Vorwort

Liebe Leser*innen!

Die Neurologie hat in den letzten 30 Jahren durch die Erforschung und Entwicklung neuer diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten eine starke Wandlung erfahren. Insbesondere die Fortschritte bei der Behandlung des Schlaganfalles haben dazu geführt, dass die Neurologie in der Notfallmedizin zunehmend an Bedeutung gewonnen hat und aktuell in einer modernen Notaufnahme eine der wesentlichen Disziplinen darstellt. Circa 20–30 % der dort behandelten Patient*innen präsentieren sich mit akuten neurologischen Symptomen. Das akute sensomotorische Defizit stellt dabei eines der häufigsten klinisch-neurologischen Zeichen dar. Schwindel, Kopfschmerzen, Kreuzschmerzen, Anfälle, Störungen des Bewusstseins sowie Sprach- und Schluckstörungen sind andere Leitsymptome, die häufig beobachtet werden. Während die Organisationsformen von Notaufnahmen im deutschen Sprachraum unterschiedlich sind und sich auch darin unterscheiden, ob Neurolog*innen primär fallführende Verantwortung übernehmen, ist die Notwendigkeit einer durchgehenden Facharztexpertise unumstritten. Bereits 2016 wurde dies im Rahmen eines Positionspapieres der ÖGN festgehalten und in der Folge die „ARGE Neurologische Notfälle“ im Rahmen der ÖGN gegründet. Das Erkennen zeitkritischer Differenzialdiagnosen ist wesentlich und erfordert zum einen eine rasche fachärztlich-neurologische Begutachtung, und andererseits aber häufig eine interdisziplinäre Abklärung. Die beiden Spezialausgaben von neurologisch (Neurologische Notfälle Teil 1 in dieser Ausgabe und Teil 2 in neurologisch 4/2020) tragen genau diesem interdisziplinären Aspekt einer modernen zentralen Notaufnahme Rechnung. Dabei haben wir nicht die neurologische Erkrankung, sondern das Leitsymptom/klinische Zeichen in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellt.

Im Artikel „Akute Paresen und Sensibilitätsstörungen“ von DDr. Simon Fandler-­Höfler, Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Serles und Dr. Peter Sommer wird vor allem auf das Akutmanagement des ischämischen Schlaganfalles als wesentlichste Differenzialdiagnose eingegangen und ein umfassendes Bild von der klinischen Ersteinschätzung über Indikationen zur differenziellen apparativen Zusatzdiagnostik bis zu den unterschiedlichen therapeutischen Möglichkeiten gezeichnet.

Die Differenzialdiagnosen der Bewusstseinsstörung werden interdisziplinär von Dr. Anna Steinbacher, Univ.-Prof. Dr. Philip Eisenburger und Dr. Milan Vosko behandelt. Dabei wird sowohl auf die verschiedenen systemischen Ursachen wie z. B. Toxidrome oder metabolische Gründe als auch auf die häufigsten neurologischen Ätiologien für qualitative und quantitative Bewusstseinsstörungen eingegangen.
Schluckstörungen wurden in den letzten Jahren vermehrt als wesentlicher Faktor der Morbidität neurologischer Erkrankungen berücksichtigt. Auch hier ist ein interdisziplinärer Ansatz essenziell; die Grundlagen der Problematik und die frühen Maßnahmen werden sowohl aus neurologischer (Dr. Elmar Höfner) als auch aus otolaryngologischer (ao. Univ.-Prof. Dr. Doris-Maria Denk-Linnert) Sicht erläutert.
Nach wie vor werden Sprachstörungen zu wenig als neurologischer Notfall erkannt. ­Dr. Philipp Werner und Dr. Johannes Wille möchten dies mit ihrem Artikel ändern und erläutern Grundlagen, Diagnostik und Prognose akuter Aphasien.

Im Teil 2 (Ausgabe neurologisch 4/2020) werden die Themen Anfälle, Schwindel, Kopfschmerzen und Rückenschmerzen interdisziplinär behandelt.
Zusammenfassend möchten wir mit der Sammlung dieser Artikel das Positionspapier zum Thema „Neurologische Notfälle“ erweitern und klinisch orientierte Handlungsempfehlungen für den täglichen Dienst in der zentralen Notaufnahme schaffen. Diese Sonderausgabe von neurologisch richtet sich daher nicht nur an Neurolog*innen. Sowohl fachfremde Kolleg*innen in der interdisziplinären Notaufnahme, die nicht sofort auf neurologische Unterstützung im Haus zurückgreifen können, als auch neurologische Ausbildungsassistent*innen, die ihren ersten Nachtdiensten entgegenblicken, sollen daraus Nutzen ziehen können. Bei der Durchsicht der Artikel haben wir zudem festgestellt, dass man auch mit längerer klinischer Erfahrung, vielleicht in den Artikeln abseits seines eigenen Spezialgebietes, Aspekte wahrnimmt, die man nicht oder nicht mehr parat hatte.

Wir danken allen Autor*innen für ihre Beiträge in der Gestaltung dieser Sonderausgabe und wünschen spannende abwechslungsreiche Lektüre.