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Der Obmann des Vereins Junge Allgemeinmedizin Österreich (JAMÖ), Dr. Sebastian Huter, spricht im Interview darüber, warum er sich für die Allgemeinmedizin entschieden hat, wie es ihm mit der Lehrpraxis geht und wie wichtig Fortbildungen sind.
Herr Dr. Huter, Sie sind Arzt in Ausbildung für Allgemeinmedizin. Was reizt Sie an diesem Fach?
Huter: Mein Interesse für Medizin und für ein entsprechendes Studium wurde durch meine Tätigkeit als Rettungssanitäter im Rahmen des Zivildienstes geweckt. Anfänglich war ich eher der Notfallmedizin verhaftet, habe dann aber rasch gemerkt, dass diese kurzfristigen Episoden für mich bei Weitem nicht so befriedigend sind wie die langfristige Versorgung von Patienten. Die kontinuierliche Betreuung hat für mich einen sehr wichtigen Stellenwert. Ein weiterer Aspekt, der mich reizt, ist die Vielfalt des Faches. Als Allgemeinmediziner kann man – wenn man so will – für den Patienten als Ganzes verantwortlich sein. Auch wenn ein Patient mehrere unterschiedliche Beschwerden hat, versucht man diese zunächst selbst zu lösen. Das unterscheidet einen Allgemeinmediziner vom Facharzt, der Patienten mit Beschwerden außerhalb seines Faches an einen weiteren Spezialisten überweist. Die Allgemeinmedizin ist so breit gefächert, dass man immer etwas Neues dazulernen kann und muss. Für mich persönlich ist die Allgemeinmedizin deshalb langfristig die interessanteste Wahl.
Ist man als junger Allgemeinmediziner ausreichend auf die Arbeit in der Ordination vorbereitet?
Huter: Nach dem Studium habe ich die ersten beiden Jahre als Turnusarzt im Spital verbracht und nun kürzlich mit der sechsmonatigen Lehrpraxis begonnen. Hier habe ich eigentlich zum ersten Mal mein zukünftiges Berufsfeld kennengelernt – ich muss sagen, das war schon eine große Umstellung! Natürlich kann man das im Spital gewonnene Fachwissen in Einzelfällen gut anwenden, aber es gibt in einer Praxis auch viele Fragestellungen und Situationen, mit denen man im Krankenhaus überhaupt nie konfrontiert war. Das reicht von Krankheitsbildern, die nicht schwerwiegend genug sind, um im Spital behandelt zu werden, bis hin zu unterschiedlichen Vorgangsweisen, was zum Beispiel die Abklärung von Krankheiten betrifft. Im Spital versucht man mit verschiedensten technischen Möglichkeiten gleich beim ersten Mal, möglichst vieles auszuschließen und abzuklären. In der Ordination hat man dagegen die Möglichkeit, den Patienten nach ein paar Tagen wieder einzubestellen und zu schauen, ob es eine Veränderung gegeben hat. Man kann sich also den zeitlichen Verlauf zunutze machen. In einer Spitalsambulanz ist es nur schwer möglich, dass ein Patient immer wieder vom selben Arzt gesehen und behandelt wird.
Sie sind bei Obmann des „Vereins Junge Allgemeinmedizin Österreich“ (JAMÖ). Welche Anliegen hat die JAMÖ?
Huter: Eine Kernforderung war und ist die Einführung des Facharztes für Allgemeinmedizin. Dabei geht es uns nicht primär um den Titel, sondern vielmehr darum, das Fach Allgemeinmedizin insgesamt zu stärken. Der Facharzt für Allgemeinmedizin wäre ein starkes Symbol für eine eigene Fachidentität, ein eigenes Selbstverständnis, eine eigene Community, eigene wissenschaftliche Arbeiten, eigene Fortbildungen etc. Leider wurde der Facharzt für Allgemeinmedizin in der neuen Ausbildungsordnung nicht realisiert. Das ist vor allem insofern unverständlich, als ja nun eine starke Aufwertung der Primärversorgung geplant ist. Ich hoffe, dass hier in der Zukunft nachgeschärft werden wird und dass sich dann unsere Forderung nach einem Facharzt für Allgemeinmedizin erfüllt.
Unsere zweite wichtige Forderung betrifft die Lehrpraxis. Diese ist nach der neuen Ausbildungsordnung zwar verpflichtend, allerdings ist die Finanzierung noch nicht in allen Bundesländern gesichert. Nicht ideal ist aus unserer Sicht, dass die Lehrpraxis nun erst am Ende der Ausbildung vorgesehen ist. Man lernt dadurch das zukünftige Arbeitsumfeld erst sehr spät kennen. In der alten Ausbildungsordnung konnte man beispielsweise die Wartezeit für den Spitalsturnus nutzen, um die Lehrpraxis zu absolvieren. Das gab den von vornherein interessierten Kollegen die Möglichkeit, schon früh in den Ordinationsbetrieb hineinzuschnuppern, und hat sicherlich auch das Interesse des einen oder anderen noch unentschiedenen Kollegen am spannenden Fach der Allgemeinmedizin geweckt.
Wie wichtig ist die Förderung der Forschung in der Allgemeinmedizin?
Huter: Sehr wichtig, denn obwohl man im Zusammenhang mit Allgemeinmedizin nicht primär an Forschung denkt, gibt es doch gewisse klinische Fragestellungen, wie z. B. den unspezifischen Kreuzschmerz, die man im Spital nur sehr schlecht untersuchen kann. In der Primärversorgung hat man ganz andere Patientenkollektive, Fallzahlen und natürlich auch andere Fragestellungen als in einem Krankenhaus. Während die neue Ausbildungsordnung wissenschaftliche Module von drei Monaten für alle Fachärzte vorsieht, ist dies im Curriculum der Allgemeinmediziner nicht der Fall. Daran sieht man schon, wie es um den Stellenwert der Forschung in der Allgemeinmedizin bestellt ist. In erster Linie geht es uns aber darum, die Allgemeinmedizin universitär zu verankern, das heißt, starke allgemeinmedizinische Institute an allen österreichischen Universitäten zu etablieren, um so die Lehre und Forschung zu stärken.
Zum Thema Fortbildung: Brauchen Allgemeinmediziner Ihrer Meinung nach eine spezielle Art der Fortbildung?
Huter: Diese Frage finde ich ganz spannend. Provokativ gesagt: Es ist weniger die Allgemeinmedizin, die eine spezielle Art der Fortbildung braucht, als vielmehr die Medizin insgesamt. Man sollte abgehen von dieser „Vermittlung von Fakten“, denn Fakten sind über elektronische Entscheidungshilfen wie EBM-Guidelines oder UpToDate ohnehin schnell verfügbar. Aber natürlich gibt es in der Allgemeinmedizin andere Fragestellungen als in anderen Fächern, es gibt nicht die eine dominierende Krankheit, mit der wir uns hauptsächlich beschäftigen. Wissenschaftliche Erkenntnisse sollten mehr in den praktischen Kontext eingebettet werden. Es geht vielleicht weniger um Leitlinien als darum, wie mit den Leitlinien in der Praxis umgegangen werden soll. Dafür eignen sich fallbasierte Fortbildungen. Dass Fortbildungen für Allgemeinmediziner auch von Spezialisten abgehalten werden, sehe ich grundsätzlich nicht als Problem. Wenngleich es die Diskussion und den Austausch natürlich erschweren kann, weil sich das Arbeitssetting, die Probleme, mit denen man konfrontiert ist, und die Erfahrungen, die man macht, natürlich stark unterscheiden.
Was ist Ihnen als junger Arzt beim Thema Fortbildung wichtig?
Huter: Das Fortbildungsangebot ist extrem vielfältig, sodass sicher für jeden Geschmack etwas dabei ist. Ein absolutes Muss ist die Unabhängigkeit der Fortbildung. Das ließe sich meiner Meinung nach am besten durch den Verzicht auf Industriesponsoring bzw. zumindest auf direktes Industriesponsoring erreichen. Interessenkonflikte sollten klar kommuniziert werden. Wichtig ist auch, dass die Inhalte wissenschaftlich belegt sind. Das soll nicht heißen, dass das Weitergeben von Erfahrungswerten nicht ebenso wichtig ist, aber es sollte klar sein, welche Aussagen sich auf Studiendaten stützen und welche auf persönliche Erfahrung.
Was moderne Fortbildungsformate wie E-Learning oder Videolearning betrifft, so glaube ich, dass besonders Studenten gerne zu solchen Tools greifen. Sobald man dann aber klinisch tätig ist, wird der direkte Austausch mit Kollegen – wie er nun mal nur in Form von Präsenzveranstaltungen möglich ist – immer wichtiger. Ich besuche deshalb regelmäßig kleinere Fortbildungsveranstaltungen mit überschaubarer Teilnehmerzahl, da kann man sich gut austauschen und diskutieren. Und ein- oder zweimal im Jahr nehme ich an größeren Kongressen teil, wie dem europäischen Kongress für Allgemeinmedizin – WONCA Europe. Hier ist es für mich besonders interessant, das Gesundheitswesen, die Probleme und Lösungsansätze anderer Länder kennenzulernen. Wenn ich im Auto oder im Zug unterwegs bin, höre ich mir sehr gerne den kanadischen Podcast „Best Science Medicine“ an: Ein Pharmakologe und ein Allgemeinmediziner widmen sich gemeinsam aktuellen medizinischen Themen, auf humorvolle und unterhaltsame Art, aber dennoch wissenschaftlich hochwertig. So stelle ich mir ein ideales, modernes Fortbildungsformat vor.
Das Interview führte Eva Maria Riedmann.
Die Langversion ist im Fachmedium “Arzt & Praxis” 07/2017 erschienen.