Hintergrund: Die Narkolepsie mit Kataplexie ist eine chronisch neurologische Erkrankung mit einer in der Literatur angegebenen Inzidenz von 0,80/100.000 in der Erwachsenenbevölkerung und 0,30/100.000 bei Kindern mit einem Alter < 17 Jahre1. Die narkoleptische Tetrade umfasst exzessive Tagesschläfrigkeit, Kataplexie, Schlafparalyse und hypnagoge Halluzinationen2. Zur Objektivierung der Diagnose einer Narkolepsie mit Kataplexie ist entweder die Durchführung einer Polysomnographie inklusive eines multiplen Schlaflatenztests bzw. die Bestimmung von Hypocretin/Orexin im Liquor erforderlich. Im multiplen Schlaflatenztest ist eine mittlere Einschlaflatenz < 8 Minuten plus das Vorhandensein von mindestens 2 Sleep-Onset-REM-Episoden gefordert. Im Liquor muss der Hypocretin-/Orexinwert < 110 pg/ml betragen2.
Mittlerweile ist gut belegt, dass es sich bei der Narkolepsie um eine autoimmunologische Erkrankung handelt. In 2 rezenten, großen, multizentrischen, genetischen Assoziationsstudien gelang der Nachweis einer Assoziation mit einer speziellen Variante des T-Zell-Rezeptor-alpha-Lokus und des purinergen Rezeptorsubtypen P2RY11, der für das Überleben immunkompetenter Zellen von Bedeutung ist3, 4. Zur Behandlung der Narkolepsie stehen je nach Leitsymptom verschiedene Substanzen zur Verfügung, wobei Klasse-I-Evidenz zu Modafinil und Sodiumoxybat vorliegt. In der Praxis kommen zur Behandlung der erhöhten Tagesschläfrigkeit Modafinil und Methylphenidat zum Einsatz, wohingegen in erster Linie trizyklische Antidepressiva allen voran Clomipramin zur Therapie der Kataplexie und der anderen REM-assoziierten Symptome zur Verfügung stehen. Sodiumoxybat ist sowohl zur Therapie von erhöhter Tagesschläfrigkeit, der Kataplexie und der Nachtschlafstörung geeignet.
Im Frühjahr 2009 wurde eine erste Häufung von PatientInnen mit H1N1-Influenza in Mexiko berichtet, im Juni 2009 wurde von der WHO die Pandemie erklärt. Im Gegensatz zur klassischen Influenza waren bei der H1N1-Influenza-Pandemie 2009 auch viele Kinder, Jugendliche und immunkompetente Personen betroffen. Als Reaktion wurden mehrere Impfstoffe gegen A(H1N1)pdm09 entwickelt5. In Europa gelangte Pandemrix® am häufigsten zum Einsatz, welches als Adjuvans AS03 zur verstärkten Immunresponse enthielt. In Österreich wurde Celvapan®, welches kein Adjuvans beinhaltet, eingesetzt. Die Vakzinationsrate betrug in den skandinavischen Ländern bis 59 %, wobei auch bei Kindern und Jugendlichen im Rahmen von Schulimpfungen eine hohe Durchimpfungsrate erzielt wurde, während sie in Österreich nur bei 3 % lag5.
Erste Fälle einer apoplektiform beginnenden erhöhten Tagesschläfrigkeit bei Kindern nach erfolgter A(H1N1)pdm09-Influenzaimpfung wurden im Herbst 2009, unmittelbar nach Beginn der europaweiten Impfkampagne gegen die pandemische H1N1-Influenza, gemeldet. Auffällig im Vergleich zum bisher bekannten Phänotyp der Narkolepsie war das rasche Auftreten mit dem Vollbild einer Narkolepsie mit Kataplexie. Es handelte sich dabei um Berichte der schwedischen Medizinprodukteagentur sowie 14 weitere Fälle aus Finnland mit möglichem Link zur Impfung mit Pandemrix®.
Im Jahr 2010 publizierten Dauvilliers et al. eine Fallserie von 16 Kindern und Erwachsenen mit Narkolepsie und suspizierten eine mögliche temporale Assoziation zwischen einer H1N1-Virus-Infektion bzw. der Impfung gegen H1N1 in erster Linie in Zusammenhang mit Pandemrix®, einer Formulation mit dem Adjuvans AS036.
Bis Ende August 2012 wurden > 600 Fälle von Narkolepsie – darunter mehr als 100 Fälle von Betroffenen im Erwachsenenalter – an die EudraVigilanz-Datenbank nach A(H1N1)pdm09-Influenzaimpfung gemeldet, aus Österreich sind keine Fälle bekannt.
Mehrere systematische Kohortenstudien aus Finnland und Schweden wurden zwischenzeitlich publiziert7, 8. Diese Studien zeigten einen Zusammenhang zwischen einer Zunahme der Narkolepsie im Kindesalter und einer stattgehabten H1N1-Impfung mit Pandemrix® auf. Partinen et al. fanden eine 17-fache Zunahme von Narkolepsie bei Kindern < 17 Jahre im Jahr 2010, verglichen zu den Vorjahren 2002–2009. Bardage et al. zeigten bei Personen unter 20 Jahren in den ersten 45 Tagen nach der H1N1-Impfung ein um 3,5-fach erhöhtes Risiko, an einer Narkolepsie zu erkranken, auf. Einschränkend ist auf die nur geringe Fallzahl zu verweisen.
Eine Assoziation mit der A(H1N1)pdm09-Influenzaimpfung mit Pandemrix® oder anderen Impfstoffen in anderen europäischen Ländern konnte nicht nachgewiesen werden, wie Ergebnisse des rezent publizierten VAESCO-Berichtes5 zeigten. Bei der VAESCO-Studie handelt es sich um eine Fall-Kontroll-Studie, die in 8 europäischen Ländern (Finnland, Schweden, Dänemark, Norwegen, Frankreich, Italien, Niederlande, UK) durchgeführt wurde und sich mit der Inzidenz von Narkolepsie im Zeitraum bis 2010 und im Jahre 2010 sowie mit der Assoziation zwischen der Manifestation von Narkolepsie mit der H1N1-Pandemie bzw. der H1N1-Vakzination beschäftigte. Ebenso negative Ergebnisse liefert eine rezente südkoreanische Studie9.
Ursächlich postulieren verschiedene AutorInnen einen Zusammenhang mit der Immunresponse und einer eventuellen molekularen Mimikry gegen die im dorsolateralen Hypothalamus lokalisierten Hypocretin-/Orexin-Zellen. Da insbesondere die Impfung mit dem Adjuvans AS03 mit dem Auftreten einer Post-Vakzinationsnarkolepsie bei Kindern und Jugendlichen assoziiert war, wird von einigen AutorInnen die Stärke der Immunantwort selbst und weniger die Spezifität gegen H1N1 diskutiert. Die Frage, warum die finnischen und schwedischen Ergebnisse nicht in anderen europäischen Ländern mit ähnlicher Durchimpfungsrate und Gebrauch von Pandemrix® repliziert werden konnten, ist unklar. Fakt ist allerdings, dass gerade in Finnland und Schweden auch viele Kinder und Jugendliche geimpft wurden.
Neben der Assoziation zwischen Narkolepsie im Kindesalters und der Influenzaimpfung gegen A(H1N1)pdm09 konnte eine rezente asiatische Studie aus China eine 3-fache Zunahme an Narkolepsie im Jahr 2010 nachweisen, welche sie dem Influenza-Virus selbst zuwiesen, da insgesamt nur 5,6 % der betroffenen Kinder eine entsprechende Impfung erhielten10.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass eine seltene Assoziation mit Narkolepsie bei Kindern und Jugendlichen und dem H1N1-Virus selbst sowohl laut Daten einer chinesischen Studie als auch mit der A(H1N1)pdm09-Influenzaimpfung mittels Pandemrix® in Finnland und Schweden zu bejahen ist. Warum diese Assoziation mit Pandemrix® nur in diesen beiden skandinavischen Ländern nachzuweisen ist, bleibt unklar. Fakt ist allerdings, dass gerade in diesen Ländern eine hohe Durchimpfungsrate auch bei Kindern zu verzeichnen war.
Da aufgrund der Daten dem Adjuvans, das im Impfstoff Pandemrix® enthalten ist, eine entscheidende Bedeutung zuzukommen scheint, erscheint ein Zusammenhang mit der verstärkten Immunresponse tragender als die spezifische gegen H1N1 gerichtete Response. Ob es sich bei der H1N1-Post-Vakzinationsnarkolepsie lediglich um eine vorzeitige Manifestation einer sich sonst ohnehin später entwickelnden Narkolepsie ohne Auswirkung auf die Lebenszeitprävalenz handelt, bleibt abzuwarten.