Studien zur Kulturgeschichte des Schlafverhaltens zeigen, dass sich, wie bei anderen Verhaltensweisen auch, deutliche kulturelle und soziologische Unterschiede finden lassen. Was als „normal“ und auch als „biologisch“ notwendiges Schlafverhalten angesehen wird, entpuppt sich im transkulturellen Vergleich häufig als Gewohnheit, Sitte oder modische Attitüde1.
So entspringt auch der „Paarschlaf“ (Teilen einer gemeinsamen Schlafunterlage bei gleich- oder gegengeschlechtlichen Paaren) nicht einer biologischen Notwendigkeit oder psychophysiologischen Conditio humana, sondern weitgehend einer kulturell überformten und soziologischen Konvention. Das Schlafen zu zweit hat sich erst in den letzten 150 bis 200 Jahren im abendländischen Kulturkreis etabliert, eine Entwicklung, die eindeutig von den industriellen Produktionsbedingungen mit beeinflusst wurde.
In vorindustriellen, vornehmlich landwirtschaftlich ausgerichteten Gesellschaften war das Schlafen in einer Gruppe/Horde das gängige Schlafarrangement. Mütter teilten sich meist mit ihren Kleinkindern eine Schlafunterlage („bed sharing“), ansonsten schliefen mehrere Generationen in ein und demselben Raum („co-sleeping“). Noch bis in das 20. Jahrhundert waren diese Schlafarrangements auch in Teilen Europas üblich, in Afrika, Asien und Südamerika sind dies auch heute noch verbreitete Schlafgewohnheiten2.
Die Vorstellung, dass sich Paare gegenseitig im Schlaf beeinflussen, wurde von der Schlafforschung erst relativ spät untersucht. In einer bis dato immer noch einzigartigen Studie untersuchte Monroe 19693 28 heterosexuelle Paare mittels Polysomnographie in einem Schlaflabor einmal getrennt und einmal beieinander schlafend. Das erstaunliche Ergebnis: Schliefen die Partner alleine, so zeigten sie signifikant mehr Tiefschlaf und weniger REM-Schlaf. Dieser Effekt war bei Frauen signifikant stärker ausgeprägt als bei Männern.
Mehr als 20 Jahre später wurde das Thema Paarschlaf von einer englischen Forschergruppe wieder aufgegriffen4. Mit Hilfe von Aktigraphen (Bewegungssensoren, die am Handgelenk getragen werden) wurden 46 Paare über 8 Tage/Nächte untersucht, mit dem Ergebnis, dass sich Männer im Schlaf mehr bewegen als ihre Partnerinnen, etwa ein Drittel der Bewegungen synchron ablaufen und in allein verbrachten Nächten sich weniger bewegt wurde. Frauen fühlten sich auch durch die Bewegungen ihrer Bettpartner in ihrem Schlaf mehr gestört als Männer.
Erst in den letzten 10 Jahren wurde von wissenschaftlicher Seite dem Thema Paarschlaf zunehmend mehr Aufmerksamkeit geschenkt2, 5–9. Im Gegensatz zu früheren Arbeiten, bei denen hauptsächlich das Schlafverhalten oder die Schlafstörung (z. B. Schnarchen, Unruhe des Partners/der Partnerin) im Vordergrund standen, verlagert sich nun der Fokus des Interesses auf soziologische Aspekte wie Schlafrituale, Schlafgewohnheiten, Kommunikations- und Interaktionsmuster9 oder psychologische Faktoren wie die Qualität der Paarbeziehung und der Umgang mit Konflikten7, 8.
Auch das herrschende Rollenbild und die damit verbundene ungleiche, geschlechtsspezifische Verteilung von Aufgaben im Bereich von Beruf und Familie zu Lasten von Frauen haben Auswirkungen auf das Schlafverhalten. Die Folgen sind Klagen über Ein- und Durchschlafprobleme, die sich mit zunehmendem Lebensalter chronifizieren können10.
Nicht zuletzt untermauern epidemiologische Studien, dass sich die Schlafgewohnheiten von Frauen und Männern durchaus unterscheiden: Frauen gehen etwas früher zu Bett als Männer, benötigen etwas mehr Schlaf und sind häufiger als Männer der Meinung, dass es ihnen besser ginge, wenn sie länger schlafen könnten.
Frauen sind zu einem etwas größeren Teil als Männer der Meinung, dass sie mit einem Partner besser schlafen würden. Eine Studie mit nicht verheirateten Paaren11 konnte jedoch zeigen, dass dies nur für Paare in einer jahrelangen Beziehung bzw. für verheiratete Paare gilt. Bei jungen Paaren (< 30 Lebensjahre), die gewohnt sind, die Nacht sowohl alleine als auch gemeinsam zu verbringen, finden sich deutliche geschlechtsspezifische Unterschiede: Frauen schlafen in Gegenwart ihres Partners subjektiv als auch objektiv unruhiger, ihre Partner hingegen schlafen subjektiv besser zu zweit (siehe auch neurologisch 2/2007).
Grundsätzlich nehmen Schlafstörungen mit dem Lebensalter zu, wenn auch Beschwerden wie Sprechen im Schlaf, Albträume, teilweise auch Zähneknirschen eher in der Jugend vertreten sind. Auch finden sich sowohl im Ausprägungsgrad einer Schlafstörung als auch in deren Häufigkeit Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Männer schnarchen öfter und leiden insgesamt mehr an schlafassoziierten Atmungsstörungen. Das Restless-Legs-Syndrom oder Insomnien treten hingegen häufiger bei Frauen auf.
Frauen dürften mehr unter Müdigkeit leiden als Männer, was mit der gesellschaftlichen Rolle der Frau als Mutter, Hausfrau und (Teilzeit-)Arbeiterin zu tun hat (Mehrfachbelastung durch Beruf und Familie). Das Schlafzimmer wird nicht selten zu einem „unsichtbaren Arbeitsplatz“, da Frauen auch nächtens für das emotionale Wohl der Familie sorgen (die Fürsorge für Kinder und pflegebedürftige Familienmitglieder liegt häufig in der Obhut von Frauen). Daher akzeptieren Frauen ein „Nicht-ausgeschlafen-Sein“ und Tagesmüdigkeit als normale Begleiterscheinungen ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter.
Bei verheirateten älteren Frauen spiegelt die Schlafqualität nicht selten die Qualität ihrer Partnerschaft wider: Frauen leiden deutlich mehr unter der nächtlichen Ruhelosigkeit ihres Partners oder können wegen heftigen Schnarchens nicht durchschlafen. Verwitwete Frauen hingegen reagieren auf den Verlust ihres Partners nicht selten mit chronischen Schlafstörungen.
Eine Ursache von Schlafstörungen im Alter kann allerdings eine chronische Unterstimulation aufgrund fehlender Beschäftigungsanreize sein. Sozial isoliert, womöglich ohne Partner und mit sich und dem Fernseher alleine in der Wohnung zu sein kann dazu führen, dass bereits am frühen Abend die „Flucht in den Schlaf“ angetreten wird. Das Aufwachen zu später Nachtstunde ist damit vorprogrammiert, und an Durchschlafen ist auch nicht mehr zu denken. Ein Partner oder stabile soziale Kontakte können dem älteren Menschen deutlich mehr Struktur und Anreize im Alltag geben.
In einer Partnerschaft können unterschiedliche Schlafgewohnheiten zu schwerwiegenden Schlafproblemen führen, vor allem dann, wenn diese über längere Zeiträume hinweg still erduldet werden. Die Situation ist dann prekär, wenn einer der Partner die „Macht“ hat, den Schlaf des anderen jederzeit zu beenden bzw. zu beeinflussen, etwa durch langes Lesen oder durch den Wunsch nach Gesprächen in der Nacht. Spätestens dann wird das Schlafzimmer zu einer Kampfarena, in der keiner der Partner seine Ruhe finden wird.
Studien zeigen10, dass vor allem Frauen dazu neigen, über Jahre hinweg chronische Schlafdefizite aufgrund familiärer Verpflichtungen aufzubauen. Die Verantwortung für Kinder, nicht nur für Kleinkinder, sondern auch für Teenager (falls diese noch nicht zu Hause sind) oder das „Sich-verantwortlich-Fühlen“ für den Schlaf des Partners (vor allem, wenn dieser krank ist) sind nur einige der Mitursachen für Schlafdefizite. Wird die kurze Nachtruhe dann noch durch einen schnarchenden oder ruhelosen Partner gestört, droht die Situation zu eskalieren12.
Die meisten Studien zu Schlafstörungen und deren Auswirkungen auf den Partner bzw. die Partnerin wurde zu den schlafbezogenen Atmungsstörungen publiziert. Wenig verwunderlich steht hierbei der schnarchende Partner13, 14 oder das obstruktive Schlafapnoesyndrom15–17 im Mittelpunkt des Interesses. Neben chronisch gestörtem Schlaf sind vor allem die Lebensqualität, die Stressresistenz und die Zufriedenheit mit der Paarbeziehung signifikant vermindert. Verringern sich die Anzahl der Schnarch- und Apnoeepisoden infolge einer Therapie, so verbessern sich meist auch die Zufriedenheit und Lebensqualität der Partner18–21.
Über die Auswirkungen von anderen Arten von Schlafstörungen liegen noch keine systematischen Studien vor. Abgesehen von Berichten über die REM-Schlaf-Verhaltensstörungen, bei denen der Partner/die Partnerin meist auch unmittelbar betroffen ist, bleiben die spezifischen Auswirkungen z. B. von Insomnien oder RLS auf den Partner weitgehend unklar.
Letztendlich, und das konnten zahlreiche Studien zeigen13–17, 20, wirkt sich jede Schlafstörung auch auf den/die PartnerIn aus, sowohl psychisch als auch physiologisch. Fast immer werden die negativen Folgen von Schlafstörungen von den betroffenen und nicht betroffenen PartnerInnenn als gleich schwer eingestuft. Dabei spielt das Geschlecht oder das Alter der Betroffenen keine Rolle12.
Schlafen in einem anderen Zimmer aufgrund eines/einer ruhelosen oder schnarchenden Partners/Partnerin kommt für viele Frauen nicht in Frage, weil meist kein zusätzlicher Schlafraum zur Verfügung steht und/oder weil ein getrenntes Schlafzimmer für Verheiratete in unserer Gesellschaft einen Tabubruch darstellen.
Eigene, noch weitgehend unpublizierte Untersuchungsergebnisse bei Paaren mit schlafbezogenen Atmungsstörungen zeigen, dass nur weniger als ein Drittel der betroffenen Partner ein getrenntes Schlafzimmer als eine Lösung des Problems in Betracht ziehen22. Beim Vergleich der Schlafqualität von Paaren, die fast immer getrennt schlafen („Getrenntschläfer“), mit jenen, die nur gelegentlich („Wechselschläfer“) oder nie den Schlafplatz („Paarschläfer“) wechseln, zeigen die „Wechselschläfer“ die schlechteste Schlafqualität. Dies gilt sowohl für „den Patienten/die Patientin“ als auch für „den Partner/die Partnerin“.
In der Schlafforschung wurde erst in den letzten 10 Jahren dem Einfluss der Bettpartner auf die Schlafqualität und -quantität mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Ein Versäumnis mit Folgen. Weitgehend unbekannt sind die sehr komplexen Wechselwirkungen zwischen Schläfern, die einen gemeinsamen Schlafplatz teilen. Auch müssen wir uns von der Vorstellung verabschieden, dass Schlaf ein hauptsächlich biologisch gesteuerter Prozess ist, der unabhängig von äußeren Einflüssen abläuft und bestenfalls durch externe Faktoren gestört werden kann. Diese Wissensdefizite betreffen einerseits das Verständnis der Entstehung von nicht erholsamem Schlaf, andererseits auch die zurzeit gängigen Konzepte und Strategien bei der Behandlung von Schlafstörungen.
Bei beiden kann die Berücksichtigung und Miteinbeziehung des Bettpartners/der Bettpartnerin eine wesentliche Hilfe sein, um
Studien zum Paarschlaf zeigen in aller Deutlichkeit, wie wichtig es ist, Schlafstörungen möglichst rasch und kompetent zu behandeln! Denn chronische Schlafstörungen beeinträchtigen nicht nur den Betroffenen selbst, sondern haben negative Effekte auf PartnerInnen und andere Familienmitglieder. Diese komplexen Zusammenhänge müssen bei zukünftigen Studien und Therapieansätzen wesentlich mehr berücksichtigt werden.