Warum ringen gerade Ärzte so sehr um Wertschätzung – und warum stößt das so oft auf Unverständnis?
Gesundheitsökonomie verteidigt ihre Position mit dem Argument, Ressourcen Vernunft-orientiert einsetzen zu müssen. Ausgangspunkt ist die grundsätzliche (und gewollte!) Beschränktheit von Ressourcen und der ethische Auftrag, zum Wohle der Gesellschaft die Mitteln „vernünftig“ einzusetzen. Bereits im Ansatz erkennt man eine Degradierung und Verformung medizinischen Handelns zur messbaren und kontrollierbaren Dienstleistung, die sich dem wirtschaftlichen Denken und den Zielen der Effizienzsteigerung unterzuordnen hat. In manchen Bereichen der Medizin wird diese Herangehensweise ihren Zweck erfüllen. Screeninguntersuchungen und Impfprogramme beispielsweise eignen sich hervorragend, gesundheitsökonomisches Denken zu stärken und zu untermauern. Die genannten Beispiele lassen aber auch per definitionem das Individuum links liegen und fokussieren das Gemeinwohl.
Das Konzept einer Ordination oder einer Ambulanz ist jedoch diametral anders. Ein Setting, ein Patient, ein Individuum machen die maßgeschneiderte Therapie zu einem nicht planbaren Prozess und der Ausgang ist immer einzigartig und einmalig wie ein Schachspiel. Die wahrhafte Qualität medizinischen Handelns ist zweifellos das situativ angepasste Engagement in einem Zwei-Personen-Setting mit dem Fokus auf die Unverwechselbarkeit des individuellen Menschen gerichtet, und das ist nur bedingt käuflich.
Das Ergebnis ist für Außenstehende nicht messbar, für die Akteure sehr wohl! Fließbandarbeit in der Praxis ist nicht in der Lage, Patientenzufriedenheit zu generieren. Dieses Statement ist wichtig, um das Phänomen der Wertschätzung medizinischer Arbeit zu begreifen. Patientenzufriedenheit ist das erklärte Ziel und das einzig sinnvolle Ergebnis des „Zuhörens“ und „Behandelns“. So wird auch klar, dass diese „Beziehung“, wie sie oft tituliert wird, auch sehr viel mehr Beziehungsmustern folgt als Produktionsmustern.
Diese Beziehung verlangt nach zwischenmenschlicher Kommunikation und wird zutiefst verletzt, wenn sie diese nicht bekommt! In diesem Dilemma und Spannungsfeld ringen alle um das kostbarste Beziehungsgut: „Zeit“.
Eine dramatische Folge der zunehmenden Ökonomisierung ist der Verlust zeitlicher Ressourcen, „Arbeitsverdichtung“ – wie das heute genannt wird –, produktionstechnisch dem immer schneller laufenden Fließband entsprechend, und in weiterer Konsequenz nimmt Patientenunzufriedenheit zu und die eigene Zufriedenheit ab.
Die Wertschätzung kennt viele Währungen und materielle Kompensationen täuschen manchmal über Mankos hinweg. Nur zufriedene und gut behandelte Patienten können einem Arzt die Wertschätzung entgegenbringen, die er braucht, um sinnerfüllt arbeiten zu können.
Sind es wirklich nur die Ärzte, die fehlende Wertschätzung besonders trifft?
Nein! Auch Ehefrauen, Ehemänner, Kinder, pädagogische Berufe und all jene, die grundsätzlich mehr machen, als sie machen müssten, mehr geben, als sie geben müssten, eben mehr als das Notwendige (messbare) freiwillig und gerne zu leisten bereit sind, brauchen Wertschätzung als wichtigste Lebensressource. Minimalistische Medizin ist genauso wie minimalistische Paarbeziehung zum Scheitern verurteilt. Selbstverständliche Großzügigkeit ist eine Conditio sine qua non, die in einem von Zeitknappheit dominiertem Setting nur mehr von selbstlosen Idealisten geliefert werden kann. In Analogie kann dieser Minimalismus auch nur mehr von selbstlosen oder auch machtlos ohnmächtigen Patienten hingenommen werden. In bedrohlich zunehmendem Ausmaß versuchen alle anderen (Ärzte und Patienten) zu Recht, aus diesem System auszusteigen, um dem eigentlichen Kern der Medizin Rechnung zu tragen.
Mit kollegialen Grüßen, Dr. Michael Elnekheli
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• Seite des BÖG • GA 03|2016 • 30.06.2016