Zusammenhang gebracht worden. Außerdem konnte gezeigt werden, dass PatientInnen mit Vortherapie an Thrombozytenaggregationshemmern möglicherweise besser von einer systemischen Lysetherapie profitieren könnten. Beim akuten Herzinfarkt verbessert die Kombination aus Plättchenhemmern mit Thrombolyse signifikant die Mortalität.
Die Studie wurde, koordiniert von Amsterdam, in 37 niederländischen Zentren durchgeführt. PatientInnen, die in den letzten 5 Ta­gen vor dem studienqualifizierenden Schlaganfall Plättchenhemmer eingenommen hatten, wurden ausgeschlossen. In knapp 3 Jahren konnten (von 2008 bis 2011) 642 PatientInnen (322 in der Interventionsgruppe versus 320 unter Standard-Lysetherapie) eingeschlossen werden. Die Studie musste jedoch aufgrund einer signifikant erhöhten Rate an symptomatischen intrakraniellen Blutungen (4,8 versus 1,6 %) und dem fehlenden Nachweis eines klinischen Nutzens (gutes funktionelles Outcome mRS 0–2 54 versus 57,2 % nach 3 Monaten) vorzeitig beendet werden.

SPS-3-Studie

Oscar Benavente berichtete die Ergebnisse der SPS-3-Studie (Secondary Prevention of Small Subcortical Strokes Trial), die den Einfluss einer dualen Plättchenhemmertherapie mit ASS 325 mg und Clopidogrel 75 mg im Vergleich zur ASS-Monotherapie bei PatientInnen mit einem kleinen subkortikalen ischämischen Infarkt (lakunärer Infarkt) innerhalb der letzten 6 Monate untersuchte. Diese Infarkte mussten in der zerebralen Magnet­resonanztomographie (MRT) in den diffusionsgewichteten Sequenzen gesichert sein und sich kleiner als 2 cm im Durchmesser darstellen. Kortikale Infarkte im MRT sowie andere mögliche Schlaganfallursachen wie hochgradige Karotisstenosen oder kardiale Emboliequellen waren Ausschlusskriterien.
Diese Studie, die in Nord- und Lateinamerika sowie in Spanien durchgeführt wurde, musste ebenso nach Einschluss von 3.020 PatientInnen vorzeitig beendet werden. Grund dafür war die signifikant erhöhte Rate an schweren Blutungsereignissen (2,1 versus 1,1 %) und Mortalität (2,1 versus 1,4 %) in der Behandlungsgruppe, ohne dem Nachweis einer Reduktion von ischämischen Schlaganfällen. Ein weiteres Ziel dieser Studie war es, eine normale Blutdruckeinstellung einer intensivierten Behandlung mit Zielwerten < 130 mmHg gegenüberzustellen. Diese wichtigen Ergebnisse zur Sekundärprophylaxe subkortikaler ischämischer Infarkte werden für den Herbst dieses Jahres erwartet.

International Carotid Stenting Study (ICSS)

Neue Langzeitdaten aus der International Carotid Stenting Study (ICSS) wurden von Martin Brown, London, vorgestellt. In dieser bekannten Studie wurde randomisiert die Stentbehandlung mit der Thrombendarteriektomie (TEA) symptomatischer extrakranieller Karotisstenosen verglichen.
Nach einer Beobachtungsperiode von > 4 Jahren zeigte sich im primären Studienendpunkt tödlicher oder behindernder Schlaganfall kein signifikanter Unterschied zwischen den Behandlungsgruppen (53/853 in der Stentgruppe versus 49/857 in der Operationsgruppe). Für die sekundären Endpunkte jeglicher Schlaganfall (1,7-fach), ipsilateraler Schlaganfall (1,6-fach) und Schlaganfall nach 30 Tagen (1,6-fach) konnte ein signifikanter Nachteil der Stentbehandlung gefunden werden. Interessanterweise fand sich auch eine erhöhte Rate an kontralateralen Schlaganfällen (1,9-fach erhöht) in der Stentgruppe, welche den entscheidenden statistischen Einfluss auf das erhöhte stentassoziierte Schlaganfallrisiko nach 30 Tagen ausmachte.
Diese Arbeit unterstützt erneut den Einsatz der TEA als Standardtherapie symptomatischer extrakranieller Karotisstenosen, zeigt jedoch auch, dass das Schlaganfallrisiko in beiden Gruppen niedrig war und die Stentbehandlung eine Alternative darstellen kann, wenn aus bestimmten medizinischen Gegebenheiten oder auf Wunsch der PatientInnen eine Operation nicht durchgeführt werden kann.

MASH-2-Studie

Die MASH-2-Studie (Magnesium in Aneurysmal Subarachnoid Hemorrhage) untersuchte die Wirkung von Magnesium intravenös zusätzlich zur Standardtherapie mit Nimodipin bei PatientInnen mit stattgehabter aneurysmatischer Subarachnoidalblutung (SAB). In vorhergehenden Studien und einer Cochrane-Metanalyse konnte eine positive Wirkung von Magnesium sowohl für das Auftreten einer sekundären zerebralen Ischämie als auch auf das funktionelle Outcome nach aneurysmatischer SAB gezeigt werden.
In die MASH-2-Studie wurden randomisiert 1.204 PatientInnen (70 % Frauen) zwischen 2004 und 2011 in 8 Zentren in Europa (Niederlande, Schottland) und Südamerika (Chile) eingeschlossen, wobei in der Interventionsgruppe 606 StudienteilnehmerInnen 64 mmol Magnesiumsulfat pro Tag erhielten. Die Magnesiumgabe hatte dabei keinen Effekt auf die Prognose der PatientInnen nach 3 Monaten (modifizierte Rankin-Skala 4–6: 26,2 versus 25,3 %), ebenso zeigten Subgruppenanalysen (Geschlecht, Alter, klinische Schwere bei Aufnahme, Aneurysmabehandlung) keine signifikanten Unterschiede. Nach einer mit den MASH-2-Daten aktualisierten Metaanalyse lässt sich nun zusammenfassend kein positiver Nutzen einer Magnesiumgabe bei aneurysmatischen SAB nachweisen. Limitierend bleibt anzumerken, dass in dieser Studie das Auftreten von Vasospasmen oder sekundärer zerebraler Ischämien als wichtige sekundäre Parameter nicht erhoben wurde.

Neben diesen großen klinischen Studien waren auch viele sehr interessante kleinere Studien, Beobachtungsstudien und spannende Fallberichte zu hören. Ein umfassender elektronischer Abstractband zum Nachlesen kann unter der URL: http://www.esc-archive.eu/lisbon2012/ebook12/index.html#/1/ aufgerufen werden. Abschließend soll auf die nächste Europäische Schlaganfallkonferenz, die nächstes Jahr im Mai zum ersten Mal in London abgehalten wird, hingewiesen werden.