Eritrea bildet gemeinsam mit Äthiopien, Dschibuti und Somalia das sogenannte Horn von Afrika. Aktuellen Schätzungen zufolge leben in dem 121.100 km² großen Land aktuell ca. 5,5 Millionen Menschen, im Vergleich hierzu leben in Österreich auf 83.879 km² ca. 8,9 Millionen Einwohner. Aufgrund der vorherrschenden geografischen Besonderheiten im Bereich des Festlandes – Küste, Hochland und Tiefebene – leben die meisten Einwohner im Bereich des fruchtbaren Hochlandes, welches ein gemäßigtes Klima aufweist. Eritrea war italienische Kolonie und die Hauptstadt Asmara wurde 2017 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Nach dem Ende des 30-jährigen Bürgerkriegs mit dem Nachbarland Äthiopien wurde Eritrea schließlich am 24. Mai 1993 unabhängig und ist seitdem offiziell ein demokratischer Staat im Sinne einer präsidialen Republik mit Einparteiensystem, welches es so nur in wenigen Ländern weltweit gibt.
Vor unserem Einsatz im November 2019 wusste ich nur wenig über Eritrea und habe im Rahmen unseres 10-tägigen Kurzeinsatzes viele Erfahrungen und Eindrücke gesammelt, die ich im Rahmen dieses Berichtes teilen möchte.
Vorweg möchte ich noch einige Fakten erwähnen, damit man das Gesundheitssystem, die Gegebenheiten und die Situation vor Ort besser einordnen kann.
- Eritrea zählt zu den ärmsten Ländern der Welt mit einem geschätzten Bruttoinlandsprodukt von ca. 750 USD/Kopf.
- Die Lebenserwartung liegt bei 65,9 Jahren für Frauen und 59,2 Jahren für Männer.
- 80 % der Bevölkerung leben in ländlichen Gebieten mit einem langen Anfahrtsweg von ca. 41 km zur nächsten größeren Gesundheitseinrichtung.1,2
- Das Gesundheitssystem wird vom Staat finanziert und ist für Menschen mit Armutsausweis kostenlos.
- Die Fertilitätsrate liegt bei durchschnittlich 4,5 Kindern.1
- Nur ca. 20 % der Frauen aus ländlichen Gebieten entbinden in einer Gesundheitseinrichtung.1
- Die Neugeborenen-Sterblichkeit lag im Jahr 2015 bei 17.8/1.000.3
- Die mütterliche Sterblichkeit konnte von 1.700/100.000 im Jahr 1990 auf 380/100.000 im Jahr 2014 gesenkt werden.4, 5
- Im Jahr 2017 gab es für die gesamte Bevölkerung 17 Fachärzte und Fachärztinnen für Gynäkologie und Geburtshilfe, Tendenz gleichbleibend bis leicht fallend.2
Die NGO For-Eritrea e.V. (Medical Support in Partnership) nimmt sich seit der Gründung im Jahre 2012, neben anderen Schwerpunkten, der Adaptierung der Arbeitsabläufe in der Geburtshilfe zur Senkung der maternalen und neonatalen Morbidität sowie Mortalität an.
Der Einsatz von 8. bis 16. 11. 2019 hatte primär das Ziel, die Geburtshilfe im Edaga Hamus Community Hospital Asmara unter der Leitung von Dr. med. Kifleyesus zu unterstützen bzw. das dortige medizinische Personal zu schulen und Ziele für weitere Einsätze festzulegen.
Im Edaga Hamus Community Hospital Asmara finden jährlich ca. 3.000-4.000 Entbindungen statt, die hauptsächlich von Hebammen, welche nicht selten männlich sind, betreut werden. Kaiserschnitte werden von den „Interns“ durchgeführt: Medizinstudenten, die im letzten Abschnitt ihres Studium unter anderem auch eine 3-monatige Rotation auf der Gynäkologie und Geburtshilfe absolvieren müssen, bevor sie als „General Practioners“ (GPs) in die peripheren Gesundheitszentren geschickt werden, um dort die fächerübergreifende Basisversorgung zu gewährleisten. Nach 2–3 Jahren kehren sie nach Asmara zurück, um entweder hier oder im Ausland eine weiterführende Facharztausbildung zu absolvieren.
Der einzige gynäkologische Facharzt im Edaga Hamus Community Hospital Asmara, Dr. Kifleyesus, ist allseits bemüht, die Interns in ihrer 3-monatigen Rotation bestmöglich auf die Geburtshilfe in den peripheren Gesundheitseinrichtungen vorzubereiten: Dort gibt es zumeist sehr begrenzte Möglichkeiten der Behandlung von Komplikationen oder Notfällen, da zum einen meist nur ein Intern als einziger Arzt vor Ort ist und die personellen und materiellen Ressourcen begrenzt sind.
In ganz Eritrea gab es lt. einer Bestandaufnahme im Jahr 2011 elf Krankenhäuser, die die Kriterien für ein Zentrum, das eine umfassende geburtshilfliche Notfall- und Neugeborenenversorgung anbietet, erfüllen: Möglichkeit der i. v. Verabreichung von Antibiotika, Vorhandensein von Uterotonika (z. B. Oxytocin), Verfügbarkeit von Antikonvulsiva, Möglichkeit der manuellen Plazentalösung, Möglichkeit der operativen Entfernung von Residua, Verabreichung und Verfügbarkeit von Blutkonserven, Möglichkeit einer vaginaloperativen Geburt und eines Kaiserschnitts.6
Während unseres Einsatzes führten wir gemeinsam mit den Interns geplante Kaiserschnitte durch und unterstützten parallel die ambulante Schwangerenvorsorge, indem wir die Interns auf die Basisultraschall-Untersuchungen und die vorhanden Ultraschallgeräte einschulten. Parallel dazu betreuen die Midwives die Wochenbettstation, Frauen in der Eröffnungsperiode und die Geburten. Falls sub partu ein Kaiserschnitt notwendig werden sollte, wird dieser bis 16.00 Uhr von der anwesenden Interns durchgeführt. Alle Kaiserschnitte, sekundäre sowie Notkaiserschnitte, werden in Spinalanästhesie durchgeführt. Nach 16.00 Uhr sind dann nur noch Midwives anwesend, sodass alle eventuell notwendigen Kaiserschnitte und Notfälle an das Orotta Maternity Hospital überstellt werden müssen.
Im Orotta Maternity Hospital stellt das einzige Tertiärzentrum des Landes dar und hier gibt es deutlich mehr medizinisches Fachpersonal. Auch hier sind primär die Interns und die Midwives für das Kreiszimmer, die Wochenbett- und die Schwangerenstation zuständig, wobei hier immer auch noch zusätzlich ein Medical Officer (MO) anwesend ist, welcher zwar kein gynäkologischer Facharzt ist, aber schon länger im Bereich der Gynäkologie und Geburtshilfe arbeitet. Hier ist der Umsatz an Patientinnen deutlich höher, da es hier jährlich zu ca. 8.000 Geburten kommt und die Kaiserschnittrate weit unter 10 % liegt.
Sobald der Muttermund der Gebärenden vollständig eröffnet ist, kommen sie in beiden Krankenhäusern in den Entbindungsraum und werden dort weiter betreut. CTG-Geräte gibt es nur ein einziges im Orotta Maternity Hospital, welches kaum verwendet wird, da zumeist Pinard’sche Hörrohre zur Überwachung des Feten sub partu in nicht ganz regelmäßigen Intervallen zum Einsatz kommen.
Handvakuums (KIWIs) sind in beiden Krankenhäusern vorhanden, werden jedoch sehr selten eingesetzt, da das Personal wenig Erfahrung damit hat.
Durch den Einsatz der Mitglieder der NGO For-Eritrea e.V. (Medical Support in Partnership) hat sich aufgrund der unzähligen Einsätze vor Ort bereits viel verbessert und es wurden Neuigkeiten implementiert – nicht zuletzt wurden zwei Laparoskopie-Einheiten von Storz gekauft und die Mitarbeiter darauf eingeschult, damit es die Möglichkeit einer Laparoskopie vor Ort gibt. Trotzdem sieht man sich in einem Entwicklungsland wie Eritrea mit Problemen konfrontiert, die einem als Mitteleuropäer am Anfang völlig fremd sind, wie zum Beispiel der fehlende Zugang zu fließendem Wasser im größten Kreißsaal des Landes oder dem Fehlen von den für uns als selbstverständlich erachteten Dingen wie Analgetika unter der Geburt oder einem zeitnahen Krankentransport für Notfälle.
Der Aufenthalt in Asmara war eine der lehrreichsten, schönsten und zugleich intensivsten Erfahrungen meines Lebens. Wenn die Grenzen in Eritrea, welche derzeit aufgrund der COVID-19 -Situation auch für NGO-Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen geschlossen sind, wieder geöffnet werden, werden wir bald wieder zu einem Einsatz aufbrechen und versuchen, in diesem wunderschönen Land mit seinen gastfreundlichen und allzeit hilfsbereiten Leuten die Geburtshilfe ein wenig sicherer zu machen.