Foto: Shutterstock/BlurryMe
Die von der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) organisierte Veranstaltung „Dr. Digi Rob – der bessere Arzt“ befasste sich mit der digitalen Arztkonsultation am Beispiel der Schweiz, mit algorithmenunterstützter Diagnostik und menschlicher Freude.
Redaktion: Sophie Niedenzu
Via App können Patienten medizinisch relevante Dokumente hochladen, auf einen digitalen Behandlungsplan zugreifen und Telekonsultationen online buchen. Medizinische Servicezentren, die sogenannten Telekliniken, sind durchgehend per Telefon oder Video erreichbar. Ärzte diagnostizieren digital und stellen bei Bedarf Rezepte aus, bei notwendigen Zusatzuntersuchungen werden die Patienten an sogenannte Minikliniken weitervermittelt. Dort führt das medizinische Hilfspersonal weitere Tests durch, ein Allgemeinmediziner oder Facharzt wird für die Analyse der Testergebnisse virtuell zugeschaltet. Patienten, die weder durch Telekonsultationen noch über Miniklinken behandelt werden können, werden an niedergelasse Ärzte oder Partnerkliniken vermittelt. So funktioniert die Telemedizin über das Schweizer Unternehmen Medgate. Mit 300 Angestellten gehört die Firma zu einem der größten Anbieter im Bereich der Telemedizin: Täglich werden bis zu 5.000 Patienten aus der Entfernung medizinisch betreut. Um Kosten zu sparen, werden die Nachtdienste nicht in der Schweiz durchgeführt – jene Ärzte, die in der Nacht arbeiten, sitzen nämlich in Australien und arbeiten so aufgrund der Zeitverschiebung untertags. „Das ist deutlich günstiger als die Nachtdienst-Zuschläge für Ärzte in der Schweiz zu zahlen“, sagte der Geschäftsführer von Medgate, Andy Fischer im Rahmen der Veranstaltung „Dr. Digi Rob – Der bessere Arzt?“, die dem Thema Digitalisierung in der Medizin gewidmet war.
Medgate hat neben der Schweiz noch Niederlassungen in Abu Dhabi, Australien, Indien, auf den Philippinen und in der Slowakei. Mit Hilfe der Telemedizin werden 50 Prozent der Patienten behandelt, die andere Hälfe wird an niedergelasse Ärzte und Kliniken überwiesen. Insgesamt werden, so Fischer, 40 Prozent an Kosten gespart. Die vorgeschaltete telemedizinische Behandlung ist in der Schweiz für manche Versicherte – abhängig von der Krankenversicherung – Pflicht. Etwa 20 bis 25 Prozent der telemedizinischen Patientenfälle sind pädiatrisch, daher gelten Familien als erste Zielgruppe von Medgate. In den vergangenen Jahren hätten außerdem vermehrt auch ältere Frauen im Alter zwischen 55 und 65 digitale Arztbesuche genutzt.
Und die Digitalisierung schreitet voran: Gemeinsam mit IBM wurde ein intelligentes textbasiertes Dialogsystem entwickelt. Ab 2019 übernimmt daher ein Chatbot die medizinische Befragung, empfiehlt in akuten Fällen das Krankenhaus oder ermöglicht es zum Schluss der Befragung, ein Telefon- oder Videogespräch mit einem Arzt zu führen.
Telemedizin und künstliche Intelligenz werfen in der digitalisierten Medizin viele Fragen auf. Verdrängt etwa die Technik den Arzt? „Was der Computer nicht gelernt hat, kennt er nicht“, sagte Adolf Sonnleitner vom Linzer Software-Unternehmen „Mindbreeze“. Die „künstliche Intelligenz“ sei letztlich nichts anderes als „machine learning“, also das Füttern des Computers mit Daten, damit dieser daraus lernt. Neben den digitalen Sprachverständnisprogrammen Alexa oder Siri wurde auch der Computer „Hydra“ vor 13 Jahren berühmt: Der Rechner besiegte den Schachspieler Michael Adams.
Beispiele für Algorithmen, die in der medizinischen Diagnostik eine Rolle spielen, gibt es viele. In der heuer im Journal „Annuals of oncology“ erschienenen Studie „Man against machine“, hatten Wissenschaftler aus Deutschland, den USA und Frankreich einen Computer mit 100.000 Bildern gefüttert, damit dieser lernte, maligne Melanome von benignen zu unterscheiden. Im Anschluss analysierten sowohl der Computer als auch 58 Dermatologen 100 Bilder im Hinblick auf maligne Melanome. Das Resultat: Das Computerprogramm stellte häufiger die richtige Diagnose, nämlich in 95 Prozent der Fälle, wohingegen die Dermatologen im Durchschnitt 86,6 Prozent richtig diagnostizierten. Laut den Studienautoren schnitten die Ärzte jedoch besser ab, sobald sie mehr Informationen über die Patienten bekamen. In ihrer Conclusio betonten die Studienautoren, dass es keine Daten mit einer größeren Anzahl von Dermatologen gebe. Ein weiteres Beispiel der computerunterstützten Medizin sei der Pathologe Thomas Fuchs vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center. Gemeinsam mit seinem Team digitalisiert er regelmäßig Zell- und Gewebepräparate für eine algorithmengestützte pathologische Analyse.
Karl Forstner, Präsident der Ärztekammer Salzburg und Referatsleiter Telemedizin der ÖÄK, hielt in seinem Vortrag fest, dass eine allgemeine digitale Infrastruktur unverzichtbar sei, betonte allerdings auch die ethische Verantwortung der Ärzte: „Es werden weiterhin Zeit und Raum benötigt, damit sich Ärzte mit den Patienten auseinandersetzen“, sagte Forstner.
Und auch der Philosoph Konrad Paul Liessmann brachte den menschlichen Aspekt in die Diskussion: Solle denn der Mensch überall ersetzt werden, wo Algorithmen agieren können und daher auf menschliche Tätigkeiten verzichtet werden, die grundsätzlich gerne gemacht werden – um kosteneffizient zu agieren? Ein Beispiel: „Niemand hat sich trotz dieser Schachspiel-App die Freude nehmen lassen, gegen andere Menschen Schach zu spielen“, sagte Liessmann. Außerdem betonte er die Gefahr der Verlockung, gesammelte Daten wie Patientendaten, miteinander zu vernetzen.
Mit Hinblick auf den technischen Fortschritt wagte Liessmann eine Prognose, wonach die Telemedizin in fünf bis zehn Jahren verschwunden sei – und erhielt in der abschließenden Podiumsdiskussion Zuspruch durch Fischer. „Deshalb arbeiten wir bereits an neuen Ideen im Bereich der automatisierten Medizin“, sagte Fischer. (Sophie Niedenzu, 20.11.2018)