Geriatrische Probleme in der Neurochirurgie – Indikation und Therapiemodalitäten


Die Menschen in Österreich werden älter – eine Entwicklung, die sich auch in anderen wohlhabenden Ländern ganz klar abzeichnet. Dieses Faktum stellt nicht nur die Politiker bezüglich der Finanzierbarkeit des Pensionssystems vor schwer zu lösende Aufgaben, sondern hat auch in allen medizinischen Bereichen seine Auswirkungen. Im klinischen Alltag werden Ärztinnen und Ärzte immer häufiger mit der Frage konfrontiert, ob eine bestimmte Therapie bei PatientInnen höheren Alters überhaupt noch gerechtfertigt ist. Die individuelle Problematik dieser PatientInnen wird meist eher emotional diskutiert – sowohl mit dem Patienten/der Patientin selbst als auch mit seinen/ihren Angehörigen als auch auf fachlicher Ebene, da in den meisten Bereichen evidenzbasierte Literatur fehlt, die klare Hilfestellungen zur Entscheidung für oder gegen eine Therapie gibt. Vor dem Hintergrund dieses Dilemmas wurde das Thema zur diesjährigen Jahrestagung der ÖGNC gewählt, um auszuloten, inwiefern es Lösungen und Hilfestellungen gibt.


Alter in der therapeutischen Entscheidungsfindung: Alter ist kein Knock-out-Kriterium – dies gilt zumindest für die Jobsuche. Alter ist kein Makel – wenngleich dies in einer Zeit des Jugend- und Fitnesskultes doch so scheinen mag bzw. so empfunden werden könnte – vor allem von Menschen im höheren Lebensalter. Vom Älterwerden ist jeder betroffen und das Alter per se keine Krankheit. Die mit dem Alter einhergehenden Erkrankungen werden aber oft mit diesem gleichgesetzt, wodurch das Alter oft zum ungerechtfertigten Entscheidungsfaktor zu werden droht.
Dementsprechend verwundert es nicht, dass es (noch) keine erarbeiteten klaren Richtlinien gibt, zumindest für das Fach Neurochirurgie. Alter muss in der therapeutischen Entscheidungsfindung wesentlich differenzierter gesehen werden als das bloße numerische Faktum, das über Wohl oder Nichtwohl eines erkrankten Menschen den Ausschlag gibt. Auch die neurochirurgische Machbarkeit muss im Kontext der Vielfältigkeit der Altersbetrachtung einer individuellen kritischen Beurteilung unterworfen werden; deswegen schien es in der Vorbereitung der thematischen Aufarbeitung dieser Jahrestagung notwendig, neben den rein fachspezifischen Erfahrungsberichten bezüglich bestimmter neurochirurgischer Erkrankungen beim alten Menschen auch die Meinung von SpezialistInnen anderer medizinischer Fachgebiete zu hören.

Interdisziplinäre Sicht: So referierte Univ.-Prof. Dr. Gottfried Fuchs, Stv. Leiter der Klinischen Abteilung für Neuro- und Gesichtschirurgische Anästhesiologie und Intensivmedizin, Graz, über die anästhesiologische Sicht. Univ.-Prof. Dr. Franz Fazekas, Vorstand der Grazer Universitätsklinik für Neurologie, berichtete über Prädiktoren für die funktionelle Wiederherstellung nach Hirnschäden im Alter und eröffnete damit eine Vielzahl an denkbaren Forschungsansätzen, deren Endergebnisse vielleicht tatsächlich die Mächtigkeit haben könnten, als objektive Kriterien herangezogen zu werden, um gewissermaßen einen funktionellen Risiko-Score als Entscheidungshilfe in kritischen Situationen bereitzustellen.
Da gesellschaftliches Verhalten dem alten Menschen gegenüber auch von theologischen und philosophischen Prinzipien und Überlegungen geprägt ist, sprachen Univ.-Prof. Dr. Peter Strasser, Leiter des Institutes für Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik, Universität Graz, und Univ.-Prof. DDr. Walter Schaupp, Vorstand des Institutes für Moraltheologie der Katholisch-Theologischen Fakultät der Grazer Universität, aus ihrer Sicht über die Stellung und Bedeutung des Alters beim kranken Menschen.
Die rechtliche Seite beleuchtete auf sehr kurzweilige und informative Art Dr. Willibald Pateter, Leiter des Bereichs Recht und Beschwerden, LKH-Universitätsklinikum Graz.
Von Mag.a Kristina Edlinger-Ploder, steirische Landesrätin für Wissenschaft und Forschung, Gesundheit und Pflegemanagement, kam für uns Ärztinnen und Ärzte das klare und sehr erfreuliche Statement, dass, zumindest zurzeit, die Politik aus finanziellen Überlegungen nicht auf ärztliches Handeln Einfluss nehmen wird – das heißt, gesundheitspolitische „Lösungen“, wie wir sie aus anderen Ländern kennen, wird es, zumindest vorerst, nicht geben, wenngleich dadurch die eine oder andere Entscheidungsfindung, vielleicht oberflächlich betrachtet, nicht erleichtert wird.
Zum Abschluss stellte Univ.-Prof. Dr. Hans Tritthart, Vorsitzender des Ethikkomitees am LKH-Universitätsklinikum Graz, das Konzept und die Vorgangsweise des in Graz tätigen Ethikkomitees vor. Die immer höher werdende Einsatzfrequenz dieses Komitees zeigt, nicht nur in Hinblick auf den alten Menschen, wie wichtig eine solche Einrichtung ist und wie wertvoll deren Empfehlungen für die Behandelnden und Pflegenden bei komplexen Krankheitsbildern sind.
Als Kongresspräsident freue ich mich über die generell positive Aufnahme des Themenkonzeptes und die hohe Qualität aller wissenschaftlichen Vorträge. Die eingeladenen Rahmenvorträge wie auch die wissenschaftlichen Vorträge konnten zwar keine allgemeingültigen Verhaltenskonzepte und Lösungen anbieten, eröffneten jedoch den Blick auf einen weiteren Horizont der Betrachtungsweise, wodurch den TeilnehmerInnen dieser Tagung vielleicht in Zukunft in ihrer verantwortungsvollen Tätigkeit eine Hilfe zuteilwird. In diesem Sinne möchte ich an dieser Stelle allen Beteiligten für ihr Engagement herzlich danken!