Die erste Sitzung behandelte das Zusammenspiel von Immunsystem und Ischämie beim Schlaganfall. Das Immunsystem reagiert beim Schlaganfall mit Aktivierung von immunkompetenten Zellen (T-Lymphozyten, Natural Killer Cells) und Zytokinen, diese sind teilweise auch mit dem Ausmaß neuronaler Schädigung assoziiert. Im Rahmen der Stressreaktion wird durch Katecholamine ein vermehrter Ausstoß von Interleukin-6 hervorgerufen, dieses wiederum bewirkt eine verringerte Freisetzung von Lymphozyten. Diese Immundepression gilt als eine von mehreren Ursachen für die erhöhte Infektanfälligkeit im Rahmen eines Schlaganfalles. Bisherige Studien mit Antibiotika waren jedoch negativ, daher gibt es derzeit noch keine evidenzbasierte Grundlage für eine antibiotische Infektprophylaxe bei SchlaganfallpatientInnen.
Ein Blick in die Zukunft der Schlaganfallbehandlung gewährten die Sessions Neuroprotection & Hypothermia und Stem Cell Therapy. Zur Hypothermiebehandlung bei ischämischem Schlaganfall ist eine große multizentrische europäische Studie in Planung (EURHyp-1), außerdem gibt es Hinweise, dass diese Behandlung möglicherweise auch das Wachstum von intrazerebralen Hämatomen einbremsen kann. Die hoch gesteckten Erwartungen an potenziell neuroprotektive Substanzen wurden bekanntlich enttäuscht, auf diesem Gebiet muss die Grundlagenwissenschaft gleichsam neu beginnen. Hoffnungsvoller sind die ForscherInnen auf dem Gebiet der Stammzelltherapie, eine Phase-I-Studie wird dazu gerade in Schottland durchgeführt (PISCES).
In der Session Biomarker wurden mehrere viel versprechende Marker zur Identifizierung ischämischer Schlaganfälle präsentiert, wobei das beste Verhältnis Sensitivität zu Spezifität (receiver operator characteristic) eine Kombination von mehreren Markern (BNP, MMP9, D-Dimer, S100) hat. Von den geforderten 100% Sensitivität für einen Einsatz in der Prähospitalphase ist die Forschung aber noch ein Stück weit entfernt. Weitere Marker in Untersuchung testen das Risiko einer Hirnblutung. Beim Themenbereich Bildgebung wurde eine Neudefinition des Mismatch-Konzeptes vorgeschlagen (hypoperfundierter ischämischer Kern wird nicht inkludiert) sowie charakteristische Marker der Kleingefäßerkrankung, etwa der Status cribriformis oder die so genannten “microbleeds”. Genetische Risikomarker wurden bezüglich “large-artery strokes” sowie in der nächstens Sitzung über Antikoagulation und Reperfusion auch über kardioembolische Schlaganfälle vorgestellt. Die gängigen Marker für Thrombophilie sind für den ischämischen Schlaganfall dabei von geringem Belang, für die Zukunft werden wahrscheinlich pharmakogenetische Einflussfaktoren auf die Wirksamkeit gerinnungshemmender und thrombozytenaggregationshemmender Therapie interessanter werden (CYP-Polymorphismen).
Reichlich Diskussion gab es erwarteterweise zu den Vorträgen über die so genannten neuen Antikoagulantien und endovaskuläre Schlaganfallbehandlung. Trotz der Tatsache, dass zur Beurteilung der Evidenz der endovaskulären Therapie noch weitere kontrollierte Studien nötig sind, war doch ein gewisser Konsens zu erkennen, dass beide First-Line-Therapieverfahren der nächsten Zukunft sein werden.
Präventionsmedizinische Ansätze: Die Sitzung über bevölkerungsbasierte Interventionen stellte die eminente Wichtigkeit und die Chancen, die die Präventionsmedizin bietet, in den Vordergrund. Bei voller Ausschöpfung eines gesunden Lebensstils kann das individuelle Schlaganfallrisiko um 80% gesenkt werden. Viele Behandlungsempfehlungen zielen auf das individuelle Risiko ab, vom präventionsmedizinischen Standpunkt ist das populationsbezogene Risiko wichtiger, beispielsweise die Reduktion des durchschnittlichen Kochsalzkonsums. Weitere Referate behandelten das immer wichtiger werdende Thema der Prävention des vaskulären kognitiven Abbaus, u.a. ebenfalls durch Lebensstilmodifikation, was derzeit auch in einer Reihe von Studien getestet wird.
In der Session über functional recovery after stroke wurde u.a. über die wichtige Rolle von Dopamin und dopaminergen Circuits beim Wiedererlernen von Funktionen im Rahmen der Rehabilitation berichtet sowie über Pilotstudien zur Gleichstromstimulation bei Aphasie und motorischen Störungen. Interessant war zu hören, dass die Aktivierung ipsilateraler motor pathways auch bei Menschen – insbesondere bei älteren PatientInnen – eine größere funktionelle Bedeutung hat als bisher angenommen.
Insgesamt war das erste ESO Stroke Science Meeting ein voller Erfolg. Eine Wiederholung der Tagung in zwei Jahren ist so gut wie sicher, wobei von Seiten der ESO an eine Erweiterung des TeilnehmerInnenkreises gedacht wird.
Zusammengestellt für den Beirat “Schlaganfall”