Es ist Montag. Naturgemäß stapeln sich die Blutabnahmen. Nach der Morgenbesprechung ist schon vieles vom Pflegepersonal erledigt. An jedem anderen Montag. Heute ist die Station völlig unterbesetzt, die Frage „Kannst Du heute einmal bei den Blutabnahmen helfen?“ wird gestellt. Die Antwort „Helfe ich sonst nicht?“ wird mit einem sanften Nicken verkniffen. Wenigstens kann auf das KPJ-Kollegium gezählt werden, das Arbeitstier auf der Station, die automatische manuelle Blutdruckmanschette ist sowieso viel fleißiger. An jedem anderen Montag. Heute ist die oder der Zweite krank.
So wartet also eine Anzahl an Blutabnahmen darauf, abgenommen zu werden. So hoch können Medizinstudierende nicht einmal zählen. Die schier unglaubliche Röhrchenarmee verbreitet trotzdem einfach Angst und Schrecken. Auf in den Kampf, heißt es. Aus der Übung weil sonst maximal drei Blutabnahmen am Tag für KPJlerinnen und KPJler anfallen, ohne Motivation weil der KPJ-Stammtisch wieder einmal zu lang gedauert hat und aber mit dem Willen, alles selber zu schaffen startet das Blutbad. Um die Geschichte abzukürzen, damit noch der spannenden Visite gelauscht werden kann, gilt es ein paar Grundregeln zu beachten.
1. Hauptsache die anderen haben es bequem
Eine Blutabnahme ohne Kreuzschmerzen danach ist keine Blutabnahme. In der Optimalvariante können Patientinnen und Patienten weiterfrühstücken, die Pflege Infusionen anhängen und die Pflegehilfe die morgendliche Wäsche erledigen. Irgendwo ist schon noch Platz für Berufsimwegsteherinnen und -steher. An den verfälschten Werten durch die Infusion ist die Studentin oder der Student schuld. Da hätte sie oder er schon schneller sein müssen. Oder?
2. Nicht schüchtern sein
Mit „Ich habe gaaanz schlechte Venen“ wird Gesundheitspersonal von 70% der Patientinnen und Patienten begrüßt. Unabhängig davon, ob Blut abgenommen werden soll oder nicht. Meistens stimmt das ja gar nicht, allerdings sind die besten Venen natürlich unsichtbar und untastbar. Wenn es wehtut ist sicher: Da ist irgendetwas. Ob Vene, Nerv oder Sehne, irgendwann kommt schon Blut. Bei Lokalanästhesie wird doch auch gefächert, das kann nicht wehtun, schon gar nicht am Handrücken, das ist so weit weg vom ZNS. Handrücken haben doch überhaupt keine Schmerzrezeptoren. Die Schreie kommen nur, um Aufmerksamkeit zu erhaschen. Oder?
3. Nicht zu lange warten
Auf keinen Fall 30 Sekunden lang, die das Desinfektionsmittel zum einwirken braucht. Wenn in der Zwischenzeit entstaut wird, verschwindet die schöne Vene ja wieder. Außerdem muss auch die Innenseite der Vene desinfiziert werden, also schnell rein mit der Nadel, durch die rutschige Alkoholschicht. Mit guter Beschleunigung und hohem Topspeed haben Gefäße wenigstens keine Zeit, wegzurollen. Oder?
4. Schlampig arbeiten
Wenn ein Punkt in einer Liste ausgelassen wird, muss einfach später ein Platzhalter ohne sinnvollen Inhalt nachgetragen werden.
5. Zeit sparen
Oft kann auf das Desinfizieren verzichtet werden. Die Handschuhe sind ohnehin nicht dreckig, Patientinnen und Patienten können sich doch auch selbst um eine aseptische Haut kümmern. Vor allem ist es wichtig, die Vene direkt am Punktionsort noch einmal zur Kontrolle zu begrapschen. Was, wenn sie seit dem Desinfizieren verschwunden ist? Außerdem machen das alle so, und was alle so machen ist logischerweise gut. Am effektivsten ist sowieso die Klopfdesinfektion, wo der Dreck vielleicht abfällt und Venen auch sofort praller erscheinen. Dem Labor darf das nicht erzählt werden, die zicken wieder so herum. Wir wollen ja nur die Werte, egal wie richtig oder falsch sie sind. Solange Geld ausgegeben wird und viel Dokumentation anfällt, werden die Leute schon irgendwie gesund. Oder?
6. Blutdruckmanschette verwenden
Anstatt alle die ganze Zeit zu bitten, eine kräftigen Faustschluss durchzuführen, kann gleich die Blutdruckmanschette auf 160 mmHg aufgepumpt werden. Da findet sogar ein blindes Huhn eine Vene. Die Farbe des Armes sieht dadurch auch viel gesünder aus, zumindest kurz. Kalium ist eh kein wichtiger Parameter. Oder?
7. Markierungen sind Empfehlungen
Das Labor will uns nur ärgern. Im Blut ist alles so klein, denen sollte eigentlich ein Tropfen reichen, um alles wichtige herauszufinden. Warum werden eigentlich verschiedenfarbige Röhrchen gebraucht? Das ist alles viel zu kompliziert. Außerdem machen das alles nur mehr Maschinen. Wofür gibt es noch Labormedizinerinnen und -mediziner? Nur mehr, um Turnusärztinnen und -ärzte zu ärgern. Oder?
8. Umschütten gehört zum guten Ton
Ein Röhrchen ist voll, das andere leer. Obwohl das nie auch nur annähernd gemacht wird, sondern immer nur über drei Ecken gehört wird, darf durchaus mit Blut herumgepantscht werden. Citrat wirkt erst mit EDTA gemeinsam wirklich gut. Kontaminationen sind kein Problem, irgendwann wurden die Hände sowieso desinfiziert. Gegen die schlimmsten Sachen wird ohnehin geimpft, what could possibly go wrong? Oder?
9. Schnell wieder heraus
Je länger eine Nadel im Körper liegt, desto höher ist das Infektionsrisiko. Also schnell heraus damit. Der Tupfer kommt später drauf, der blaue Fleck ist die Trophäe für die erfolgreiche Abnahme. Wenn auf ein Röhrchen vergessen wurde, kann einfach nocheinmal gestochen werden. Am besten an der selben Stelle wie zuvor, da rinnt eh noch ein bisschen Blut heraus. Oder?
10. Nicht immer ist eine Blutabnahme nötig
Bevor erfahrenere Stecherinnen oder Stecher zu Hilfe geholt werden, gibt es noch einen letzten Ausweg. Zuzugeben, etwas nicht zu schaffen ist gerade am Anfang der Karriere tödlich. Damit fangen wir erst gar nicht an. Eine der wichtigsten Eigenschaften als Ärztin oder Arzt ist es, den Schein nach außen zu wahren. Egal wie groß die eigene Inkompetenz oder Dummheit ist, es darf einfach nicht „Ich kann/weiß es nicht“ zugegeben werden. Irgendwie kann immer getrickst werden. So können Röhrchen versteckt, Kurven getippext und Anforderungen gelöscht werden. Bis das auffällt, ist der Dienst hoffentlich wieder vorbei. Diese Skrupellosigkeit muss auch später bei der Steuererklärung und bei der Abrechnung mit der Krankenkasse beibehalten werden, sonst bleibt am Ende ja gar nichts übrig. Definitiv nicht! Oder?
Auch beim Mittagessen können leere Rörchen von fehlgeschlagenen Punktionen heimlich weggeworfen werden, dort rechnen die Wenigsten damit.
Zitate
„Schau jetzt bist du in der Hierarchie gestiegen und nicht mehr ganz unten! Du bist jetzt Leader! Du kannst frei über die Famulanten verfügen!“
– Ein Assistenzarzt trägt die Hackordnungstraditionen weiter„Warum hast die Tür zum Untersuchungszimmer offeng’lassn? Willst das die ganzen Untoten hier einfallen?“
– Ein Assistenzarzt beschäftigt sich begeistert mit griechischer Mythologie