Arztausbildung: Das erste Mal im Dienst

Foto: Christina Nia. Von links: nextdoc-Chefredakteurin Sophie Niedenzu, nextdoc-Gründer Dr. Arastoo Nia, Turnusärztevertreter Dr. Eduardo Maldonado-Gonzalez

Welche Folgen die neue Arztausbildung hat und wie es Jungmedizinern im alten und im neuen System geht, erzählen Turnusärztevertreter Dr. Eduardo Maldonado-Gonzalez und nextdoc-Gründer Dr. Arastoo Nia und im Interview.

Interview: Sophie Niedenzu

nextdoc: Seit 2015 gilt die neue Ärzte-Ausbildungsordnung (ÄAO) mit der Basisausbildung und der anschließenden Facharztausbildung. Welche Mängel gibt es aus Sicht der Turnusärztevertreter?

Maldonado-Gonzalez: Die Ausbildungsqualität muss besser werden: Es gibt keinen klaren Ausbildungsplan mit einer zeitlichen Zuordnung für bestimmte Fächer. Das heißt, es ist nicht genau festgelegt, wie lange die Ärzte in Ausbildung in welcher Abteilung tätig sind. Oberärzte wollen den Jungen etwas beibringen, ihnen fehlt aber die Zeit. Wenn jeder Facharzt versucht, bis 13 Uhr fertig zu sein, und es sich knapp ausgeht, hat niemand die Zeit, den neuen Kollegen etwas beizubringen. Es arbeiten immer weniger Ärzte, aber die Patienten werden nicht weniger. Als Turnusarzt ist man meistens nur Springer, und in manchen Fällen verbringt man während der Basisausbildung beispielsweise gar keine Zeit in Ambulanzen. Das finde ich schade, weil man genau dort sehr viel lernt.

nextdoc: Welche Unterschiede gibt es zwischen dem neuen und dem alten Ausbildungsplan?

Maldonado-Gonzalez: Man hat keine Stehzeiten mehr, weil man in neun Monaten durch sein muss. Ich bin noch im alten Turnusplan gewesen, und da hat der Turnus schon vier, fünf Jahre gedauert. Man hatte Wartezeiten, weil das vom Personal her nicht anders ging. Oder man war vier Monate länger als geplant an einer Abteilung. Für die Neuen gibt es keine Stehzeiten.

Nia: Im neuen Plan ist man zwar nach neun Monaten durch, das ändert aber nichts daran, dass man Systemerhalter ist, wenngleich in einer „Light“-Version. Wenn man Pech hat, hat man nach den neun Monaten Basisausbildung nicht viel gelernt.

Maldonado-Gonzalez: Das ist allerdings der Vorteil des alten Turnusarztes. Der hat zwar länger gedauert, aber man hatte zumindest eine Ahnung. Im neuen Plan fehlt die Zeit, wie soll nach neun Monaten eine medizinische Basis in vielen Fächern möglich sein?

Nia: Das Problem beim neuen Plan ist, dass manche Krankenhäuser dann nicht die Option anbieten, die Facharztausbildung auch dort zu machen. Ich habe das persönlich miterlebt: Wenn ein Jungmediziner sich nach der Basisausbildung für den Facharzt bewirbt, dann sagt der dortige Primar: „Eigentlich nehmen wir nur die, die bei uns die Basisausbildung gemacht haben und die wir schon kennen.“

Maldonado-Gonzalez: Ja, das ist das Problem. Jungmediziner sollten wissen, wo sie ihre Basisausbildung machen wollen und ob das Fach, das sie später machen wollen, dort auch angeboten wird. Wenn das nämlich nicht der Fall ist, dann riskiert man, bei Facharztbewerbungen nachgereiht zu werden.

nextdoc: Das klinisch-praktische Jahr (KPJ) am Ende des Medizinstudiums wurde 2014 eingeführt. Wie ist das bisherige Resümee?

Maldonado-Gonzalez: Das KPJ ist sehr gut, denn dort lernt man viel, ohne viel Verantwortung zu tragen. Im Endeffekt ist es das Gleiche wie ein Turnus, und die neuen Ärzte in Ausbildung haben dadurch ein Jahr Vorsprung, wenn sie mit der Basisausbildung anfangen. Das ist auch hilfreich, wenn man noch nicht genau weiß, welchen Facharzt man machen möchte, weil dadurch knapp zwei Jahre Zeit da sind, um sich zu entscheiden.

nextdoc: Haben sich die Wartezeiten mit der neuen Ausbildung verändert?

Maldonado-Gonzalez: Die Wartezeiten liegen derzeit bei neun bis zwölf Monaten, allerdings kann man sich nach der fünften, positiv abgeschlossenen SIP bereits für einen Turnus bewerben. Die Wartezeit läuft dann ab diesem Zeitpunkt und fällt somit in die Zeit des klinisch-praktischen Jahres. Das heißt, es gibt dann keine Wartezeiten mehr, und man kann nach dem KPJ gleich den Turnus anschließen. Falls man zum Turnus drankommt, bevor das KPJ abgeschlossen ist, verliert man nichts, weil man nur ein paar Plätze nach hinten gereiht wird.

Nia: Die konkreten Wartezeiten sind schwer zu eruieren, genauso schwer lässt sich die Frage beantworten, warum man überhaupt wartet. Manche Spitäler hatten Aufnahmestopp und Stellenabbau, was sie öffentlich nicht zugegeben haben. Teilweise gibt es auch künstliche Wartezeiten. Ich hatte mich als Turnus beworben und bekam einen Brief, in dem stand: „Melden Sie sich in einem Jahr bei uns“. Ich erhielt jedoch einen weiteren Brief nach sechs Monaten, in dem stand: „Bewerben Sie sich jetzt“.

Maldonado-Gonzalez: Die Frage ist dann nur, wenn man dann tatsächlich zwölf Monate wartet: Wie kann man diese Zeit überbrücken? Eine Lehrpraxis kann man mittlerweile nicht mehr machen, weil davor der Turnus abgeschlossen bzw. so gut wie sein muss.

Nia: Ja, das war früher besser, da konnte man mit dem Studiumsabschluss eine Lehrpraxisstelle in einer Ordination annehmen, und die Zeit wurde angerechnet. Diese Möglichkeit gibt es nicht mehr. Ich habe eine entsprechende Anfrage gestellt, und die Ärztekammer hat geantwortet, dass die erste Tätigkeit im klinischen Betrieb sein muss.

nextdoc: Wie ist die aktuelle Situation mit Ärzten in Ausbildung, die ins Ausland gehen?

Maldonado-Gonzalez: Es gibt keine offiziellen Zahlen, aber sie müssten konstant sein. Viele würden die Ausbildung grundsätzlich in Österreich machen, aber die Bedingungen sind einfach schlecht – es gibt viele Kollegen, die im Ausland ihren Facharzt gemacht haben und nach Österreich zurückkehren. Im Ausland gibt es keinen Turnus, keine Wartezeiten, das Gehalt ist höher – wobei man da schon auch die Lebenserhaltungskosten mit einberechnen muss, wie beispielsweise in der Schweiz. In keinem Land der Welt gibt es jedenfalls so viele Fachärzte, die auch Allgemeinmediziner sind, wie in Österreich. Immerhin sind es mit der neuen Ausbildung „nur“ neun Monate, das ist eine Verbesserung.

nextdoc: Die Idee mit der neuen Ausbildung ist also gut – woran hapert es noch bei der Umsetzung?

Maldonado-Gonzalez: Es wird früher oder später Probleme in der 9-monatigen Basisausbildung geben. Ein Spital hat nur eine begrenzte Zahl an Abteilungen und an verfügbaren Ausbildungsplätzen. In neun Monaten müssen wenige Leute rotieren, das geht. Aber wenn dann Ärzte in der Facharztausbildung da sind, was macht man dann? Dann wird sich das nicht ausgehen, und die Leute werden nicht rotieren können, weil in den anderen Abteilungen noch jemand anderer ist. Dann ist die Frage, ob es Änderungen in der Organisation geben wird. Es ist bereits jetzt schon ein Problem, dass manche Krankenhäuser ihre Ärzte in Ausbildung in gewissen Abteilungen nicht rotieren lassen können und daher andere Spitäler anrufen, damit sie dort dann rotieren können.

nextdoc: Anscheinend gibt es auch Probleme damit, dass Ausbildungsplätze nicht akkreditiert sind.

Maldonado-Gonzalez: Ich kenne keine Beschwerde. Allerdings weiß ich, dass viele Sachen noch nicht offiziell abgeschlossen sind, und wenn sie fertig sind, wird das unterschrieben.

Nia: Es weiß niemand. Es gibt keine offiziellen Infos zu akkreditierten oder nicht akkreditierten Ausbildungsplätzen. Angeblich wird in vielen Fällen die Ausbildung im Nachhinein anerkannt. Allerdings gibt es Abteilungsleiter, die sagen, dass sie niemanden aufnehmen, weil die Plätze nicht akkreditiert sind. Denn wenn was passiert, dann haften sie.

nextdoc: Wie äußert sich das Anfang 2016 eingeführte neue Arbeitszeitgesetz für Spitalsärzte in der Ausbildung?

Maldonado-Gonzalez: Ich merke einen Unterschied, denn ich konnte damals an vielen Operationen teilnehmen. Ein Beispiel: Eine Wirbelsäulen-OP dauert 8–10 Stunden. Die Arbeitszeiten mit der 48-Stunden-Woche erlauben aber nicht, dass man lang genug bleibt, um die Operation wirklich mitzuerleben.

Nia: Genau deswegen können Ärzte in Ausbildung freiwillig entscheiden, dass sie länger bleiben. Die Unikliniken haben durchgesetzt, dass das entsprechende Opt-out verlängert wird, also mehr Überstunden möglich sind. Die werden aber häufig nicht bezahlt.

nextdoc: Welche Tipps gibt es für Ärzte in Ausbildung?

Maldonado-Gonzalez: Sich unbedingt nach der 5. SIP für die Ausbildungsplätze bewerben und die Turnusarztvorbereitungskurse besuchen. Die nehmen einem die Angst. Es ist außerdem nie verkehrt, Fortbildungen zu machen, viele davon sind auch kostenlos und decken alles ab, von Ultraschall über EKG und Laparoskopie. Das hilft auch, sich mit anderen Medizinern zu vernetzen. Und was besonders wichtig ist: Nicht aufgeben! Der Beruf gibt dir sehr viel zurück, allerdings muss man in der Ausbildung öfters die Zähne zusammenbeißen und durch. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Dienst als Turnusarzt, da ging es mir nicht gut.

Nia: Ich konnte auf Grund der vielen Aufnahmen und meiner Nervosität den ganzen Nachtdienst durch nicht schlafen. Mir war ziemlich mulmig und übel, weil ich praktisch allein für zwei Stationen verantwortlich war.

Maldonado-Gonzalez: Der erste Dienst ist schon extrem, und ein wenig Angst ist gut, denn der Respekt vor der Arbeit muss bleiben. Allerdings sollte man nicht an sich selbst zweifeln – zu meiner Zeit haben viele aufgehört. Der erste tote Patient, das erste tote Kind, die erste Reanimation – das alles arbeitet natürlich in dir drinnen. Und es wäre gefährlich, wenn dich das als Arzt nicht bewegt, aber es soll dich in der Arbeit nicht hemmen. Da muss man sich durchkämpfen und es aushalten.

Nia: Es gibt zwar eine Supervision, die funktioniert aber nicht so gut. (24. 1. 2018)

 

Dr. Eduardo Maldonado-Gonzalez ist Turnusärztevertreter, Assistenzarzt für Innere Medizin am SMZ Ost/Donauspital und Referent des Referats für arbeitslose Ärzte und Jungmediziner der Ärztekammer für Wien.

Dr. Arastoo Nia ist Gründer von nextdoc.at und Assistenzarzt für Anästhesie am AKH Wien.

Das Interview führte Sophie Niedenzu.