Ärztepräsident überrascht

Damit haben im vergangenen Herbst wohl nur wenige gerechnet: Der neue Chef der Wiener Ärztekammer ist der alte: Thomas Szekeres ging aus dem komplexen Wahlreigen der Ärztekammer noch vor dem Sommer als neuer Präsident hervor. „Damit hat er das Kunststück vollbracht, zum zweiten Mal eine Ärztekammerwahl nicht zu gewinnen und trotzdem als Sieger hervorzugehen“, kommentierten einige Medien nahezu wortgleich. Szekeres konnte bei der Wahl zwar Zugewinne verzeichnen, seine Liste blieb aber Nummer 2 hinter jener von Johannes Steinhart. Doch Szekeres gelang es nicht nur erneut, eine breite Koalition für seine Wiederwahl zu schmieden, er wiederholte das Kunststück wenige Wochen später auch im Hinblick auf die Wahl des Präsidenten der Österreichischen Ärztekammer. Damit übt nach der abgelaufenen Präsidentschaft des nicht mehr für das Amt kandidierenden Tirolers Artur Wechselberger auch wieder der Wiener Präsident das Amt des österreichweiten Ärztechefs aus.

Keine Scheu vor Konflikten

Der 55-jährige Szekeres war ab 2007 Vizepräsident der Wiener Ärztekammer. Dass mit ihm zu rechnen ist, wurde spätestens klar, als er als Betriebsrat im Wiener Allgemeinen Krankenhaus Proteste organisierte. 2015 legte er sich erneut mit der Wiener Stadtregierung an, verhandelte eine neue Arbeitszeitregelung und schaffte dann ein Husarenstück: Obwohl ihm die eigene Kurie nach den Verhandlungen die Gefolgschaft verweigerte, gelang es ihm, den Ball an die Stadt weiterzuspielen. Am Ende des Tages mussten – auch bedingt durch andere Streitigkeiten innerhalb der SPÖ – Stadträtin Sonja Wehsely und der Chef des Krankenanstaltenverbundes Udo Janßen den Hut nehmen, während sich Szekeres zum Ärztechef aufschwingen konnte. Im Laufe des vergangenen Jahres mutierte Szekeres wenig überraschend zum Feindbild im Rathaus. Und machte daraus einen gemeinsamen Gegner für die Ärzteschaft, die er wiederum auf ihre Werte einschwor.

Ärzte als Entschleuniger in einer Gesellschaft der Raserei

Auch in seiner Antrittsrede als Ärztekammerpräsident für Österreich erinnerte Szekeres an die drei Grundsätze des Hippokratischen Eides, der „uns Ärztinnen und Ärzte verpflichtet, ethisch zu handeln, sich dem Menschen zuzuwenden und unsere ganze Kraft darauf zu verwenden, Menschen zu heilen und Krankheiten zu lindern“. Ärztinnen und Ärzte müssten die Empathiker und Entschleuniger in einer Gesellschaft der Raserei sein, betonte Szekeres: „Heute ist die Beziehung zwischen Arzt und Patient vor allem durch den wachsenden ökonomischen Druck und die steigende Verrechtlichung gekennzeichnet. Die Ärzteschaft befindet sich täglich im Spannungsfeld zwischen ökonomischem Druck und ethischer Verpflichtung.“

Für eine Rehumanisierung der Medizin

Die Rahmenbedingungen zur Einhaltung dieser Verpflichtung müssten aber nach wie vor und unabhängig von der finanziellen Situation von Dienstgebern oder Krankenkassen zur Verfügung gestellt werden, fordert Szekeres und umreißt damit auch die Linie seiner Präsidentschaft. Die Aufgabe als Standesvertretung sieht Szekeres in der Rolle des Impulsgebers, die Basisaufgabe des Arztes wieder in den Vordergrund zu rücken, sich für eine Rehumanisierung der Medizin einzusetzen. Für ein System, das für den Bürger sozialgerecht und für den Arzt leistungsgerecht ist. Und er fordert die gleichberechtigte Einbeziehung der Ärzteschaft sowie aller anderen Gesundheitsberufe in sämtliche Gesundheitsreformgremien. Dazu bedürfe es vor allem einer größeren Wertschätzung der Gesundheitsberufe durch Politik, Dienstgeber und Sozialversicherung. „Allen Gesundheitspolitikern sei ins Stammbuch geschrieben: Die großen Reformen für das Gesundheitssystem wurden von Ärztinnen und Ärzten gemacht und nicht von Gesundheitstechnokraten, die Ärztinnen und Ärzte sowie Gesundheitsberufe als ‚Gesundheitsdiensteanbieter‘ bezeichnen. Wenn man die Ärzteschaft ausschließt, wird die Reform scheitern“, warnt Szekeres. Der Ärztekammerpräsident spricht sich auch klar für ein Ende des Kostendämpfungspfades im Gesundheitswesen aus: „Wir benötigen eine Steigerung des Anteils der Gesundheitsausgaben am BIP. Angesichts der gesellschaftlichen Entwicklungen sind Mehrausgaben für das Gesundheitswesen nicht nur eine logische Konsequenz – als Strategie dienen sie zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit, der Festigung des Wirtschaftsstandortes und vor allem einer sozial ausgewogenen, gerechten Gesellschaft.“

Streitpunkt Primärversorgung

Durchaus Übereinstimmung signalisiert der Spitalsarzt bei der Forderung der Politik, den stationären Bereich zu entlasten. Das bedinge aber die Schaffung von 1.000 neuen Planstellen für Kasseneinzel- und -gruppenpraxen für bestehende Fächer, ebenso wie „ein Bekenntnis zur Verlagerung von Leistungen in den ambulanten Bereich und die Anpassung der Leistungsspektren der Kassenärzte an die medizinische Realität“. Der freiberuflich tätige Arzt – egal, ob als Kassen- oder Wahlarzt – müsse gestärkt werden. Hier verläuft auch eine Bruchlinie für die kommenden Monate, die wohl noch zu Reibereien mit der Politik führen wird: die Umsetzung der neuen Primärversorgung. In dem Entwurf des vorliegenden Primärversorgungsgesetzes (GRUG) findet sich die Ärzteschaft nämlich nicht wieder, weshalb dieser auch entschieden abgelehnt wird. Eine Resolution der Vollversammlung fordert daher neben neuen Kooperationsformen für Ärzte, zu denen auch die Anstellungsmöglichkeit gehört, eine echte finanzielle Aufstockung des niedergelassenen Bereiches, eine zeitlich unbegrenzte Rückkehrmöglichkeit in den Einzelvertrag sowie die vollständige Finanzierung der Lehrpraxis. Wer auch immer künftig also im Gesundheitsministerium nach der Wahl den Ton angeben wird – er oder sie wird mit Szekeres rechnen müssen.

 

Zur Person
Dr. Thomas Szekeres wurde am 6. April 1962 in Wien geboren. 1988 schloss er sein Medizinstudium ab, 1994 begann er als Facharzt für Labordiagnostik zu arbeiten. 1997 wurde Szekeres zum außerordentlichen Universitätsprofessor ernannt. Er arbeitet im Zentrallabor des AKH, sein Spezialgebiet ist die Krebsforschung.