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An der Spanischen Grippe verstarben 50 bis 100 Millionen Menschen. Der Medizinhistoriker Harald Salfellner hat zum 100. Gedenkjahr eine ausführliche Dokumentation der Virusinfektion während des ersten Weltkriegs 1918 publiziert.
Von: Sophie Niedenzu
Frederick Trump starb am 30. Mai 1918 an den Folgen einer Lungenentzündung. Der Großvater des aktuellen US-Präsidenten Donald Trump gilt als eines der frühen Opfer der Spanischen Grippe. Unter den zahlreichen Verstorbenen waren auch Egon Schiele und seine damals schwangere Frau, Edith Schiele. Auch Franz Kafka zählte zu den Betroffenen – er überstand jedoch die Erkrankung und starb sechs Jahre später an den Folgen einer Tuberkulose.
Die Spanische Grippe war die verheerendste Seuche des vergangenen Jahrhunderts. Die Ursache dieser Pandemie, die vor 100 Jahren, gegen Ende des ersten Weltkriegs, für rund 50 Millionen – manche sprechen von bis zu 100 Millionen – Menschen tödlich verlief, war ein virulenten Abkömmling des Influenzavirus mit dem Subtyp A/H1N1. Zum Vergleich: Im Ersten Weltkrieg fielen insgesamt 9,5 Millionen Soldaten.
Der Medizinhistoriker Harald Salfellner hat in seinem Buch „Die Spanische Grippe – eine Geschichte der Pandemie von 1918“ den Verlauf der Pandemie mit zahlreichen Fotos, Zitaten und Alltagsberichten ausführlich dokumentiert. Die Krankenberichte, die der Autor regelmäßig in seinem Werk zitiert, berichten von auftretenden Kopfschmerzen und starkem Fieber als erste Symptome bei den Patienten, gefolgt von Atemproblemen und Blaufärbung des Gesichts. Viele ärztliche Berichte enden nach zehn bis 15 Tagen mit dem Wort „Exitus“.
Der Großteil der tödlichen Verläufe lässt sich auf Lungenentzündungen zurückführen, manche Grippefälle führten zur akuten Sepsis, bevor sich eine Lungenentzündung manifestieren konnte. Ein wesentliches Merkmal der Spanischen Grippe sei die hämorrhagische Neigung, die sich etwa im häufigen Nasenbluten zeigte, schreibt der Autor. Eine weitere Besonderheit im Vergleich zur saisonalen Influenza ist die betroffene Patientengruppe. An der Spanischen Grippe starben nämlich viele junge Erwachsene im Alter zwischen 15 und 40 Jahren: „Trotz kühner Hypothesen ist bis heute nicht verbindlich geklärt, warum die „Spanierin“ gerade die Kräftigsten in der Blüte ihrer Jugend aus dem Leben reißt“, so der Mediziner in seinem Buch.
Im Jahr der Spanischen Grippe, 1918, gab es noch keine Schutzimpfung. Erkrankten wurde, so Salfellner, folgendes geraten: eine körperliche Schonung, das Vermeiden von Überarbeitung, Mangelernährung und psychischer Belastungen, tiefes Atmen in frischer Luft, um die Lunge zu stärken.
Um Infektionen überhaupt zu vermeiden, wurde die Bevölkerung für eine bessere Hygiene sensibilisiert. Empfohlen wurde zudem eine gründliche Desinfektion: Hypermangan für Mund- und Rachenspülungen, Mentholsalizylsalbe für die Nase, Inhalationen mit zerstäubten Wirkstoffen wie Eukalyptusöl, Kreolin, Kampfer oder Pfefferminzöl: „In Reklameeinschaltung wird neben dem allgemein verbreiteten Borwasser zum Gurgeln das Formaldehytpräparat Lysoform als wirksames Desinfiziens beworben“, dokumentiert Salfellner in seinem Werk.
Andere wiederum setzten auf Alkohol: „Im Grenzbereich zwischen ärztlicher Heilkunde und Volksmedizin, aber auch zwischen Prophylaxe und Therapie erfreuen sich alkoholische Getränke steigenden Zuspruchs, wobei die Influenza je nach Landessitte mit Rum(tee), Grog, Glühwein oder Medical-Cognac begossen wird. In England gibt es ab Dezember 1918 sogar Whisky auf Rezept.“ Außerdem wurde zur medikamentösen Infektionsprävention von einigen Ärzten Chinin empfohlen, als eines der zentralsten Arzneimittel gegen die Spanische Grippe wurde Aspirin eingesetzt.
Bei komplizierteren Patientenfällen wurde zu folgenden Mitteln gegriffen: „Ist in schweren Fällen eine stark sedative und antineuralgische Wirkung erwünscht, greifen die Ärzte des Jahres 1918 beherzt zu Substanzen wie Opium, Morphium, Heroin oder Kokain. Noch steht man diesen Drogen mit geradezu erstaunlicher Blauäugigkeit gegenüber. Gegen den lästigen, oft quälenden Reizhusten stehen narkotisierende und anästhesierende Hustenmittel parat, wie Kodein, das subkutan injizierbare Opium-Extrakt Pantopon oder Glyzerinanpräparate zur Inhalation. Als Expektorantien werden Kampferbenzoe, Eukalyptusöl oder Ipecacuanhapulver verschrieben“
Salfellner beschreibt in seiner Chronologie außerdem, dass manche Ärzte „große, aber letztlich vergebliche Hoffnungen“ in spezifisch wirksame Chemotherapeutika wie Neosalvarsan setzten. Weit verbreitet sei auch der Aderlass gewesen, um bei drohenden Lungenödemen das Herz zu entlasten – manche Vertreter dieser Behandlung empfahlen, die Venen mit dem Skalpell zu öffnen.
Die Versorgung der zivilen Bevölkerung gestaltete sich aufgrund des ersten Weltkriegs als kein einfaches Unterfangen: viele wurden für die militärärztliche Versorgung eingesetzt, andere starben selbst an den Folgen der Spanischen Grippe: Allein in Österreich-Ungarn beziffert Salfellner die Zahl auf mehrere hundert. Neben genügend Ärzten fehlte es auch an genügend Medikamenten und den notwendigen Verkehrsmitteln für entsprechende Patientenbesuche. Die Rekruten indes wurden routinemäßig mit Abführmitteln behandelt.
Lange Zeit nach Ende der Spanischen Grippe gelang es schließlich dem amerikanischen Mikrobiologen Jeffery Taubenberger nach zehn Jahren Forschungsarbeit, die RNA aller acht Gene des Pandemievirus zu rekonstruieren. Das Ergebnis wurde 2005 in Science publiziert und von The Lancet zum „Paper of the Year“ gekürt: „Mit Taubenbergers Sequenzierungen können zahlreiche Rätsel um die -Spanische Grippe gelöst werden, viele Fragen aber bleiben weiter offen, etwa jene, warum der Pandemievirus gerade junge Menschen dahinraffte“, resümiert Salfellner. (Sophie Niedenzu, 21.12.2018)