Schlafstörungen sind häufig, vielfältig und folgenschwer. Abhängig von Erhebungsinstrumenten und Definition sind zwischen 20 % und 50 % der Bevölkerung schlafgestört1–3.
Wenn wir von Schlafstörungen sprechen, unterscheiden wir nach der ICD-10 zwischen organischen und nichtorganischen Schlafstörungen. Nichtorganische Schlafstörungen, d. h. Schlafstörungen, die in Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen oder als Folge von Belastungen und psychischen Faktoren zu sehen sind, dominieren bei etwa zwei Drittel der Schlafgestörten4, 5.
Vor allem Erkrankungen aus dem Bereich der neurotischen, Belastungs- und somatoformen Störungen, affektive Störungen und Störungen durch Alkohol sind häufig Ursachen nichtorganischer Schlafstörungen, wie wir auch in den die Schlafstörungen ergänzenden psychiatrischen Zusatzdiagnosen unserer AmbulanzpatientInnen zeigen konnten (Abb. 1).
Die Bedeutung von Schlafstörungen in der Psychiatrie ist komplex. Einerseits sind Schlafstörungen Symptome von psychischen Störungen, die – abhängig von der zugrunde liegenden Diagnose – charakteristische Schlafstörungsmuster aufweisen, von denen dann auch die gezielte medikamentöse Behandlung abhängt.
Andererseits erhöhen sowohl nichtorganische als auch organische Schlafstörungen das Risiko, psychische Symptome und Erkrankungen zu entwickeln oder eine vorbestehende psychische Erkrankung aufrechtzuerhalten und zu aggravieren. Schlafstörungen können auch medikamentös ausgelöst oder verstärkt werden, wie von psychopharmakologischer Seite her im Fall von Antidepressiva und Neuroleptika, die nächtliche Bewegungsstörungen auslösen oder verschlechtern können, oder von Benzodiazepinen und muskelrelaxierenden Substanzen, die schlafbezogene Atmungsstörungen aggravieren können. Schließlich haben auch organische Schlafstörungen wie schlafbezogene Atmungsstörungen oder nächtliche Bewegungsstörungen oft erhöhte Angst- und Depressions-Scores zur Folge6.
Schlafgestörte sind nicht nur nachts beeinträchtigt, sondern leiden auch an einer ausgeprägten Tagessymptomatik, sowohl hinsichtlich der Thymopsyche als auch hinsichtlich der Noopsyche. Sie weisen Defizite in Kognition und Leistungsfähigkeit und eine deutlich schlechtere Lebensqualität als Nichtschlafgestörte auf. Sie haben vermehrt Arbeits- und Verkehrsunfälle, öfter Krankenstände, nehmen häufiger medizinische Einrichtungen in Anspruch und stellen somit auch einen nicht unbeträchtlichen sozioökonomischen Faktor dar7. So weit, so komplex!
Polysomnographisch lassen sich die einzelnen, für die jeweilige psychiatrische Erkrankung charakteristischen Schlafstörungen klar unterscheiden, und diese charakteristischen, störungsspezifischen Veränderungen von Schlafarchitektur und Schlafparametern sind in weiterer Folge wiederum ausschlaggebend für eine adäquate medikamentöse Behandlung der Schlafstörungen, die – im Sinne des „Schloss-Schlüssel-Prinzips“ – die Normalisierung der Schlafparameter zum Ziel haben sollte4 (Tab.).
Depressionen: 75–100 % (!) der PatientInnen mit Depressionen8 leiden an Schlafstörungen, umgekehrt ist das Depressionsrisiko bei Schlafgestörten dreimal höher als bei Nichtschlafgestörten, überdies erhöhen Schlafstörungen bei depressiven PatientInnen das Suizidrisiko9.
In der Polysomnographie (PSG) zeigen schlafgestörte Depressive ein verändertes Timing und eine veränderte Verteilung von REM- und Non-REM-Stadien. Im Rahmen von depressiven Episoden finden sich in der PSG eine verlängerte Schlaflatenz sowie eine reduzierte Schlafeffizienz, es liegen Durch- und Ausschlafstörungen vor, die Gesamtschlafzeit und die Schlafeffizienz sind reduziert, Schlafstadium 1 ist verlängert, Schlafstadium 2 und die Schlafstadien S3 + S4 sind reduziert, die REM-Latenz ist auf weniger als 65 Minuten verkürzt und die REM-Dichte und REM-Dauer der ersten REM-Periode sind erhöht, wobei eine persistierende verkürzte REM-Latenz nicht nur eine erhöhte Rezidivgefahr, sondern auch einen biologischen Marker für Depression darstellt10.
Bipolare Erkrankungen: Depressive Phasen im Rahmen bipolarer affektiver Störungen sind zusätzlich zu den beschriebenen Polysomnographie-Veränderungen durch ausgeprägte Tagesmüdigkeit gekennzeichnet. Während manischer Phasen im Rahmen bipolarer affektiver Störungen stehen verminderter Schlafdruck und ausgeprägte Schlafverkürzung im Vordergrund.
PatientInnen mit Dysthymie weisen in der Polysomnographie ähnliche Veränderungen auf. Auch bei ihnen ist die Schlaflatenz verlängert, sie haben Durch- und Ausschlafstörungen, eine verkürzte Gesamtschlafzeit und eine verschlechterte Schlafeffizienz. Schlafstadium 1 und das REM-Stadium sind verlängert, Stadium 2 und 3 sind verkürzt, die REM-Latenz ist unverändert.
Grundlegende Marker für eine Manie sind ein reduziertes Schlafbedürfnis und eine reduzierte Schlafzeit. Schlafentzug ist oft ein Auslöser für eine manische Episode, und eine Zunahme der Gesamtschlafzeit ist ein Zeichen für das Ansprechen einer Therapie, wie überhaupt die Gesamtschlafzeit bei manischen PatientInnen auch im freien Intervall ein Prädiktor für zukünftige manische Phasen ist11.
Von manischen PatientInnen gibt es aufgrund der durch die Erkrankung erschwerten Aufnahmebedingungen verständlicherweise verhältnismäßig wenige polysomnographische Untersuchungen. Charakteristisch für den Schlaf manischer PatientInnen sind vor allem die verkürzte Gesamtschlafzeit sowie verlängerte nächtliche Wachzeiten. Bezüglich der Schlafarchitektur finden sich Veränderungen in den REM- und Tiefschlafvariablen, die denen von depressiven PatientInnen ähnlich sind.
Während Schlafstörungen im Rahmen von affektiven Störungen meist der depressiven oder manischen Episode vorausgehen, treten sie im Rahmen von Angststörungen zumeist gemeinsam mit der Angstsymptomatik oder in deren Folge auf.
Angststörungen entwickeln sich im Erwachsenenalter häufig bei PatientInnen, die in der Kindheit bereits an Schlafstörungen gelitten haben12. 56 % der PatientInnen mit generalisierter Angststörung und 44 % der PatientInnen mit Panikstörung sind schlafgestört13. 18 % der Panikattacken treten nachts auf.
PatientInnen mit einer Schlafstörung, die auf einer generalisierten Angststörung (GAD) basiert, zeigen im Vergleich zu normalen Kontrollen Ein-, Durch- und Ausschlafstörungen, eine erhöhte nächtliche Wachzeit, eine verkürzte Gesamtschlafzeit (TST) und eine herabgesetzte Schlafeffizienz (SE). In der Schlafarchitektur ist das Leichtschlafstadium S1 verlängert, das mitteltiefe Schlafstadium S2 verkürzt und die Tiefschlafstadien S3 + S4 sind oft prozentuell vermehrt. Die REM-Variablen sind bei diesen PatientInnen zumeist unverändert.
Ähnliche Befunde zeigen auch polysomnographische Untersuchungen von PatientInnen mit Panikstörung. Auch sie weisen eine herabgesetzte Schlafeffizienz und vor allem Durchschlafstörungen auf, wobei das Aufwachen zumeist ein Aufschrecken mit intensiver Angst aus NREM-Stadien (S2–S4) ist.
Alkoholabhängigkeit: 36–72 % der AlkoholpatientInnen leiden unter Schlafstörungen. Das ist insofern von Bedeutung, als Schlafstörungen den Verlauf der Alkoholkrankheit verschlechtern und über den Weg der „Selbstbehandlung von Schlafstörungen mit Alkohol“ das Rückfallsrisiko erhöhen14. Das umso mehr, als Schlafstörungen bei Alkoholkranken bis zu zwei Jahre in die Abstinenz hinein anhalten können!
Alkoholbedingte Schlafveränderungen sind unterschiedlich und hängen sowohl von der Trinkmenge als auch vom Trinkstadium ab. Akuter Alkoholkonsum bewirkt in der ersten Nachthälfte eine verkürzte Schlaflatenz, also ein rasches Einschlafen, sowie vermehrte Tiefschlaf- und reduzierte REM-Stadien, während in der zweiten Nachthälfte die Aufwachereignisse und Wachzeiten zunehmen, wie auch REM-Stadien. Der Schlaf bei chronischem Alkoholge- bzw. -missbrauch ist von Durch- und Ausschlafstörungen bestimmt sowie bezüglich der Schlafarchitektur von einer REM-Zunahme und einer Abnahme der Schlafstadien S3 + S4.
Schizophrenie: Schlafstörungen bei schizophrenen PatientInnen, die bei bis zu 80 % auftreten15, sind durch Ein- und Durchschlafstörungen gekennzeichnet und hängen von der Psychopathologie der PatientInnen ab. Während im Rahmen einer Plussymptomatik die Schlaflatenz verlängert, die REM-Latenz verkürzt und die REM-Dichte vermehrt ist, korreliert die Minussymptomatik mit reduzierten Tiefschlafstadien16.
Das Auftreten von psychischen Symptomen ist aber nicht nur an nichtorganische Schlafstörungen gebunden, sondern häufig auch Folge von organischen Schlafstörungen, sowohl im Rahmen von schlafbezogenen Atmungsstörungen (obstruktive Hypopnoe oder Apnoe) als auch von nächtlichen Bewegungsstörungen wie dem Restless-Legs-Syndrom (RLS) und periodischen Beinbewegungen – und das auch bei PatientInnen ohne psychiatrische Vorgeschichte.
Je nach Erhebungsinstrument liegt die Prävalenzrate depressiver Symptome im Rahmen von schlafbezogenen Atmungsstörungen zwischen 7 und 63 % und die von Angstsymptomen zwischen 11 und 70 %, wobei hohe Angst- und Depressions-Scores mit Non-Compliance bei CPAP-pflichtigen OSAS-PatientInnen einhergehen und die Behandlung der schlafbezogenen Atmungsstörungen auch die psychischen Symptome verbessert17.
Bei Restless-Legs-PatientInnen haben wir auch in eigenen Studien erhöhte Angst- und Depressions-Scores gefunden18.
Angesichts der hohen Komorbidität organischer und nichtorganischer Schlafstörungen (Abb. 2) ist es wichtig, bei der medikamentösen Behandlung von Schlafstörungen nicht nur den Einfluss unterschiedlicher Medikamente auf die Schlafqualität und -architektur zu kennen, sondern auch auf die peripheren Schlafvariablen hinsichtlich schlafbezogener Atmungsstörungen (Schnarch-Index, SI; Apnoe-Index, AI; Apnoe-Hypopnoe-Index, AHI; Entsättigungsindex, EI) und nächtliche Bewegungsstörungen (Index der periodischen Beinbewegungen, PLM-Index), um nicht mit der Behandlung der einen Schlafstörung eine andere – koexistente – Schlafstörung auszulösen oder zu verschlechtern. Diese möglichen organischen Komorbiditäten sind in der Diagnostik und Therapie von „scheinbar therapieresistenten“ nichtorganischen Schlafstörungen unbedingt zu berücksichtigen, da sie zu einer Aggravierung und zu einem Persistieren der Symptomatik beitragen können.
Nächtliche Bewegungsstörungen: Vor allem in Hinblick auf RLS und Periodic Limb Movement Disorder (PLMD) gibt es eine Reihe von Psychopharmaka, die dafür bekannt sind, eine vorbestehende nächtliche Bewegungsstörung auszulösen oder zu verschlechtern19. Das gilt naturgegebenermaßen für Neuroleptika, aber auch für zahlreiche Antidepressiva, hier vor allem für trizyklische und tetrazyklische Substanzen sowie auch für selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer. Interaktionen des serotonergen und des dopaminergen Systems, die zu einer reduzierten dopaminergen Transmission führen, dürften in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen.
Für Amitriptylin, Trazodon und Bupropion ist in der Literatur keine Verschlechterung nächtlicher Bewegungsstörungen beschrieben. Dem „Schlafprofil“ von Trazodon kommt insofern eine besondere Bedeutung zu, zumal sich Trazodon in eigenen Schlaflaborstudien bei nichtorganischer Insomnie assoziiert mit Depression, Dysthymie und somatoformem Schmerz hinsichtlich Schlafarchitektur und Schlafkontinuität als wirksam bewährt hat, ohne PLM- und Arousal-Indizes oder Apnoe-, Apnoe-Hypopnoe- und Entsättigungsindizes zu verschlechtern.
Die Auswirkungen von Phasenprophylaktika auf nächtliche Bewegungsstörungen sind unterschiedlich. Unter Lithium kommt es zahlreichen Berichten zufolge immer wieder zum Auftreten oder einer Verschlechterung von nächtlichen Bewegungsstörungen, während Carbamazepin, Valproinsäure und Topiramat auch als Alternativbehandlung nächtlicher Bewegungsstörungen beschrieben werden. Gabapentin und Pregabalin haben wir in eigenen Schlaflaborstudien untersucht und unter beiden Substanzen eine Verbesserung sowohl der PLM-Indices als auch der Schlafkontinuität gesehen.
Schlafbezogene Atmungsstörungen: Hinsichtlich der zweiten großen Gruppe organischer Schlafstörungen, den schlafbezogenen Atmungsstörungen, die oft gemeinsam mit nichtorganischen Schlafstörungen auftreten, sind vor allem Substanzen, die zu einer Muskelrelaxierung und zu einer Gewichtszunahme führen bzw. die 5HT2-blockierend und tiefschlaffördernd sind, mit Vorsicht einzusetzen. Auch bei Gabe von Opiaten ist eine Verschlechterung von schlafbezogenen Atmungsstörungen bekannt.
So weit, so komplex. Daher ein Tipp für die Praxis aus psychiatrisch-schlafmedizinischer Sicht für NichtpsychiaterInnen: Organische Schlafstörungen haben häufig psychische Symptome und auch nichtorganische Schlafstörungen zur Folge, deren Berücksichtigung und Behandlung für eine adäquate Therapie erforderlich ist. Ein Tipp für PsychiaterInnen: Bei schweren, scheinbar therapieresistenten Verlaufsformen psychischer Störungen ist es wichtig, immer auch an die Komorbidität einer organischen Schlafstörung zu denken, die die Krankheit aufrechterhält und die komplexe Pathogenese durch objektive Schlaflaboruntersuchungen abzuklären.