In Deutschland gibt es jährlich knapp 11.000 Studienplätze für Medizin. Und den Numerus clausus. In Österreich sind es 1.630. Nimmt man das klassische Einwohnerverhältnis Österreich-Deutschland, also 10 zu 1 an, so werden bei uns 60 Prozent mehr Studenten aufgenommen, ohne Numerus clausus, aber mit Eignungsprüfung.
Österreich ist demnach vorbildlich in der zur Verfügungstellung von Studienplätzen – im Vergleich zum Nachbarn. Noch dazu sind knapp 20 Prozent der in Österreich Studierenden deutsche Staatsbürger, die zum Großteil nach dem Studium nach Deutschland zurückkehren.
Die Zahlen überraschen und sagen zweierlei: Theoretisch hätte Österreich genügend Studienplätze, wenn es keine Abwanderung gäbe oder einen gleichbleibenden Transfer. In Deutschland kommen Menschen, die den Numerus clausus nicht schaffen, auf die Warteliste. und blockieren damit nachkommende Jahrgänge. Zudem gibt es diverse Ausnahmeregelungen und Anhörungstests. So verdichtet sich die Warteschlange. Das verlockt zu einem „paradiesischem“ Studium in Österreich.
Die Frage stellt sich dennoch: Wie kann es zu einem Ärztenotstand in Österreich kommen? Stärker noch als in Deutschland.
Probleme im System
Die Antwort ist einfach: Es liegt am System. In Österreich gibt es zu wenig angestellte Ärzte und zu wenig niedergelassenen Kassenärzte. Dafür aber – noch – genügend Wahlärzte. Mehr als ein Drittel der Medizinabsolventen bleibt nicht in Österreich. Und das sind nicht nur deutsche Staatsbürger, sondern auch viele Österreicher. Mit steigender Tendenz.
Offensichtlich ist unser System nicht attraktiv, vor allem nicht für eine neue Generation von Ärztinnen, die ihr Lebenskonzept verwirklichen wollen. Und offensichtlich stimmen weder Betriebsklima noch Bezahlung. Das trifft auf die lächerlich geringen Kassenhonorare zu, insbesondere bei Allgemeinmedizinern, auf strukturelle Mängel, wie dass beispielweise Erstberatung und „Zuhören“ nicht oder nur ungenügend bezahlt werden. Das trifft aber auch auf die klimatischen Zustände in vielen Krankenhäusern zu: Zu wenig Personal, falsche Arbeitsaufteilung, sodass Jungärzte unter ihrer Qualifikation eingesetzt werden, zu wenig Obacht auf professionelle Ausbildung. Und es gibt ein klassisches Generationsloch. Die Baby-Boomer hinterlassen eine Lücke, die mittelfristig schwer zu füllen ist.
Bevor man also unreflektiert über mehr Studienplätze redet – siehe Verhältnis zu Deutschland – sollte man über das System an sich nachdenken. Und vielleicht auch darüber, was man tun könnte um Arztsein in Österreich wieder attraktiv zu machen: Das Krankenhaussystem neu organisieren, die Infrastruktur für Allgemeinmediziner verbessern – Vorschläge gibt es genug. Doch mit permanentem Spardruck allein wird das nicht gelingen. Mit einer fortschreitenden Ökonomisierung der Gesundheitsversorgung schon gar nicht.
ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Szekeres
Präsident der Ärztekammer für Wien
Präsident der Österreichischen Ärztekammer
Die weibliche Form ist der männlichen Form in diesem Blog gleichgestellt; lediglich aus Gründen der Leseverständlichkeit wurde die männliche Form gewählt.