2015 wurde die „neue Ausbildungsordnung“ eingeführt, mit einer verpflichtenden Lehrpraxis von 6 Monaten für die Ausbildung Allgemeinmedizin, die auf den Turnus im Spital folgt. Wir sprachen mit einer Turnusärztin über ihren Turnus, wie sie diesen erlebte und welche Vor- und Nachteile sich durch die neue Regelung ergaben.
Fast alle jungen Turnusärzte treten allerdings noch vor Beginn dieser Lehrpraxis zur Prüfung zum Arzt für Allgemeinmedizin an – nicht danach. Diese Möglichkeit wurde auf Wunsch der Turnusärztevertreter eingeführt, damit man, wenn man einmal die Prüfung nicht besteht, trotzdem weiter angestellt bleiben kann. Der offenkundige Nachteil dieser Regelung: Die Prüfungsfragen sind in diesem Stadium der Ausbildung abstrakt, da die Kandidaten noch keine Gelegenheit hatten, den allgemeinmedizinischen Praxisalltag kennenzulernen. Die Durchfallquote ist leider insgesamt noch immer deutlich höher als jene bei den Facharztprüfungen, freilich auch mit regionalen Unterschieden.
Wir haben eine Turnusärztin befragt, wie sie ihren Turnus in einem Wiener Spital erlebte und beurteilt.
Anfangs war es nicht leicht, überhaupt eine Turnusarztstelle in Wien zu bekommen. Als es dann endlich klappte, war mein erster Plan, mich in einer Fachrichtung zu spezialisieren.
Vom eigenen Studium her empfand ich damals die Allgemeinmedizin als sehr wenig bis gar nicht vertreten, und ich konnte mir daher auch kein besonders genaues Bild von dieser Art der Arbeit machen. Unter meinen Kollegen war das ähnlich: Wurde zu Beginn jungen Turnusärzten die Frage gestellt, wer Allgemeinmedizin machen will, deklarierten sich nur wenige, vielleicht 3 %. Der vorwiegende Grund dafür war das geringere Ansehen der Allgemeinmedizin gegenüber dem Fach.
Jedes Mal, wenn man an einer Abteilung neu beginnt, muss man sich neu beweisen, das kostet einige Anstrengung. Ich konnte auch beobachten, dass man als Turnusarzt, der Allgemeinmediziner werden möchte, nie so sehr als Teammitglied akzeptiert wird wie der Assistenzarzt, der sich für ein Fach interessiert.
Besonders frustrierend war von Beginn an, dass die Gestaltung der Grundausbildung ganz in der Entscheidung des Hauses lag. Die Einteilung der Rota erfolgte ausnahmslos von nichtärztlichem Personal. Primär wurden Lücken gefüllt, es gab auch Fälle, wo man nach einem Monat schon rotieren musste. Manchmal musste man schon recht früh Nachtdienste machen, ohne Rücksichtnahme auf Wissensstand oder Fähigkeiten. So landete eine Kollegin mit mangelnden Deutschkenntnissen an einer Abteilung, die mit ihr nichts anfangen konnte. Sie war eindeutig überfordert; hätte sie an der anderen Abteilung zuerst einen Platz bekommen, hätte sie eine Chance gehabt.
Wie findet die Lehre statt?
Bei der gemeinsamen Morgenbesprechung bzw. Dienstübergabe werden die neuen Fälle vorgestellt. Ansonsten wird die direkte Lehre nicht von den Oberärzten, sondern von Assistenzärzten übernommen − die nächsthöhere Stufe in der Ausbildung, so war es immer im Spital: Der Famulant wurde vom Studierenden im klinisch praktischen Jahr instruiert, der „KPJler“ vom Turnusarzt und der Turnusarzt vom Assistenzarzt.
Einmal pro Woche gab es auf den meisten Abteilungen eine kurze Fortbildung, die wiederum von den Assistenzärzten gestaltet wurde. Diese waren auch sehr bemüht, diese Fortbildungen stattfinden zu lassen. Während Corona war das schwieriger; es wurde vielfach auf online umgestellt.
Als Turnusarzt selbst Verantwortung zu übernehmen, geht in unserem System schlecht. Generell wird auch kein Therapievorschlag von Seiten der Turnusärzte erwartet. Da entsteht schon eine gewisse Angst, ob man jemals die Kompetenz erlangt, allein entscheiden zu können.
Im angloamerikanischen System, das ich selbst kennenlernen durfte, ist das prinzipiell anders: Dort ist die Lehre fixer Bestandteil der ärztlichen Tätigkeit. Ich konnte sehen, mit welcher Freude der Leitende Oberarzt seinen Lehrauftrag durchführte. Dieser verteilte zunächst die einfachen Fälle an die einzelnen Turnusärzte. Ich selbst wurde beispielsweise vom Oberarzt gefragt, ob meine Art der Präsentation des Patienten in Österreich üblich sei und warum ich denn eine Blutabnahme bei Kopfschmerzen vorschlage. Ein älterer Arzt, ein Pulmologe, nahm mich gleichsam an die Hand und trug mir auf, ich solle mir über 2 Wochen ein EKG anschauen, das man dann gemeinsam besprechen würde.
Gab es in Wien positive Beispiele?
Gut fand ich an einer Abteilung die Zuteilung des Turnusarztes zu einem Krankenzimmer mit mehreren Patienten. Natürlich ist die Anforderung zu hoch, aber man ist gezwungen, selbst zu überlegen. Letztendlich nützt einem das in den Nachtdiensten. Wenn ein Assistenzarzt direkt einem Turnusarzt zugeteilt wird („Buddy-System“), lernt man auch mehr.
Welche anderen Faktoren hast du als unterstützend, welche als hinderlich erlebt?
Wird man als Turnusarzt als Teil eines Teams betrachtet, lernt man automatisch auch mehr. Dass die Turnusärzte untereinander zusammenhalten, ist ebenfalls wichtig. Zum Beispiel gibt es dann immer Zeit für die Mittagspause, weil man sich abwechseln kann. Negativ auf die Lehre wirkte sich an einer Abteilung ein deutlich wahrnehmbares Konkurrenzdenken unter Assistenzärzten aus − diese hatten in der Folge keine Zeit für die Turnusärzte. Viel lernt man im Nachtdienst. Ist man da allein mit der Schwester, hilft es sehr, wenn man jederzeit den diensthabenden Oberarzt anrufen darf, der noch dazu nicht weit weg ist, sondern im Nebenzimmer.
Wie ist es gegenwärtig um das Erlernen der alltäglichen ärztlichen Fertigkeiten bestellt?
Es ist schon richtig, die „Alten“, so wie ich, haben noch diese ganzen Fertigkeiten erlernt, weil die Schwestern das damals noch nicht so übernommen hatten: Blut abnehmen, einen intravenösen Zugang setzen, eine vorbereitete Infusion anhängen − ich habe allerdings noch nie eine Infusion selbst zusammengemischt. Bei den „Jungen“, die gerade erst beginnen, liegt es vor allem am persönlichen Engagement während deren Famulatur, ob sie diese Fertigkeiten gut erlernen.
Welche Verbesserungen wären wünschenswert?
Besonders wichtig wäre es, die Lehre fix im Dienstvertrag der Oberärzte zu verankern − zum Beispiel: 10 % der Zeit ist der Lehre zu widmen. Momentan ist das nicht der Fall, es fehlen die monetäre Anerkennung und auch die Zeit. Die Lehre ist derzeit kein Kernbestandteil der (ober-)ärztlichen Tätigkeit.
Für die Ausbildung zum Allgemeinmediziner fehlt der Allgemeinmediziner als Mentor im Krankenhaus. Die Fachärzte haben wenig Ahnung von der allgemeinmedizinischen Praxis. Dabei gibt es bereits den Allgemeinmediziner im Krankenhaus: Die Stationsärzte, die könnten Mentor spielen. Die kennen den Hausbrauch. Die bräuchten einen Lehrauftrag.
Was hältst du vom Modell „Salzburger Initiative Allgemeinmedizin (SIA)“, im Rahmen derer junge Kollegen begleitend zu ihrer Ausbildung im Spital einen Hausarzt als Mentor zur Seite gestellt bekommen?
Ja, das wäre in jedem Fall gut.
Einen Rat, den du jungen Kollegen geben würdest?
Unbedingt versuchen, so viel Zeit wie möglich in den Ambulanzen eingeteilt zu sein. Das meiste lernt man nämlich genau dort.
Wie wäre es, wenn die Lehrpraxis ganz am Anfang des Turnus stünde?
Ich selbst kann mir das nicht vorstellen und glaube auch nicht, dass man unmittelbar nach dem Studium bereits die dafür notwendige Kompetenz hätte.
Wie siehst du jetzt deine eigene Zukunft?
Mittlerweile bin ich zu dem Schluss gekommen, dass die Allgemeinmedizin schon Perspektive hat. Bestärkt in dieser Richtung haben mich auch Berichte von Assistenzärztinnen, die in einem Fach begonnen haben und dann enttäuscht waren, weil es ihnen zu einseitig erschien, und die planen, stattdessen in die Allgemeinmedizin zu gehen.
Auch jetzt, wo mir nur mehr weniger als ein Jahr im Krankenhaus fehlt, erlebe ich es immer wieder, dass ich nach meinen Karrierewünschen gefragt werde. Mittlerweile antworte ich, dass ich in die Allgemeinmedizin möchte. Die Reaktionen, nachdem man die Pandemie erfahren hat, sind: Ja, Allgemeinmediziner brauchen wir tatsächlich. Und dann folgt ab und zu aber immer noch der gut gemeinte Tipp: Auf der internen Abteilung wird bald eine Stelle frei, du hast einen guten Eindruck hinterlassen und hättest daher Chancen − magst du dich nicht vielleicht doch für ein Fach bewerben?
Interview: Dr. Cornelia Croy
ÖGAM Österreichische Gesellschaft
für Allgemein und Familienmedizin