Das Interview führte Dr. Sebastian Pokorny
erschienen in ARZT & PRAXIS 9/2019
Foto: Oliver Miller-Aichholz
Im vergangenen Jahr übernahm Univ.-Prof. Dr. Heinz Burgmann die Professur für Innere Medizin mit Schwerpunkt Infektionen und Tropenmedizin an der Medizinischen Universität Wien und leitet seither auch die Klinische Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin (Universitätsklinik für Innere Medizin I, AKH Wien). Im Interview mit ARZT & PRAXIS resümiert er sein erstes Jahr und betont dabei die Wichtigkeit des verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika.
ARZT & PRAXIS: Herr Professor Burgmann, am 1. April 2018 sind Sie als Leiter der Klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin der Universitätsklinik für Innere Medizin I angetreten. Was war bzw. ist Ihre Zielsetzung? Was ist Ihr Resümee nach dem ersten Jahr?
Univ.-Prof. Dr. Heinz Burgmann: Mir ist es vor allem darum gegangen, neue Schwerpunkte zu setzen. Darunter fällt die klinisch-patientenorientierte, also die translationale Forschung, bei der Ergebnisse aus dem Labor direkt dem Patienten zugutekommen. Ein weiterer Schwerpunkt ist die State-of-the-Art- Standardisierung bei der Behandlung komplexer infektiologischer Erkrankungen, sprich, Patienten über einen längeren Zeitraum zu beobachten und vermehrt klinische Studien durchzuführen. Ich denke da beispielsweise an komplexe Erkrankungen wie Endokarditis und Osteomyelitis, da hier großteils nur Expertenmeinungen vorhanden sind und wenig klinische Evidenz.
Stichwort Trias Lehre – Klinik – Forschung: Wie gelingt es Ihnen, diese drei Säulen der universitären Arbeit zu verbinden, und wo gibt es hier direkte Überschneidungen?
Die patientenorientierte Lehre (Bedside Teaching) war schon unter Prof. Wolfgang Graninger ein wichtiger Schwerpunkt. Mir ist es ein Anliegen, dass klinische Infektiologie vermehrt im Curriculum abgebildet wird, insbesondere durch neue Medien wie Webambulanzen und Grand Rounds, denn Infektionserkrankungen spielen in fast allen klinischen Fächern eine Rolle. Durch unsere große Ambulanz und die Bettenstation können Studierende, sei es während der Famulatur oder im klinischpraktischen Jahr (KPJ), Diagnostik und Therapie direkt nachvollziehen. An unserer Abteilung behandeln wir ja eine sehr heterogene Patientenpopulation, bei der wir nicht allein infektiologische Erkrankungen beobachten, sondern verschiedene Organbeteiligungen sehen. Dieser Umstand ermöglicht einen sehr guten Überblick über interne Erkrankungen.
Seit 1. Mai 2019 gibt es auch eine unserer Abteilung zugeordnete Professur für Tropenmedizin (Anm.: Standort Gabun); hierdurch soll es zu einer Verstärkung im Forschungs- und Lehrbereich kommen. Für uns ist Tropenmedizin ein wesentliches Element in der Forschung und Lehre sowie insofern ein wichtiger Schwerpunkt, als er in anderen österreichischen Spitälern in der Ausbildung kaum abgebildet wird.
Wie steht es um die Rekrutierung und die Ausbildung neuer Kollegen?
Unsere Ausbildungsstellen sind alle besetzt, es würden gerne noch mehr Kollegen bei uns anfangen und wir würden gerne noch mehr ausbilden. Unsere Abteilung ist auch im KPJ sehr beliebt. Fort- und Ausbildung haben bei uns einen hohen Stellenwert, und sie werden sowohl den Studenten als auch Assistenzärzten geboten, auch aus anderen Fachbereichen.
In der Ausbildung ist mir einerseits wichtig, dass möglichst viele Kollegen über infektiologisches Wissen verfügen, andererseits brauchen wir natürlich auch Spezialisten, die in ihrer Konsiliartätigkeit antiinfektive Therapien unterstützen bzw. diese selbst durchführen. Einer der wichtigsten Punkte, mit denen ich angetreten bin, ist deshalb auch Vernetzung. Es braucht Kooperationen, damit wir möglichst rasch eine große Zahl kompetenter Infektiologen ausbilden können.
Welche konkreten Maßnahmen sind bereits etabliert bzw. erforderlich, um sowohl die Ausbildung als auch die Vernetzung weiter zu forcieren? Welche Weiterbildungsmöglichkeiten können Sie auch den niedergelassenen Kollegen empfehlen?
Wichtig ist, dass die Infektiologie bereits im Curriculum wesentlich stärker abgebildet wird, denn sie ist in allen klinischen Fachbereichen präsent. Es geht also darum, grundlegendes Wissen bereits im Studium zu vermitteln. Die infektiologische Expertise spielt vor allem bei komplexen Infektionen eine große Rolle. Wir wissen aus unterschiedlichen Publikationen, dass der Zugang zu dieser Expertise Leben rettet, den Outcome verbessert und letztlich auch Kosten im Gesundheitssystem reduziert. Ein Beispiel für zukünftige Vernetzung ist die Etablierung des Wiener Infektiologie Netzwerkes. Dabei soll eine umfassende infektiologische Expertise in den Wiener Krankenhäusern sichergestellt werden.
Derzeit wird ein infektiologisches Konzept auch für den niedergelassenen Bereich erarbeitet. Die Frage ist hier unter anderem, wie man Inhalte vermittelt, auch mithilfe digitaler Möglichkeiten. Das ist beispielswese mittels Webinaren oder der Bereitstellung von Standardvorgehensweisen möglich. Fort- und Weiterbildung sind aber nur ein kleiner Teil dieses Konzepts; wichtiger ist es, Strukturen und damit Nachhaltigkeit im System zu schaffen, das dann nicht von einzelnen Personen abhängig ist. Daneben ist auch der Zugang zu praxisrelevanter Information im niedergelassenen Bereich entscheidend. Hier ist die österreichische Initiative „Arznei & Vernunft“ zu nennen, die Richtlinien für die orale Therapie der häufigsten infektiologischen Krankheitsbilder anbietet. Nationale Leitlinien sind wichtig, da Resistenzlagen und verabreichte Therapien mitunter länderspezifisch sind, wie der jährlich veröffentlichte AURES-Bericht zeigt.
Antibiotikaresistenzen sind ein großes klinisches Problem. Welche Maßnahmen wären aus Ihrer Sicht wünschenswert, um diesem Problem zu begegnen? Braucht es ein Umdenken im Umgang mit Antibiotika?
Der verantwortungsbewusste Umgang mit Antibiotika ist ein Gebot der Stunde. Wir sehen, wie viele Resistenzen entstehen und welche Konsequenzen diese antimikrobiellen Resistenzen haben. Uns bleiben bald nicht mehr viele Therapiemöglichkeiten.
Deswegen war mir die Initiative zur Schaffung von Antibiotic-Stewardship- (ABS-)Teams ein wichtiges Anliegen. Diese interdisziplinären Teams, die sich aus klinischen Infektiologen, Mikrobiologen, Hygienikern, Apothekern und IT-Verantwortlichen zusammensetzen, sollen sicherstellen, dass Antibiotika im Spital richtig angewendet werden. Ziel ist ein strukturierter und, wie erwähnt, verantwortungsbewusster Umgang mit Antiinfektiva, nicht die vordergründig billigste Therapie zu finden, sondern die für den Patienten effektivste. Es soll Ansprechpartner an den einzelnen Abteilungen geben und der Antibiotikaverbrauch stationsbasiert erhoben werden. Hier ist eine wienweite Zusammenarbeit der Spitäler wichtig, aber auch der niedergelassene Bereich muss erfasst werden, denn dort werden über 60 % aller Antibiotika verabreicht.
Allgemeine Leitlinien sind wesentlich, denn oft wird tradiertes Wissen angewendet, das mit Evidenz nichts zu tun hat. Für spezielle Fragestellungen braucht es den Spezialisten. So bieten wir im AKH 24 Stunden am Tag eine infektiologische Konsiliarbetreuung, die Kollegen im Haus, aber auch auswärts bei komplexen infektiologischen Fragestellungen behilflich ist.
Hatte die Neubewertung der Fluorchinolone durch die EMA Einfluss auf Ihre klinische Praxis?
Chinolone wurden millionenfach und auch sehr erfolgreich angewendet. Bei ihrer Beurteilung muss man natürlich auch jene Patienten anführen, die durch Fluorchinolone gerettet wurden. Allerdings ist die Entstehung multiresistenter Erreger wie C. difficile und MRSA ein Vorgang, der eng mit der breiten Anwendung von Chinolonen in Zusammenhang steht. Es sind auch dramatische Nebenwirkungen bekannt geworden, die bei Patienten unter anderem zu massiven Beschwerden in Sehnen und Gelenken geführt haben. Wichtig ist daher, über Alternativen zu Chinolonen, aber auch ihre Indikationen zu informieren. Ja, wir wollen die Gabe von Chinolonen weiter einschränken, haben aber auch schon vor der Warnung durch die EMA darauf hingewiesen, dass diese viel zu breit verabreicht werden.
Aus aktuellem Anlass: Wie stehen Sie (persönlich) zu einer (Masern-)Impfpflicht?
Die Frage der Impfpflicht ist immer schwierig. Hier kommt es auf die Auswirkung der Krankheit auf das Umfeld an. Ist der Kontagionsindex hoch, also die Ansteckungsgefahr groß, ist es unverantwortlich, sich nicht impfen zu lassen. Bei Masern ist es also beinahe eine staatsbürgerliche Pflicht. Denn es gibt Mitbürger, die sich nicht impfen lassen können oder die keinen Impfschutz entwickeln. Impfungen, die primär dem persönlichen Schutz dienen, würde ich allerdings nicht unter eine Impfpflicht stellen. Hier ist eine gute Aufklärung wohl das geeignetere Mittel, denn Pflicht erzeugt oft auch einen gewissen Gegendruck. Durch ehrliche Aufklärung und Offenheit können Impfkritiker vielleicht erreicht und höhere Durchimpfungsraten erzeugt werden. So ist es z. B. bei der Grippeimpfung wichtig, zu erklären, dass es hier nicht um einen hundertprozentigen Schutz geht, sondern um eine Risikoreduktion. Im Gesundheitsbereich ist eine Impfpflicht zu diskutieren. Dabei geht es einerseits um den Schutz unserer Patienten, andererseits aber auch den der Mitarbeiter, die in einem Hochrisikobereich arbeiten.
Wo sehen Sie neben der schon angesprochenen antimikrobiellen Resistenzlage die Herausforderungen für die Zukunft bzw. wo liegen die Innovationen in der Infektiologie?
Wenn wir gegen die antimikrobiellen Resistenzen nichts unternehmen, dann sind viele neue Therapieformen bald nicht mehr möglich, insbesondere im Bereich der Malignomtherapie, der Neonatologie oder der Transplantationschirurgie. Die relativ gute Beherrschbarkeit der Infektionskrankheiten hat hier vielleicht auch dazu beigetragen, dass die Infektiologie ein bisschen vernachlässigt worden ist. Ich glaube auch, dass die Digitalisierung eine extrem wichtige Rolle spielen wird. Wir sehen das jetzt schon beispielsweise in der Mikrobiologie, wo die Labors immer menschenleerer werden, viele Automatismen ablaufen und dann die Ergebnisse von Experten interpretiert werden. Vor allem dort, wo Infektiologie Konsiliartätigkeit ist, bietet sie sich als Telemedizin an. Die schnellere, umfangreichere Diagnostik erfordert auch mehr Expertise, und diese kann man durch die technischen Neuerungen tatsächlich rund um die Uhr anbieten.
Auch individualisierte Medizin und Präzisionsmedizin sind Themen: Warum hat gerade dieser Patient jene Krankheit? Warum kommt es bei einem Patienten nur zu einer Kolonisation mit Meningokokken und der andere stirbt innerhalb kurzer Zeit daran? Vielleicht ist es bald gar nicht mehr notwendig, ein Antibiotikum zu verabreichen, das viele verschiedene Bakterien abtötet, sondern es wird möglich sein, gezielt dieses Bakterium oder einen bestimmten Rezeptor zu behandeln.
Relevant ist nicht zuletzt die Entwicklung neuer Antibiotika bzw. Therapieansätze. Die meisten aktuell eingesetzten Antibiotika stammen von terrestrischen Pilzen. Man findet aber z. B. auch auf Korallen, die ja zwingend standorttreu sind, antivirale und -biotische Substanzen, die therapeutisch eine Rolle spielen könnten.